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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

gegenüber den Souverän spiele, so erkläre sich das aus jenem Hasse des
Natioualvereins. Mit dein Kronprinzen von Preußen jedoch sei der Herzog
Friedrich handelseins, und gelange er zur Regierung, so werde er Preußen
sowohl die diplomatische Vertretung als die militärische Führung überlassen.
Käme es dahin, daß die Schleswig-Holsteiner nur zwischen Anarchie und
Preußen zu wählen hätten, so wurden sie sich für die Unterordnung unter
diese Macht als sür das kleinere Übel entscheiden. Wem: aber diese verkappte
Mediatisirung einträte, die der Nationalverein anstrebe, so würden die hannöver-
schen Stunde noch vor Ablauf zweier Jahre Nachahmung dieses Beispiels
empfehlen und nach Befinden verlangen. Sei dann Hannover borussisizirt, so
werde Sachsen auch nicht lange widerstehen. Weit bessere politische Bürgschaften
als der Erbprinz von Augustenburg biete den vier kleinern deutschen Königreichen
für ihr gemeinsames Interesse der Großherzog von Oldenburg. "Er habe
Hannover gegenüber die Verpflichtung übernommen, die Verfassung von 1849
keinesfalls anzunehmen, und zugleich dem preußischen Gesandten unumwunden
erklärt, er würde niemals in eine Militärkonvention willigen, er sei ebenso
entschlossen wie der König von Preußen, seiue Souveränität zu behaupten,
und er würde daher für die diplomatische Vertretung feiner Lande selbst Sorge
zu tragen wissen. Die Vereinigung Oldenburgs mit den drei Elbherzvgtümern
würde einen fünften Mittelftaat mit zwei Millionen Einwohnern schassen, der
den Widerstand gegen Mainliniengelüste weit kräftiger unterstützen würde wie
ein von dem schwachen Augustenburger mit der Verfassung von 1849 regiertes
Schleswig-Holstein." Vitzthum machte vom europäischen Gesichtspunkte aus
Bedenken gegen die oldenburgische Kandidatur geltend. Platen aber erkannte
deren Gewicht nicht an und bemerkte, daß er in der Erklärung, die die Be¬
vollmächtigten Österreichs, Preußens und des deutschen Bundes in der Londoner
Konferenz am 28. Mai abgegeben hatten, trotz der Ratifikation des Bundes¬
tages eine endgiltige Entscheidung der Rechtsfrage (zu Gunsten des Augusten-
burgers) nicht erblicken könne. Ebensowenig legte er darauf Gewicht, daß
England und Frankreich in der oldenburgischen Bewerbung eine russische In¬
trigue wittern wollten. "An die Teudenzlüge von der heiligen Allianz glaube
niemand mehr."

Vielfach von Interesse ist, was Graf Vitzthum seinem Minister unterm
26. Januar 1865 aus London schreibt. Die Hauptquelle dafür war ein Mit¬
glied der äivloiimtiö tvmininö, die "liebenswürdige Lade) eine der Damen
der Königin Viktoria." Sie teilte ihm vertraulich folgendes mit: "In Osborne
ist man entschieden nugustenburgisch und ebenso entschieden nntibismarckisch.
Die Kronprinzessin von Preußen und ihr Gemahl teilen diese Gesinnung. Von
einer Aussöhnung mit dem Machthaber, dessen Herrschaft das Leben Wilhelms 1-
kaum überdauern wird, ist nicht die Rede. Die Kronprinzessin ist von der
Gefahr durchdrungen, welche die jetzige Richtung der preußischen Politik für


Beobachtungen und Urteile eines sächsischen Diplomaten

gegenüber den Souverän spiele, so erkläre sich das aus jenem Hasse des
Natioualvereins. Mit dein Kronprinzen von Preußen jedoch sei der Herzog
Friedrich handelseins, und gelange er zur Regierung, so werde er Preußen
sowohl die diplomatische Vertretung als die militärische Führung überlassen.
Käme es dahin, daß die Schleswig-Holsteiner nur zwischen Anarchie und
Preußen zu wählen hätten, so wurden sie sich für die Unterordnung unter
diese Macht als sür das kleinere Übel entscheiden. Wem: aber diese verkappte
Mediatisirung einträte, die der Nationalverein anstrebe, so würden die hannöver-
schen Stunde noch vor Ablauf zweier Jahre Nachahmung dieses Beispiels
empfehlen und nach Befinden verlangen. Sei dann Hannover borussisizirt, so
werde Sachsen auch nicht lange widerstehen. Weit bessere politische Bürgschaften
als der Erbprinz von Augustenburg biete den vier kleinern deutschen Königreichen
für ihr gemeinsames Interesse der Großherzog von Oldenburg. „Er habe
Hannover gegenüber die Verpflichtung übernommen, die Verfassung von 1849
keinesfalls anzunehmen, und zugleich dem preußischen Gesandten unumwunden
erklärt, er würde niemals in eine Militärkonvention willigen, er sei ebenso
entschlossen wie der König von Preußen, seiue Souveränität zu behaupten,
und er würde daher für die diplomatische Vertretung feiner Lande selbst Sorge
zu tragen wissen. Die Vereinigung Oldenburgs mit den drei Elbherzvgtümern
würde einen fünften Mittelftaat mit zwei Millionen Einwohnern schassen, der
den Widerstand gegen Mainliniengelüste weit kräftiger unterstützen würde wie
ein von dem schwachen Augustenburger mit der Verfassung von 1849 regiertes
Schleswig-Holstein." Vitzthum machte vom europäischen Gesichtspunkte aus
Bedenken gegen die oldenburgische Kandidatur geltend. Platen aber erkannte
deren Gewicht nicht an und bemerkte, daß er in der Erklärung, die die Be¬
vollmächtigten Österreichs, Preußens und des deutschen Bundes in der Londoner
Konferenz am 28. Mai abgegeben hatten, trotz der Ratifikation des Bundes¬
tages eine endgiltige Entscheidung der Rechtsfrage (zu Gunsten des Augusten-
burgers) nicht erblicken könne. Ebensowenig legte er darauf Gewicht, daß
England und Frankreich in der oldenburgischen Bewerbung eine russische In¬
trigue wittern wollten. „An die Teudenzlüge von der heiligen Allianz glaube
niemand mehr."

Vielfach von Interesse ist, was Graf Vitzthum seinem Minister unterm
26. Januar 1865 aus London schreibt. Die Hauptquelle dafür war ein Mit¬
glied der äivloiimtiö tvmininö, die „liebenswürdige Lade) eine der Damen
der Königin Viktoria." Sie teilte ihm vertraulich folgendes mit: „In Osborne
ist man entschieden nugustenburgisch und ebenso entschieden nntibismarckisch.
Die Kronprinzessin von Preußen und ihr Gemahl teilen diese Gesinnung. Von
einer Aussöhnung mit dem Machthaber, dessen Herrschaft das Leben Wilhelms 1-
kaum überdauern wird, ist nicht die Rede. Die Kronprinzessin ist von der
Gefahr durchdrungen, welche die jetzige Richtung der preußischen Politik für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/128>, abgerufen am 23.07.2024.