Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

größere Güter erworben und diese zerkleinert werden sollten. Wir würden solche
Zertrümmerungen sowohl vom politischen wie vom wirtschaftlichen Standpunkte
ans für ein Unglück halten. Wenn in jedem Landkreise von Lothringen etwa
acht bis zehn deutsche Großgrundbesitzer seßhaft wären, so wäre für die nationale
Sache mehr erreicht, als wenn aus diesen: Grundbesitze eine Anzahl kleinerer
Güter gebildet würde. Diese Anzahl von Großgrundbesitzern würde genügen,
um die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten an sich zu ziehen. Kleinere
Güter sind an sich schon genng vorhanden, sie sind auch in ausreichender Zahl
käuflich, es wäre unnötig, solche erst durch Zerstückelung zu gewinnen. Wo
solche kleinere Güter örtlich nicht schon fertig vorhanden oder käuflich sind,
könnten sie im Gegenteile durch Zusammenlauf des zerstückelten und auf dein
Wege des Loses oder der Parzellenerwerbung in irrationeller Weise in einer
Hand vereinigten Besitzes gebildet werden. Man hat berechnet, daß infolge
des Mangels an Vieh und Dünger die Bräche in Lothringen etwa tü Prozent
des bebauten Landes betrügt, im Unterelsaß dagegen 1 Prozent, im Ober¬
elsaß )! Prozent. Wo solche Verhältnisse bestehen, ist Grund und Boden leicht
zu erwerben.

Aber noch andre vorgefaßte Meinungen sind in dieser Angelegenheit erst
zu berichtigen. Von Anfang an hat man es als das Ziel der nationalen Aufgabe
im Lande bezeichnet, daß die Einwandrung nach Lothringen vor allem in das
französische Sprachgebiet zu lenken sei. Offenbar schwebten die Vorstellungen
vor, die aus der Betrachtung der Sachlage im Osten gewonnen morden waren.
Es kann aber bei der Sache doch der Zweck nicht verfolgt werden, die französisch
sprechenden Einwohner des Landes auszulaufen und deutsche Einwandrer an
deren Stelle zu setzen. Die Aufgabe Deutschlands besteht doch nnr darin, das
u> den Händen französischer Ausländer befindliche Eigentum in deutsche Hände
zu bringen. Diese Aufgabe erstreckt sich aber nicht auf den Teil von Lothringen,
der dein französischen Sprachgebiet angehört (etwa 40 Prozent), fondern
">>f den ganzen Bezirk Volt Lothringen, wo der französische Besitz überwiegt,
ganz abgesehen vom Elsaß. An dieser oder jener Stelle mag das Bedürfnis
>uehr oder weniger dringlich hervortreten, aber an welchen Stellen soll zunächst
eingesetzt werden? Soll darüber etwa der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft
entscheiden, die vor allem Geschäfte machen muß? Es sind also nicht etwa die
"u Lande seßhaften einheimischen sondern es sind die abwesenden ausländischen
Grundbesitzer durch deutsche Landwirte zu ersetzen. Der Ausdruck "Kolonisirung"
'se daher unglücklich gewählt, weil er falsche Vorstellungen erweckt. Auch in dieser
Beziehung weisen die Verhältnisse darauf hin, daß diese Aufgabe, wenn fie
"und durch Einwandrung einzelner in dankenswerter Weise gefördert wird,
jedenfalls, wenn sie in die Hände einer Aktiengesellschaft gegeben würde, nicht
"uiner in der Richtung dieses nationalen Zieles sich erhalten ließe, daß also
euie bewußte, von Geldrücksichteu unabhängige Leitung der Sache dnrch den


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

größere Güter erworben und diese zerkleinert werden sollten. Wir würden solche
Zertrümmerungen sowohl vom politischen wie vom wirtschaftlichen Standpunkte
ans für ein Unglück halten. Wenn in jedem Landkreise von Lothringen etwa
acht bis zehn deutsche Großgrundbesitzer seßhaft wären, so wäre für die nationale
Sache mehr erreicht, als wenn aus diesen: Grundbesitze eine Anzahl kleinerer
Güter gebildet würde. Diese Anzahl von Großgrundbesitzern würde genügen,
um die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten an sich zu ziehen. Kleinere
Güter sind an sich schon genng vorhanden, sie sind auch in ausreichender Zahl
käuflich, es wäre unnötig, solche erst durch Zerstückelung zu gewinnen. Wo
solche kleinere Güter örtlich nicht schon fertig vorhanden oder käuflich sind,
könnten sie im Gegenteile durch Zusammenlauf des zerstückelten und auf dein
Wege des Loses oder der Parzellenerwerbung in irrationeller Weise in einer
Hand vereinigten Besitzes gebildet werden. Man hat berechnet, daß infolge
des Mangels an Vieh und Dünger die Bräche in Lothringen etwa tü Prozent
des bebauten Landes betrügt, im Unterelsaß dagegen 1 Prozent, im Ober¬
elsaß )! Prozent. Wo solche Verhältnisse bestehen, ist Grund und Boden leicht
zu erwerben.

