Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Shakespeare ängstlich aus dem Wege gegangen. Sehr richtig nennt Stedman Eine ähnliche Unfruchtbarkeit zeigt sich in jüngster Zeit auch auf dein Sehr bezeichnend für die Auffassung, die man heutzutage in England von Shakespeare ängstlich aus dem Wege gegangen. Sehr richtig nennt Stedman Eine ähnliche Unfruchtbarkeit zeigt sich in jüngster Zeit auch auf dein Sehr bezeichnend für die Auffassung, die man heutzutage in England von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206785"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_352" prev="#ID_351"> Shakespeare ängstlich aus dem Wege gegangen. Sehr richtig nennt Stedman<lb/> das Drama ein Sicherheitsventil, a, Salve^-vitlvö, für außerordentliche Leiden¬<lb/> schaften und gewaltige Gährungen im Volke. Aber eine Nation, die gleich der<lb/> englischen in beneidenswerter Sicherheit, in dauerndem Frieden, in wirtschaft¬<lb/> licher Behaglichkeit lebt und deren militärische Versumpfung nur durch die<lb/> Spaßfeldzüge, dem mooK-oainxiUANW, gegen uuzivilisirte Völkerstämme einiger¬<lb/> maßen gehindert wird, bietet schon lange nicht mehr den Boden für eine<lb/> kräftige Entfaltung des Dramas; eine gewaltige Katastrophe müßte erst wieder<lb/> das englische Volk in seinen Grundfesten erschüttert und unversöhnliche Gegen¬<lb/> sätze heraufbeschworen haben, bevor man von ihm eine neue Blütezeit der<lb/> dramatischen Poesie erwarten könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_353"> Eine ähnliche Unfruchtbarkeit zeigt sich in jüngster Zeit auch auf dein<lb/> Gebiete der Lyrik. Das jüngere Dichtergeschlecht fühlt sich in dem fieberhaften<lb/> Treiben der Gegenwart nicht behaglich und flieht in entlegene Zeiten zurück.<lb/> Der die Vietormn ?opes bis dahin beherrschende Einfluß eines Keats, Wvrds-<lb/> worth und Shelley hat seine Macht verloren, an Tennysons idyllische Richtung<lb/> schließt sich nur eine verschwindend kleine Gruppe junger Dichter an; Brownings<lb/> dramatisch-psychologische Lyrik, Rosettis präraphaelitische oder uevronmntische<lb/> Denkweise und Swinburnes satanisch-archaistischer Zug reißen abwechselnd die<lb/> jungen Dichter hin und her und erschweren eine klare Gruppirung ihrer<lb/> Poesien. Doch treten zwei Strömungen immer deutlicher hervor: die eine, der<lb/> z. B. Dawson folgt, schließt sich an Rosettis Neoromantik an; man hat sie<lb/> ge^mzä-KlÄSs xostr/ genannt, wofür wir in gewissem Sinne die Bezeichnung<lb/> „Butzenscheibenlyrik" setze» könnten. Die andre Gruppe sind die vöboimir<lb/> ?ost8, die, von Dobson und Lang geführt, auf die französischen Dichter des<lb/> fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, insbesondre auf Viktor und die<lb/> Plejaden zurückgehen und mit großer Gewandtheit die kunstvollen, verschnörkelten<lb/> lyrischen Formen der Franzosen in die englische Poesie einzuführen suchen.<lb/> Daneben möchte Stedman noch eine dritte Gruppe stellen, die t^öden-in Oxt'orü<lb/> Lonvul, die sich, geleitet vou Diron und Rridges, an Matthew Arnold an¬<lb/> schließt und in der anglv-klassischen Gelehrtenpvesie das Heil der englischen<lb/> Lyrik zu finden glaubt. Aber allen fehlt die berauschende Gewalt der Leiden¬<lb/> schaft, der aufstrebende Schwung der Phantasie, die schöpferische Glut der<lb/> Empfindungen. voor - i ntvIleotrmUtF sua «vKularMp ok in»»^ IM8t«,<lb/> sagt Stedman, adsord dusin in onrious stuäiss, ana dvaäon tkvir iinpcil«u<lb/> tovarä oriFmal ana glovinx ollort«. ?Iroy rovivo ana er-umlatv, »us dorrov<lb/> kar too mrmb. dirs doMäiiiAK ok linn.</p><lb/> <p xml:id="ID_354" next="#ID_355"> Sehr bezeichnend für die Auffassung, die man heutzutage in England von<lb/> dein Wesen der Poesie hat, sind die als besondre Empfehlung für lyrische<lb/> Dichtungen häufig angewandten Worte ox<;ol!l>ut, 8oIio>in-'8 wol-K in j)0ver/.<lb/> Gelehrsamkeit pflegt doch sonst keinen Freibrief zum Musensitz zu bieten; i»</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0140]
