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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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kratie in die Hände. So lange der König lebe, sei jedoch an keine Lösung
der konstitutionellen Frage in Preußen zu denken. Der junge Hof sei in
entschiedner Opposition, ganz für den Augusteuburger und gegen jede Annexion.
Man zähle auf Mensdorff. Ich habe seine letzte Depesche jvom 21. Januars
mit Vergnügen gelesen; er ist ganz der Gentleman. Ich denke, der arme
Ncchberg war wirklich zu schwach und gänzlich ungeeignet für die Stellung,
die er eingenommen hatte. Na, lassen Sie uns das Beste hoffen. Ich freue
mich, Ihre Verfassung so gut wirken zu sehen. Ihr Sachsen ist ein glück¬
liches Land, und ich verstehe vollständig, daß das Volk nicht preußisch werden
mag." Der Bericht schließt mit eiuer Äußerung des französischen Ministers
Drouyn de Lhuys gegen den Verfasser. Er erzählte ihm, er habe im Hinblick
auf einen Artikel der 'l'mios, worin den Franzosen der Rhein angeboten
worden sei, einem englischen Staatsmanne die Stelle aus dein Othello zitirt:
LIimM I og,ut to ki^de, 1 do not ^v!int im^ xronixter, wollt ich den Kampf,
bedürft ich keines Hetzers.

Die Bestätigung eines bei uus längst feststehenden Urteils, vermutlich aber
manchem unsrer Leser neu und überraschend, ist die Charakteristik Lord Palmerstvns,
dessen Tod der Verfasser der Denkwürdigkeiten ans einer Reise in Italien er¬
fuhr. Vitzthum beurteilt ihn sehr abfällig, indem er ihn zunächst eiuen "eigen¬
willigen, eigenmächtigen, um nicht zu sagen eigensinnigen Minister" nennt, der
von seinen Kollegen wie von seinen Untergebnen gefürchtet und gehaßt worden
sei. Dann fährt er fort: "Seit fünfzig Jahren fast ohne Unterbrechung auf
der politischen Bühne, hatte er immer, wie Prinz Albert mir einmal sagte, das
Staats in teresse dem seinigen hintangestellt. Langjährige Erfahrung, genaue
Kenntnis des Triebwerkes, welches die Parteien im Unterhause in Bewegung
setzt und im Zaume hält, hatten dem alten Tors gestattet, den Radikalen durch
patriotische Rodomontaden zu imponiren und ihnen die Meinung beizubringen,
niemand sei liberaler, niemand kenne das Getriebe der europäischen Politik
genauer und niemand vermöge daher dus Ruder des britischen Stnatsschiffes
sicherer zu leite" als er, der joviale Spaßmacher und liotUo-llolävr. Der Pakt,
den er hinter dem Rücken seiner Kollegen mit den Konservativen geschlossen
hatte, erklärt die Gewalt, die er seit dem Krimkriege bis an sein Lebensende
ausgeübt hat. Uuter der Bedingung, der radikalen Reformbewegung zu wider¬
stehen, hatte ihm Lord Derby freie Hand nach außen gegeben, und dies benutzte
Palmerston, um seinem Hasse gegen Österreich sowie seiner Vorliebe für das
revolutionäre Italien Luft zu machen. Seine hochtönenden Worte entzückten
die öffentliche Meinung in England, aber im Grunde genommen haben seine
platonischen Shmpathieu Italien thatsächlich weniger genützt, als die Menge
glaubt." Der alte Herr hatte sich, nach der Ansicht des Verfassers, bei seinein
Tode schon längst überlebt. "Seine oft seichten Witze, die im Unterhause be¬
lacht und beklatscht wurden, erinnerten nur zu häufig an einen für sein Hand-


kratie in die Hände. So lange der König lebe, sei jedoch an keine Lösung
der konstitutionellen Frage in Preußen zu denken. Der junge Hof sei in
entschiedner Opposition, ganz für den Augusteuburger und gegen jede Annexion.
Man zähle auf Mensdorff. Ich habe seine letzte Depesche jvom 21. Januars
mit Vergnügen gelesen; er ist ganz der Gentleman. Ich denke, der arme
Ncchberg war wirklich zu schwach und gänzlich ungeeignet für die Stellung,
die er eingenommen hatte. Na, lassen Sie uns das Beste hoffen. Ich freue
mich, Ihre Verfassung so gut wirken zu sehen. Ihr Sachsen ist ein glück¬
liches Land, und ich verstehe vollständig, daß das Volk nicht preußisch werden
mag." Der Bericht schließt mit eiuer Äußerung des französischen Ministers
Drouyn de Lhuys gegen den Verfasser. Er erzählte ihm, er habe im Hinblick
auf einen Artikel der 'l'mios, worin den Franzosen der Rhein angeboten
worden sei, einem englischen Staatsmanne die Stelle aus dein Othello zitirt:
LIimM I og,ut to ki^de, 1 do not ^v!int im^ xronixter, wollt ich den Kampf,
bedürft ich keines Hetzers.

Die Bestätigung eines bei uus längst feststehenden Urteils, vermutlich aber
manchem unsrer Leser neu und überraschend, ist die Charakteristik Lord Palmerstvns,
dessen Tod der Verfasser der Denkwürdigkeiten ans einer Reise in Italien er¬
fuhr. Vitzthum beurteilt ihn sehr abfällig, indem er ihn zunächst eiuen „eigen¬
willigen, eigenmächtigen, um nicht zu sagen eigensinnigen Minister" nennt, der
von seinen Kollegen wie von seinen Untergebnen gefürchtet und gehaßt worden
sei. Dann fährt er fort: „Seit fünfzig Jahren fast ohne Unterbrechung auf
der politischen Bühne, hatte er immer, wie Prinz Albert mir einmal sagte, das
Staats in teresse dem seinigen hintangestellt. Langjährige Erfahrung, genaue
Kenntnis des Triebwerkes, welches die Parteien im Unterhause in Bewegung
setzt und im Zaume hält, hatten dem alten Tors gestattet, den Radikalen durch
patriotische Rodomontaden zu imponiren und ihnen die Meinung beizubringen,
niemand sei liberaler, niemand kenne das Getriebe der europäischen Politik
genauer und niemand vermöge daher dus Ruder des britischen Stnatsschiffes
sicherer zu leite» als er, der joviale Spaßmacher und liotUo-llolävr. Der Pakt,
den er hinter dem Rücken seiner Kollegen mit den Konservativen geschlossen
hatte, erklärt die Gewalt, die er seit dem Krimkriege bis an sein Lebensende
ausgeübt hat. Uuter der Bedingung, der radikalen Reformbewegung zu wider¬
stehen, hatte ihm Lord Derby freie Hand nach außen gegeben, und dies benutzte
Palmerston, um seinem Hasse gegen Österreich sowie seiner Vorliebe für das
revolutionäre Italien Luft zu machen. Seine hochtönenden Worte entzückten
die öffentliche Meinung in England, aber im Grunde genommen haben seine
platonischen Shmpathieu Italien thatsächlich weniger genützt, als die Menge
glaubt." Der alte Herr hatte sich, nach der Ansicht des Verfassers, bei seinein
Tode schon längst überlebt. „Seine oft seichten Witze, die im Unterhause be¬
lacht und beklatscht wurden, erinnerten nur zu häufig an einen für sein Hand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/130>, abgerufen am 23.07.2024.