Aber noch andre vorgefaßte Meinungen sind in dieser Angelegenheit erst
zu berichtigen. Von Anfang an hat man es als das Ziel der nationalen Aufgabe
im Lande bezeichnet, daß die Einwandrung nach Lothringen vor allem in das
französische Sprachgebiet zu lenken sei. Offenbar schwebten die Vorstellungen
vor, die aus der Betrachtung der Sachlage im Osten gewonnen morden waren.
Es kann aber bei der Sache doch der Zweck nicht verfolgt werden, die französisch
sprechenden Einwohner des Landes auszulaufen und deutsche Einwandrer an
deren Stelle zu setzen. Die Aufgabe Deutschlands besteht doch nnr darin, das
u> den Händen französischer Ausländer befindliche Eigentum in deutsche Hände
zu bringen. Diese Aufgabe erstreckt sich aber nicht auf den Teil von Lothringen,
der dein französischen Sprachgebiet angehört (etwa 40 Prozent), fondern
">>f den ganzen Bezirk Volt Lothringen, wo der französische Besitz überwiegt,
ganz abgesehen vom Elsaß. An dieser oder jener Stelle mag das Bedürfnis
>uehr oder weniger dringlich hervortreten, aber an welchen Stellen soll zunächst
eingesetzt werden? Soll darüber etwa der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft
entscheiden, die vor allem Geschäfte machen muß? Es sind also nicht etwa die
"u Lande seßhaften einheimischen sondern es sind die abwesenden ausländischen
Grundbesitzer durch deutsche Landwirte zu ersetzen. Der Ausdruck „Kolonisirung"
'se daher unglücklich gewählt, weil er falsche Vorstellungen erweckt. Auch in dieser
Beziehung weisen die Verhältnisse darauf hin, daß diese Aufgabe, wenn fie
"und durch Einwandrung einzelner in dankenswerter Weise gefördert wird,
jedenfalls, wenn sie in die Hände einer Aktiengesellschaft gegeben würde, nicht
"uiner in der Richtung dieses nationalen Zieles sich erhalten ließe, daß also
euie bewußte, von Geldrücksichteu unabhängige Leitung der Sache dnrch den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206908"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_723" prev="#ID_722"> größere Güter erworben und diese zerkleinert werden sollten. Wir würden solche<lb/>
Zertrümmerungen sowohl vom politischen wie vom wirtschaftlichen Standpunkte<lb/>
ans für ein Unglück halten. Wenn in jedem Landkreise von Lothringen etwa<lb/>
acht bis zehn deutsche Großgrundbesitzer seßhaft wären, so wäre für die nationale<lb/>
Sache mehr erreicht, als wenn aus diesen: Grundbesitze eine Anzahl kleinerer<lb/>
Güter gebildet würde. Diese Anzahl von Großgrundbesitzern würde genügen,<lb/>
um die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten an sich zu ziehen. Kleinere<lb/>
Güter sind an sich schon genng vorhanden, sie sind auch in ausreichender Zahl<lb/>
käuflich, es wäre unnötig, solche erst durch Zerstückelung zu gewinnen. Wo<lb/>
solche kleinere Güter örtlich nicht schon fertig vorhanden oder käuflich sind,<lb/>
könnten sie im Gegenteile durch Zusammenlauf des zerstückelten und auf dein<lb/>
Wege des Loses oder der Parzellenerwerbung in irrationeller Weise in einer<lb/>
Hand vereinigten Besitzes gebildet werden. Man hat berechnet, daß infolge<lb/>
des Mangels an Vieh und Dünger die Bräche in Lothringen etwa tü Prozent<lb/>
des bebauten Landes betrügt, im Unterelsaß dagegen 1 Prozent, im Ober¬<lb/>
elsaß )! Prozent. Wo solche Verhältnisse bestehen, ist Grund und Boden leicht<lb/>
zu erwerben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_724" next="#ID_725"> Aber noch andre vorgefaßte Meinungen sind in dieser Angelegenheit erst<lb/>
zu berichtigen. Von Anfang an hat man es als das Ziel der nationalen Aufgabe<lb/>
im Lande bezeichnet, daß die Einwandrung nach Lothringen vor allem in das<lb/>
französische Sprachgebiet zu lenken sei. Offenbar schwebten die Vorstellungen<lb/>
vor, die aus der Betrachtung der Sachlage im Osten gewonnen morden waren.<lb/>
Es kann aber bei der Sache doch der Zweck nicht verfolgt werden, die französisch<lb/>
sprechenden Einwohner des Landes auszulaufen und deutsche Einwandrer an<lb/>
deren Stelle zu setzen. Die Aufgabe Deutschlands besteht doch nnr darin, das<lb/>
u&gt; den Händen französischer Ausländer befindliche Eigentum in deutsche Hände<lb/>
zu bringen. Diese Aufgabe erstreckt sich aber nicht auf den Teil von Lothringen,<lb/>
der dein französischen Sprachgebiet angehört (etwa 40 Prozent), fondern<lb/>
