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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Z5c>ris Lensky

"ut weiblichen Verehrer, die sehr häufig auch seine Schmarotzer sind. Zu
verschiednen Tageszeiten ist er ein andrer Mensch: vormittags der geniale
Gefühlsmensch, abends nach dem Konzert der russische Barbar. Aber er will
nun damit ein Ende machen, es ist ihm selbst dieses Dasein zuwider, er will
nur noch einen Streifzug durch Europa machen, sein Vermögen zu ergänzen
und sich dann seinen mit rührender Zärtlichkeit geliebten Kindern Nikolaj und
Mahada (Marie) widmen.

Und damit beginnt die Romanhandlung, deren poetischer Mittelpunkt zwar
der Geiger, ist, deren Helden aber seine Kinder sind. Diese Handlung dient
mich wieder nur dazu/das Schicksal des Virtuosen zu veranschaulichen, die
Folgen seiner ganzen menschlichen Existenz, seiner Natur und seiner Handlungen,
deren Erben seine Kinder werden. Eine große Schwäche des Romanes ist es
aber, daß die eigentliche Romnnhandlung, so umsichtig sie auch motivirt, mit
so viel glänzendem Beiwerk sie auch künstlerisch verhüllt ist, im Grunde roh
n"d widerwärtig ist. Hier zeigt sich die sonst vielfach ihre eignen Wege
wandelnde Erzählerin beeinflußt vom naturalistischen Zeitgeschmack.

Nievlaj und Mahada erleben beide ihren Roman. Nievlaj, der bei der
russischen Gesandtschaft in Paris beschäftigt ist, hat von seinein Vater Boris
nicht viel geerbt, weder die musikalische Begabung noch das wilde Temperament.
Er ist seiner Mutter nachgeraten, einer Iran von fürstlichem Geblüt, er
"lacht den Eindruck des richtigen aristokratischen Diplomaten und unterscheidet
sich dadurch wesentlich von seinem künstlerisch ungebundenen Vater. Nievlaj
verliebt sich in ein sehr bedeutendes, übrigens schon reiferes Mädchen, in die
Österreicherin Nita von Sankjewitsch, die sich in Paris zur Vollendung ihrer
Malerstndieu aufhält. Diese schöne, charaktervolle, willensstarke, kluge Nita
ist der Mittelpunkt für das Leuskysche Geschwisterpaar. Sie verkehren alle
sehr freundschaftlich mit Nita, die stets einen Hauch von Schwermut zur Schau
trägt; als endlich Nievlaj seine lange, stumme Werbung aufgiebt und ihr seine
Liebe erklärt, da entsetzt sich Nita vor Nievlaj Lensky, und in seltsamer Weise
jagt sie ihn schaudernd von sich. Warum? Weil er seinem Vater so ähnlich
sieht, und weil Nita an Boris Lensly eine Erfahrung gemacht hat, die sie für
ihr ganzes späteres Leben pessimistisch gestimmt hat. Als junges Mädchen hat
Nita für den Teufelsgciger, wie ihn die Reklame nennt, geschwärmt. Sie
lernte ihn auch persönlich kennen. Der weit ältere Virtuose verliebte sich in
sie und bei einer zufällig sich darbietenden Gelegenheit versuchte er, ihr Gewalt
anzuthun. Nur ihr Geschrei rettete sie vor seiner Leidenschaft. Und nun ist
es sein eigner Sohn, der n"i sie wirbt, er sieht gerade so ans in der Auf¬
regung wie Boris, und sie kaiin den Abscheu nicht überwinden. Der alte
Künstler muß nur seinem in diesen Dingen hoch über ihm stehenden Sohne
die fchivere Sünde beichten, infolge dessen sich Nieolaj für immer von seinem
Vater trennt. Er laßt sich nach Washington versetzen, um ihn zu meiden.


Z5c>ris Lensky

»ut weiblichen Verehrer, die sehr häufig auch seine Schmarotzer sind. Zu
verschiednen Tageszeiten ist er ein andrer Mensch: vormittags der geniale
Gefühlsmensch, abends nach dem Konzert der russische Barbar. Aber er will
nun damit ein Ende machen, es ist ihm selbst dieses Dasein zuwider, er will
nur noch einen Streifzug durch Europa machen, sein Vermögen zu ergänzen
und sich dann seinen mit rührender Zärtlichkeit geliebten Kindern Nikolaj und
Mahada (Marie) widmen.

Und damit beginnt die Romanhandlung, deren poetischer Mittelpunkt zwar
der Geiger, ist, deren Helden aber seine Kinder sind. Diese Handlung dient
mich wieder nur dazu/das Schicksal des Virtuosen zu veranschaulichen, die
Folgen seiner ganzen menschlichen Existenz, seiner Natur und seiner Handlungen,
deren Erben seine Kinder werden. Eine große Schwäche des Romanes ist es
aber, daß die eigentliche Romnnhandlung, so umsichtig sie auch motivirt, mit
so viel glänzendem Beiwerk sie auch künstlerisch verhüllt ist, im Grunde roh
n»d widerwärtig ist. Hier zeigt sich die sonst vielfach ihre eignen Wege
wandelnde Erzählerin beeinflußt vom naturalistischen Zeitgeschmack.

