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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte von dein kranken Aönigssohne

Milanion, Atalante, Phramus und Thisbe. Wir lesen von seufzerschweren
Klagen, von pechschwarzen Gräbern, wir lesen von dem grünen Mördergift,
das den Seleukus verderben soll, von diamantenem Rocken, smaragdenen
Wiesen, saffirnen Lüften, alabasternen Wangen und Brüsten. Aber nichts
scheint dem Dichter über den Zucker zu gehen. Er redet von zuckersüßer Ehe
und zuckersüßer Ruhe, von der Zuckerstimme der Poeten und dem Znckermund
der Vogel, er findet, daß Vaterliebe selbst Galle und Gift verzuckern können,
er läßt den König die Bitte aussprechen, Erasistratus möge doch Liebeszncker
in den Mund des tranken Prinzen einflößen, indem er ihm seinen Schatz ab¬
trete. Es ist unmöglich, auch nur annähernd die Fülle der Floskeln wieder¬
zugeben, mit denen die Sprache dieses Dramas ausgeziert ist. Nur einiges noch.
Wer stirbt, den: wird der Lebenskittel ausgezogen oder der Lebeusdrccht zer¬
rissen, und Seleukus ist im Begriff, nach dem Genuß des Giftes ins schwarze
Totenmeer zu versinken. In goldbesternten Kronen wohnt der Kummer- oder
der Sorgeuwurm, und der Besorgte, der auf seine teilnehmende Frage nicht
gleich eine Antwort erhält, muß auf Kummerdisteln stehen. Lycophronia hat
in die Stratoniea der Brüste Milchquell rinnen lassen, und als die Schönheit
der letztern durch den Mund der versammelten Neichsrnte gepriesen wird, be¬
merkt der eine von ihnen tiefsinnig: Der Schenkel Uhrwerk ziert den dia-
mantnen Rock. Wer nicht auf der Glättnis der Verhältnisse straucheln will,
der muß den Schrittschuh vernünftiger Sinnen anziehen. Besonders geistreich
soll es sein, wenn Stratoniea mit den Worten spielend vom König sagt: Es
will sein liebstes Schiff, nicht Liebesschiff versinken, und ebenso, wenn auf die
Bemerkung der Königin: Es ist die Rose ja der Blumen Kaiserin -- der
Prinz erwidert: auch Kaiserkronen fallen wie Laub und Blätter hin. Aber
der Geist des Hermogenes, der dem eingekerten Climenes erscheint, hört schon
die Folterbänke knacken, und Seleukns erklärt nach andern Kraftworten im
höchsten Pathos: Eh soll Damascus' Pracht zur Schindergrube werden u. s. w.
Die Krone des Gmizen möchte folgendes Nitornell sein, mit dem der Chor
der Syrer das neuvermählte Ehepaar ansinge:


Ach süsse Brunst! Ach angenehmer Gruß!
Ach Julepp, der auch Todte lebend macht!
Seht, wie der Printz mit Zuckersüßem Kuß
sein Zucker Kind Stratoniea anlacht!
Glück zu! Glück zu! küßt, Engel, küßt einander,
Schertzt in der heissen Glut wie treue Salamander.

Das ist eine kleine Probe von dem Phrasenschatz der zweiten schlesischen
Dichterschule, deren Vortrag uns heute teils wie unfertiges Stammeln vor¬
kommt, teils an Parodien nach Art der Rüpelkomödie in Shakespeares Sommer¬
nachtstraum und Gryphius' Peter Squenz glauben lassen möchte.

(Schluß folgt)




Zur Geschichte von dein kranken Aönigssohne

Milanion, Atalante, Phramus und Thisbe. Wir lesen von seufzerschweren
Klagen, von pechschwarzen Gräbern, wir lesen von dem grünen Mördergift,
das den Seleukus verderben soll, von diamantenem Rocken, smaragdenen
Wiesen, saffirnen Lüften, alabasternen Wangen und Brüsten. Aber nichts
scheint dem Dichter über den Zucker zu gehen. Er redet von zuckersüßer Ehe
und zuckersüßer Ruhe, von der Zuckerstimme der Poeten und dem Znckermund
der Vogel, er findet, daß Vaterliebe selbst Galle und Gift verzuckern können,
er läßt den König die Bitte aussprechen, Erasistratus möge doch Liebeszncker
in den Mund des tranken Prinzen einflößen, indem er ihm seinen Schatz ab¬
trete. Es ist unmöglich, auch nur annähernd die Fülle der Floskeln wieder¬
zugeben, mit denen die Sprache dieses Dramas ausgeziert ist. Nur einiges noch.
Wer stirbt, den: wird der Lebenskittel ausgezogen oder der Lebeusdrccht zer¬
rissen, und Seleukus ist im Begriff, nach dem Genuß des Giftes ins schwarze
Totenmeer zu versinken. In goldbesternten Kronen wohnt der Kummer- oder
der Sorgeuwurm, und der Besorgte, der auf seine teilnehmende Frage nicht
gleich eine Antwort erhält, muß auf Kummerdisteln stehen. Lycophronia hat
in die Stratoniea der Brüste Milchquell rinnen lassen, und als die Schönheit
der letztern durch den Mund der versammelten Neichsrnte gepriesen wird, be¬
merkt der eine von ihnen tiefsinnig: Der Schenkel Uhrwerk ziert den dia-
mantnen Rock. Wer nicht auf der Glättnis der Verhältnisse straucheln will,
der muß den Schrittschuh vernünftiger Sinnen anziehen. Besonders geistreich
soll es sein, wenn Stratoniea mit den Worten spielend vom König sagt: Es
will sein liebstes Schiff, nicht Liebesschiff versinken, und ebenso, wenn auf die
Bemerkung der Königin: Es ist die Rose ja der Blumen Kaiserin — der
Prinz erwidert: auch Kaiserkronen fallen wie Laub und Blätter hin. Aber
der Geist des Hermogenes, der dem eingekerten Climenes erscheint, hört schon
die Folterbänke knacken, und Seleukns erklärt nach andern Kraftworten im
höchsten Pathos: Eh soll Damascus' Pracht zur Schindergrube werden u. s. w.
Die Krone des Gmizen möchte folgendes Nitornell sein, mit dem der Chor
der Syrer das neuvermählte Ehepaar ansinge:


Ach süsse Brunst! Ach angenehmer Gruß!
Ach Julepp, der auch Todte lebend macht!
Seht, wie der Printz mit Zuckersüßem Kuß
sein Zucker Kind Stratoniea anlacht!
Glück zu! Glück zu! küßt, Engel, küßt einander,
Schertzt in der heissen Glut wie treue Salamander.

Das ist eine kleine Probe von dem Phrasenschatz der zweiten schlesischen
Dichterschule, deren Vortrag uns heute teils wie unfertiges Stammeln vor¬
kommt, teils an Parodien nach Art der Rüpelkomödie in Shakespeares Sommer¬
nachtstraum und Gryphius' Peter Squenz glauben lassen möchte.

(Schluß folgt)




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[0246] Zur Geschichte von dein kranken Aönigssohne Milanion, Atalante, Phramus und Thisbe. Wir lesen von seufzerschweren Klagen, von pechschwarzen Gräbern, wir lesen von dem grünen Mördergift, das den Seleukus verderben soll, von diamantenem Rocken, smaragdenen Wiesen, saffirnen Lüften, alabasternen Wangen und Brüsten. Aber nichts scheint dem Dichter über den Zucker zu gehen. Er redet von zuckersüßer Ehe und zuckersüßer Ruhe, von der Zuckerstimme der Poeten und dem Znckermund der Vogel, er findet, daß Vaterliebe selbst Galle und Gift verzuckern können, er läßt den König die Bitte aussprechen, Erasistratus möge doch Liebeszncker in den Mund des tranken Prinzen einflößen, indem er ihm seinen Schatz ab¬ trete. Es ist unmöglich, auch nur annähernd die Fülle der Floskeln wieder¬ zugeben, mit denen die Sprache dieses Dramas ausgeziert ist. Nur einiges noch. Wer stirbt, den: wird der Lebenskittel ausgezogen oder der Lebeusdrccht zer¬ rissen, und Seleukus ist im Begriff, nach dem Genuß des Giftes ins schwarze Totenmeer zu versinken. In goldbesternten Kronen wohnt der Kummer- oder der Sorgeuwurm, und der Besorgte, der auf seine teilnehmende Frage nicht gleich eine Antwort erhält, muß auf Kummerdisteln stehen. Lycophronia hat in die Stratoniea der Brüste Milchquell rinnen lassen, und als die Schönheit der letztern durch den Mund der versammelten Neichsrnte gepriesen wird, be¬ merkt der eine von ihnen tiefsinnig: Der Schenkel Uhrwerk ziert den dia- mantnen Rock. Wer nicht auf der Glättnis der Verhältnisse straucheln will, der muß den Schrittschuh vernünftiger Sinnen anziehen. Besonders geistreich soll es sein, wenn Stratoniea mit den Worten spielend vom König sagt: Es will sein liebstes Schiff, nicht Liebesschiff versinken, und ebenso, wenn auf die Bemerkung der Königin: Es ist die Rose ja der Blumen Kaiserin — der Prinz erwidert: auch Kaiserkronen fallen wie Laub und Blätter hin. Aber der Geist des Hermogenes, der dem eingekerten Climenes erscheint, hört schon die Folterbänke knacken, und Seleukns erklärt nach andern Kraftworten im höchsten Pathos: Eh soll Damascus' Pracht zur Schindergrube werden u. s. w. Die Krone des Gmizen möchte folgendes Nitornell sein, mit dem der Chor der Syrer das neuvermählte Ehepaar ansinge: Ach süsse Brunst! Ach angenehmer Gruß! Ach Julepp, der auch Todte lebend macht! Seht, wie der Printz mit Zuckersüßem Kuß sein Zucker Kind Stratoniea anlacht! Glück zu! Glück zu! küßt, Engel, küßt einander, Schertzt in der heissen Glut wie treue Salamander. Das ist eine kleine Probe von dem Phrasenschatz der zweiten schlesischen Dichterschule, deren Vortrag uns heute teils wie unfertiges Stammeln vor¬ kommt, teils an Parodien nach Art der Rüpelkomödie in Shakespeares Sommer¬ nachtstraum und Gryphius' Peter Squenz glauben lassen möchte. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/246>, abgerufen am 25.08.2024.