"&gt;&gt;f den ganzen Bezirk Volt Lothringen, wo der französische Besitz überwiegt,<lb/>
ganz abgesehen vom Elsaß. An dieser oder jener Stelle mag das Bedürfnis<lb/>
&gt;uehr oder weniger dringlich hervortreten, aber an welchen Stellen soll zunächst<lb/>
eingesetzt werden? Soll darüber etwa der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft<lb/>
entscheiden, die vor allem Geschäfte machen muß? Es sind also nicht etwa die<lb/>
"u Lande seßhaften einheimischen sondern es sind die abwesenden ausländischen<lb/>
Grundbesitzer durch deutsche Landwirte zu ersetzen. Der Ausdruck &#x201E;Kolonisirung"<lb/>
'se daher unglücklich gewählt, weil er falsche Vorstellungen erweckt. Auch in dieser<lb/>
Beziehung weisen die Verhältnisse darauf hin, daß diese Aufgabe, wenn fie<lb/>
"und durch Einwandrung einzelner in dankenswerter Weise gefördert wird,<lb/>
jedenfalls, wenn sie in die Hände einer Aktiengesellschaft gegeben würde, nicht<lb/>
"uiner in der Richtung dieses nationalen Zieles sich erhalten ließe, daß also<lb/>
euie bewußte, von Geldrücksichteu unabhängige Leitung der Sache dnrch den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen größere Güter erworben und diese zerkleinert werden sollten. Wir würden solche Zertrümmerungen sowohl vom politischen wie vom wirtschaftlichen Standpunkte ans für ein Unglück halten. Wenn in jedem Landkreise von Lothringen etwa acht bis zehn deutsche Großgrundbesitzer seßhaft wären, so wäre für die nationale Sache mehr erreicht, als wenn aus diesen: Grundbesitze eine Anzahl kleinerer Güter gebildet würde. Diese Anzahl von Großgrundbesitzern würde genügen, um die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten an sich zu ziehen. Kleinere Güter sind an sich schon genng vorhanden, sie sind auch in ausreichender Zahl käuflich, es wäre unnötig, solche erst durch Zerstückelung zu gewinnen. Wo solche kleinere Güter örtlich nicht schon fertig vorhanden oder käuflich sind, könnten sie im Gegenteile durch Zusammenlauf des zerstückelten und auf dein Wege des Loses oder der Parzellenerwerbung in irrationeller Weise in einer Hand vereinigten Besitzes gebildet werden. Man hat berechnet, daß infolge des Mangels an Vieh und Dünger die Bräche in Lothringen etwa tü Prozent des bebauten Landes betrügt, im Unterelsaß dagegen 1 Prozent, im Ober¬ elsaß )! Prozent. Wo solche Verhältnisse bestehen, ist Grund und Boden leicht zu erwerben. Aber noch andre vorgefaßte Meinungen sind in dieser Angelegenheit erst zu berichtigen. Von Anfang an hat man es als das Ziel der nationalen Aufgabe im Lande bezeichnet, daß die Einwandrung nach Lothringen vor allem in das französische Sprachgebiet zu lenken sei. Offenbar schwebten die Vorstellungen vor, die aus der Betrachtung der Sachlage im Osten gewonnen morden waren. Es kann aber bei der Sache doch der Zweck nicht verfolgt werden, die französisch sprechenden Einwohner des Landes auszulaufen und deutsche Einwandrer an deren Stelle zu setzen. Die Aufgabe Deutschlands besteht doch nnr darin, das u> den Händen französischer Ausländer befindliche Eigentum in deutsche Hände zu bringen. Diese Aufgabe erstreckt sich aber nicht auf den Teil von Lothringen, der dein französischen Sprachgebiet angehört (etwa 40 Prozent), fondern ">>f den ganzen Bezirk Volt Lothringen, wo der französische Besitz überwiegt, ganz abgesehen vom Elsaß. An dieser oder jener Stelle mag das Bedürfnis >uehr oder weniger dringlich hervortreten, aber an welchen Stellen soll zunächst eingesetzt werden? Soll darüber etwa der Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft entscheiden, die vor allem Geschäfte machen muß? Es sind also nicht etwa die "u Lande seßhaften einheimischen sondern es sind die abwesenden ausländischen Grundbesitzer durch deutsche Landwirte zu ersetzen. Der Ausdruck „Kolonisirung" 'se daher unglücklich gewählt, weil er falsche Vorstellungen erweckt. Auch in dieser Beziehung weisen die Verhältnisse darauf hin, daß diese Aufgabe, wenn fie "und durch Einwandrung einzelner in dankenswerter Weise gefördert wird, jedenfalls, wenn sie in die Hände einer Aktiengesellschaft gegeben würde, nicht "uiner in der Richtung dieses nationalen Zieles sich erhalten ließe, daß also euie bewußte, von Geldrücksichteu unabhängige Leitung der Sache dnrch den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/263>, abgerufen am 23.07.2024.