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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Insiizorganisatwn von ^87H in ministerieller Lelenchtnug

Schluß zöge, daß heute an Schreibwerk etwas erspart werde. Es ist allge¬
mein anerkannt, daß trotz der .Mündlichkeit" im heutigen Prozeß weit mehr
geschrieben wird als früher. Nur werden die Schreibereien nicht mehr bei
den Gerichten, sondern bei den Anwülteu angefertigt, wo die Parteien sie derer
bezahlen müssen. Die Gerichtsakten aber füllen sich vorzugsweise durch die
unzähligen ebenso widerwärtigen als nutzlosen Urkunden der Gerichtsvollzieher.
Ein Formelkram ohne gleichen.


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Das Mißverhältnis zwischen den vorhandnen Kräften und den Leistungen
der Justiz ist aber beim Nichterstande noch gering in Vergleich mit dem Mis-
verhältnis, das sich beim Nnwaltsstande ausgebildet hat. Während die Prozesse
sich wesentlich vermindert haben, ist die Zahl der Anwälte gewaltig in die
Hohe gegangen. Wie wir in den Berichten lesen, gab es im Jahre 1879 in
Preußen 1900 Anwälte. Bereits am 1. November 1881 waren sie bis
ans 1'."86 gewachsen. Gleichwohl drückt der Bericht von 1882 noch die
Hoffnung aus, daß die Freigebung der Anwaltschaft -- seit der Organisation
von 1879 darf jeder Geprüfte Anwalt werden, wo er will -- kein übermäßiges
Anwachsen der Anwälte zur Folge haben werde. Diese Hoffnung hat sich als
trügerisch erwiesen. Nach dein neuen Bericht hat sich die Zahl der Anwälte
bis zu Anfang des Jahres 1887 auf 267'", also gegen das Jahr 187!) um
41 Prozent vermehrt. Nun hat ja, wie schon oben bemerkt wurde, die neue
Gesetzgebung die Anwaltsthätigkeit dadurch außerordentlich begünstigt und ver¬
mehrt, daß in allen Sachen über 300 Mark Anwaltszwang eingetreten ist
und daß auch in den geringfügigsten Sachen die Berufung nur durch Anwälte
erhoben werde" kann; ferner daß es keine Zurückweisung ohne Verhandlung
mehr giebt, sondern in jeder Sache, die anhängig gemacht wird, stets zwei An¬
wälte thätig sein müssen. Aber diese ganze Vermehrung der Anwaltsthätigkeit
reicht doch nicht ans, um das Mißverhältnis des Anwachsens der Anwälte
auf der einen und der Verminderung der Prozesse ans der andern Seite ver¬
schwinden zu lassen. Nehmen wir an, daß etwa ein Sechstel der Anwalts¬
thätigkeit ans Strafsachen kommt; so ist mir von Anwälten glaubhaft gesagt
werden. Dann waren zur Bewältigung der Zivilsachen früher 1584 Anwälte
ausreichend. Darnach würden für die um 40 Prozent verminderten Prozesse nach
dem frühern Verfahren !>5>0 Anwälte ausgereicht haben. Statt dessen sind
wenn man auch jetzt von deu vvrhandue" Anwülteu ein Sechstel für
Strafsachen abzieht -- 2233 vorhanden. Es ergiebt sich also ein Überschuß
von Anwaltskräften gegen früher von 135> Prozent. Allerdings ist dieser
Überschuß nicht überall gleichmäßig verteilt. Er macht sich vorzugsweise in
den größer" Städten geltend, wogegen es bei den Amtsgerichten an den
kleinern Orten oft an Anwälten fehlt. Wir werden dnrch die Berichte belehrt,


Grenzboten IV 18"" 11
Die Insiizorganisatwn von ^87H in ministerieller Lelenchtnug

Schluß zöge, daß heute an Schreibwerk etwas erspart werde. Es ist allge¬
mein anerkannt, daß trotz der .Mündlichkeit" im heutigen Prozeß weit mehr
geschrieben wird als früher. Nur werden die Schreibereien nicht mehr bei
den Gerichten, sondern bei den Anwülteu angefertigt, wo die Parteien sie derer
bezahlen müssen. Die Gerichtsakten aber füllen sich vorzugsweise durch die
unzähligen ebenso widerwärtigen als nutzlosen Urkunden der Gerichtsvollzieher.
Ein Formelkram ohne gleichen.


3

Das Mißverhältnis zwischen den vorhandnen Kräften und den Leistungen
der Justiz ist aber beim Nichterstande noch gering in Vergleich mit dem Mis-
verhältnis, das sich beim Nnwaltsstande ausgebildet hat. Während die Prozesse
sich wesentlich vermindert haben, ist die Zahl der Anwälte gewaltig in die
Hohe gegangen. Wie wir in den Berichten lesen, gab es im Jahre 1879 in
Preußen 1900 Anwälte. Bereits am 1. November 1881 waren sie bis
ans 1'.»86 gewachsen. Gleichwohl drückt der Bericht von 1882 noch die
Hoffnung aus, daß die Freigebung der Anwaltschaft — seit der Organisation
von 1879 darf jeder Geprüfte Anwalt werden, wo er will — kein übermäßiges
Anwachsen der Anwälte zur Folge haben werde. Diese Hoffnung hat sich als
trügerisch erwiesen. Nach dein neuen Bericht hat sich die Zahl der Anwälte
bis zu Anfang des Jahres 1887 auf 267'», also gegen das Jahr 187!) um
41 Prozent vermehrt. Nun hat ja, wie schon oben bemerkt wurde, die neue
Gesetzgebung die Anwaltsthätigkeit dadurch außerordentlich begünstigt und ver¬
mehrt, daß in allen Sachen über 300 Mark Anwaltszwang eingetreten ist
und daß auch in den geringfügigsten Sachen die Berufung nur durch Anwälte
erhoben werde» kann; ferner daß es keine Zurückweisung ohne Verhandlung
mehr giebt, sondern in jeder Sache, die anhängig gemacht wird, stets zwei An¬
wälte thätig sein müssen. Aber diese ganze Vermehrung der Anwaltsthätigkeit
reicht doch nicht ans, um das Mißverhältnis des Anwachsens der Anwälte
auf der einen und der Verminderung der Prozesse ans der andern Seite ver¬
schwinden zu lassen. Nehmen wir an, daß etwa ein Sechstel der Anwalts¬
thätigkeit ans Strafsachen kommt; so ist mir von Anwälten glaubhaft gesagt
werden. Dann waren zur Bewältigung der Zivilsachen früher 1584 Anwälte
ausreichend. Darnach würden für die um 40 Prozent verminderten Prozesse nach
dem frühern Verfahren !>5>0 Anwälte ausgereicht haben. Statt dessen sind
wenn man auch jetzt von deu vvrhandue» Anwülteu ein Sechstel für
Strafsachen abzieht — 2233 vorhanden. Es ergiebt sich also ein Überschuß
von Anwaltskräften gegen früher von 135> Prozent. Allerdings ist dieser
Überschuß nicht überall gleichmäßig verteilt. Er macht sich vorzugsweise in
den größer» Städten geltend, wogegen es bei den Amtsgerichten an den
kleinern Orten oft an Anwälten fehlt. Wir werden dnrch die Berichte belehrt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/89>, abgerufen am 22.12.2024.