Shakespeare ängstlich aus dem Wege gegangen. Sehr richtig nennt Stedman
das Drama ein Sicherheitsventil, a, Salve^-vitlvö, für außerordentliche Leiden¬
schaften und gewaltige Gährungen im Volke. Aber eine Nation, die gleich der
englischen in beneidenswerter Sicherheit, in dauerndem Frieden, in wirtschaft¬
licher Behaglichkeit lebt und deren militärische Versumpfung nur durch die
Spaßfeldzüge, dem mooK-oainxiUANW, gegen uuzivilisirte Völkerstämme einiger¬
maßen gehindert wird, bietet schon lange nicht mehr den Boden für eine
kräftige Entfaltung des Dramas; eine gewaltige Katastrophe müßte erst wieder
das englische Volk in seinen Grundfesten erschüttert und unversöhnliche Gegen¬
sätze heraufbeschworen haben, bevor man von ihm eine neue Blütezeit der
dramatischen Poesie erwarten könnte.
Eine ähnliche Unfruchtbarkeit zeigt sich in jüngster Zeit auch auf dein
Gebiete der Lyrik. Das jüngere Dichtergeschlecht fühlt sich in dem fieberhaften
Treiben der Gegenwart nicht behaglich und flieht in entlegene Zeiten zurück.
Der die Vietormn ?opes bis dahin beherrschende Einfluß eines Keats, Wvrds-
worth und Shelley hat seine Macht verloren, an Tennysons idyllische Richtung
schließt sich nur eine verschwindend kleine Gruppe junger Dichter an; Brownings
dramatisch-psychologische Lyrik, Rosettis präraphaelitische oder uevronmntische
Denkweise und Swinburnes satanisch-archaistischer Zug reißen abwechselnd die
jungen Dichter hin und her und erschweren eine klare Gruppirung ihrer
Poesien. Doch treten zwei Strömungen immer deutlicher hervor: die eine, der
z. B. Dawson folgt, schließt sich an Rosettis Neoromantik an; man hat sie
ge^mzä-KlÄSs xostr/ genannt, wofür wir in gewissem Sinne die Bezeichnung
„Butzenscheibenlyrik" setze» könnten. Die andre Gruppe sind die vöboimir
?ost8, die, von Dobson und Lang geführt, auf die französischen Dichter des
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, insbesondre auf Viktor und die
Plejaden zurückgehen und mit großer Gewandtheit die kunstvollen, verschnörkelten
lyrischen Formen der Franzosen in die englische Poesie einzuführen suchen.
Daneben möchte Stedman noch eine dritte Gruppe stellen, die t^öden-in Oxt'orü
Lonvul, die sich, geleitet vou Diron und Rridges, an Matthew Arnold an¬
schließt und in der anglv-klassischen Gelehrtenpvesie das Heil der englischen
Lyrik zu finden glaubt. Aber allen fehlt die berauschende Gewalt der Leiden¬
schaft, der aufstrebende Schwung der Phantasie, die schöpferische Glut der
Empfindungen. voor - i ntvIleotrmUtF sua «vKularMp ok in»»^ IM8t«,
sagt Stedman, adsord dusin in onrious stuäiss, ana dvaäon tkvir iinpcil«u
tovarä oriFmal ana glovinx ollort«. ?Iroy rovivo ana er-umlatv, »us dorrov
kar too mrmb. dirs doMäiiiAK ok linn.
Sehr bezeichnend für die Auffassung, die man heutzutage in England von
dein Wesen der Poesie hat, sind die als besondre Empfehlung für lyrische
Dichtungen häufig angewandten Worte ox<;ol!l>ut, 8oIio>in-'8 wol-K in j)0ver/.
Gelehrsamkeit pflegt doch sonst keinen Freibrief zum Musensitz zu bieten; i»
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