Nievlaj und Mahada erleben beide ihren Roman. Nievlaj, der bei der
russischen Gesandtschaft in Paris beschäftigt ist, hat von seinein Vater Boris
nicht viel geerbt, weder die musikalische Begabung noch das wilde Temperament.
Er ist seiner Mutter nachgeraten, einer Iran von fürstlichem Geblüt, er
»lacht den Eindruck des richtigen aristokratischen Diplomaten und unterscheidet
sich dadurch wesentlich von seinem künstlerisch ungebundenen Vater. Nievlaj
verliebt sich in ein sehr bedeutendes, übrigens schon reiferes Mädchen, in die
Österreicherin Nita von Sankjewitsch, die sich in Paris zur Vollendung ihrer
Malerstndieu aufhält. Diese schöne, charaktervolle, willensstarke, kluge Nita
ist der Mittelpunkt für das Leuskysche Geschwisterpaar. Sie verkehren alle
sehr freundschaftlich mit Nita, die stets einen Hauch von Schwermut zur Schau
trägt; als endlich Nievlaj seine lange, stumme Werbung aufgiebt und ihr seine
Liebe erklärt, da entsetzt sich Nita vor Nievlaj Lensky, und in seltsamer Weise
jagt sie ihn schaudernd von sich. Warum? Weil er seinem Vater so ähnlich
sieht, und weil Nita an Boris Lensly eine Erfahrung gemacht hat, die sie für
ihr ganzes späteres Leben pessimistisch gestimmt hat. Als junges Mädchen hat
Nita für den Teufelsgciger, wie ihn die Reklame nennt, geschwärmt. Sie
lernte ihn auch persönlich kennen. Der weit ältere Virtuose verliebte sich in
sie und bei einer zufällig sich darbietenden Gelegenheit versuchte er, ihr Gewalt
anzuthun. Nur ihr Geschrei rettete sie vor seiner Leidenschaft. Und nun ist
es sein eigner Sohn, der n»i sie wirbt, er sieht gerade so ans in der Auf¬
regung wie Boris, und sie kaiin den Abscheu nicht überwinden. Der alte
Künstler muß nur seinem in diesen Dingen hoch über ihm stehenden Sohne
die fchivere Sünde beichten, infolge dessen sich Nieolaj für immer von seinem
Vater trennt. Er laßt sich nach Washington versetzen, um ihn zu meiden.


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[0099] Z5c>ris Lensky »ut weiblichen Verehrer, die sehr häufig auch seine Schmarotzer sind. Zu verschiednen Tageszeiten ist er ein andrer Mensch: vormittags der geniale Gefühlsmensch, abends nach dem Konzert der russische Barbar. Aber er will nun damit ein Ende machen, es ist ihm selbst dieses Dasein zuwider, er will nur noch einen Streifzug durch Europa machen, sein Vermögen zu ergänzen und sich dann seinen mit rührender Zärtlichkeit geliebten Kindern Nikolaj und Mahada (Marie) widmen. Und damit beginnt die Romanhandlung, deren poetischer Mittelpunkt zwar der Geiger, ist, deren Helden aber seine Kinder sind. Diese Handlung dient mich wieder nur dazu/das Schicksal des Virtuosen zu veranschaulichen, die Folgen seiner ganzen menschlichen Existenz, seiner Natur und seiner Handlungen, deren Erben seine Kinder werden. Eine große Schwäche des Romanes ist es aber, daß die eigentliche Romnnhandlung, so umsichtig sie auch motivirt, mit so viel glänzendem Beiwerk sie auch künstlerisch verhüllt ist, im Grunde roh n»d widerwärtig ist. Hier zeigt sich die sonst vielfach ihre eignen Wege wandelnde Erzählerin beeinflußt vom naturalistischen Zeitgeschmack. Nievlaj und Mahada erleben beide ihren Roman. Nievlaj, der bei der russischen Gesandtschaft in Paris beschäftigt ist, hat von seinein Vater Boris nicht viel geerbt, weder die musikalische Begabung noch das wilde Temperament. Er ist seiner Mutter nachgeraten, einer Iran von fürstlichem Geblüt, er »lacht den Eindruck des richtigen aristokratischen Diplomaten und unterscheidet sich dadurch wesentlich von seinem künstlerisch ungebundenen Vater. Nievlaj verliebt sich in ein sehr bedeutendes, übrigens schon reiferes Mädchen, in die Österreicherin Nita von Sankjewitsch, die sich in Paris zur Vollendung ihrer Malerstndieu aufhält. Diese schöne, charaktervolle, willensstarke, kluge Nita ist der Mittelpunkt für das Leuskysche Geschwisterpaar. Sie verkehren alle sehr freundschaftlich mit Nita, die stets einen Hauch von Schwermut zur Schau trägt; als endlich Nievlaj seine lange, stumme Werbung aufgiebt und ihr seine Liebe erklärt, da entsetzt sich Nita vor Nievlaj Lensky, und in seltsamer Weise jagt sie ihn schaudernd von sich. Warum? Weil er seinem Vater so ähnlich sieht, und weil Nita an Boris Lensly eine Erfahrung gemacht hat, die sie für ihr ganzes späteres Leben pessimistisch gestimmt hat. Als junges Mädchen hat Nita für den Teufelsgciger, wie ihn die Reklame nennt, geschwärmt. Sie lernte ihn auch persönlich kennen. Der weit ältere Virtuose verliebte sich in sie und bei einer zufällig sich darbietenden Gelegenheit versuchte er, ihr Gewalt anzuthun. Nur ihr Geschrei rettete sie vor seiner Leidenschaft. Und nun ist es sein eigner Sohn, der n»i sie wirbt, er sieht gerade so ans in der Auf¬ regung wie Boris, und sie kaiin den Abscheu nicht überwinden. Der alte Künstler muß nur seinem in diesen Dingen hoch über ihm stehenden Sohne die fchivere Sünde beichten, infolge dessen sich Nieolaj für immer von seinem Vater trennt. Er laßt sich nach Washington versetzen, um ihn zu meiden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/99>, abgerufen am 22.07.2024.