Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der amerikanische Kongreß und die Monroe-Doktrin

Welt angliedere und deren Kern und Herz bilde, ist in seinen Anfängen schon
ziemlich alten Datums, er äußerte sich bereits, als der nordamerikanische
Staatenbund erst zehn Millionen Bürger umfaßte, schon vor siebzig Jahren,
zwar nur in negativer oder, wenn man will, defensiver Form und diplomatischer
Fassung, aber doch mit hinreichender Deutlichkeit, und zwar in einem Akten¬
stücke, dessen Inhalt und dessen spätere Variationen in Reden, Büchern und
Zeitungen die sogenannte Monroe-Doktrin bilden. Unsre Presse und das ihr
nachsprechende Publikum reden viel von dieser "Lehre," wir zweifeln aber, ob
sie etwas rechtes, ob sie mehr davon wissen, als was mit Benutzung jener
Eselsbrücken davon zu erfahren ist, die in den Konversationslexieis für Redak¬
teure, Leitartikler und Berichterstatter und sonst für "jedermann aus dem
Volke," soweit es wißbegierig ist, bereitstehen, und das ist ausnahmslos ein
recht kärgliches Wissen. So halten wir es nicht für überflüssig, zunächst
einmal ausführlich zu sagen, was es mit der Monroe-Doktrin bei ihrem ersten
öffentlichen Auftreten für eine Bewandtnis hatte.

Es war in der europäischen Restaurationszeit, in den Tagen der heiligen
Allianz. Diese hatte sich mit dein Schwerte der Bourbonen in die Angelegen¬
heiten Spaniens gemischt, wo die Liberalen sich gegen ein thrannisches Königtum
erhoben und ihm eine freisinnige Verfassung und Regierung abgezwungen hatten,
und dort die alte Ordnung wieder hergestellt. Ungefähr zu gleicher Zeit
hatten die amerikanischen Neuspauier das drückende Joch des Mutterlandes
abzuwerfen versucht, nach schweren Kämpfen den Sieg behalten und die Mon¬
archie durch eine Anzahl von Republiken ersetzt, die von der Union im Norden
ohne Verzug anerkannt wurden. Europa zögerte nicht nur damit, sondern
ließ die amerikanischen Politiker anch befürchten, daß wenigstens einige seiner
Mächte es für Recht und Pflicht ansehen könnten, sich auch hier einzumengen
und den politischen Neubildungen ein schleuniges Ende zu machen. Im Hin¬
blick ans diese Gefahr und Not erließ der demokratische Präsident Mvnroe um
2. Dezember 1823 seine siebente Jahresbotschaft an den Senat und das Re¬
präsentantenhaus der Vereinigten Staaten, worin er nach Erörterung innerer
Fragen der Angelegenheit ausführlich gedachte und die Stellung der nord-
amerikanischen Union zu ihr darlegte. Die betreffende Stelle seiner Ansprache
lautet in deutscher Übersetzung:

Bei Beginn der letzten Session wurde berichtet, daß man in Spanien und
Portugal große Anstrengungen mache, die Lage des Volkes dieser Länder zu ver¬
bessern, und daß man dabei mit außerordentlicher Mäßigung zu Werke zu gehen
scheine. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß das Ergebnis bis jetzt sehr ver¬
schieden von dem gewesen ist, was damals erwartet wurde. Allezeit haben nur
den Ereignissen in der Gegend der Welt, mit der Nur so viel Verkehr Pflege", und
von der wir unsern Ursprung ableiten j Amerika als Ganzes ist natürlich gemeint,
nicht Spanien und Portugal, wie man ans der unmittelbaren Anknüpfung an das
Vorhergehende schließen lvuutej, als lebhaft teilnehmende und dabei interessirte Zu-


Der amerikanische Kongreß und die Monroe-Doktrin

Welt angliedere und deren Kern und Herz bilde, ist in seinen Anfängen schon
ziemlich alten Datums, er äußerte sich bereits, als der nordamerikanische
Staatenbund erst zehn Millionen Bürger umfaßte, schon vor siebzig Jahren,
zwar nur in negativer oder, wenn man will, defensiver Form und diplomatischer
Fassung, aber doch mit hinreichender Deutlichkeit, und zwar in einem Akten¬
stücke, dessen Inhalt und dessen spätere Variationen in Reden, Büchern und
Zeitungen die sogenannte Monroe-Doktrin bilden. Unsre Presse und das ihr
nachsprechende Publikum reden viel von dieser „Lehre," wir zweifeln aber, ob
sie etwas rechtes, ob sie mehr davon wissen, als was mit Benutzung jener
Eselsbrücken davon zu erfahren ist, die in den Konversationslexieis für Redak¬
teure, Leitartikler und Berichterstatter und sonst für „jedermann aus dem
Volke," soweit es wißbegierig ist, bereitstehen, und das ist ausnahmslos ein
recht kärgliches Wissen. So halten wir es nicht für überflüssig, zunächst
einmal ausführlich zu sagen, was es mit der Monroe-Doktrin bei ihrem ersten
öffentlichen Auftreten für eine Bewandtnis hatte.

Es war in der europäischen Restaurationszeit, in den Tagen der heiligen
Allianz. Diese hatte sich mit dein Schwerte der Bourbonen in die Angelegen¬
heiten Spaniens gemischt, wo die Liberalen sich gegen ein thrannisches Königtum
erhoben und ihm eine freisinnige Verfassung und Regierung abgezwungen hatten,
und dort die alte Ordnung wieder hergestellt. Ungefähr zu gleicher Zeit
hatten die amerikanischen Neuspauier das drückende Joch des Mutterlandes
abzuwerfen versucht, nach schweren Kämpfen den Sieg behalten und die Mon¬
archie durch eine Anzahl von Republiken ersetzt, die von der Union im Norden
ohne Verzug anerkannt wurden. Europa zögerte nicht nur damit, sondern
ließ die amerikanischen Politiker anch befürchten, daß wenigstens einige seiner
Mächte es für Recht und Pflicht ansehen könnten, sich auch hier einzumengen
und den politischen Neubildungen ein schleuniges Ende zu machen. Im Hin¬
blick ans diese Gefahr und Not erließ der demokratische Präsident Mvnroe um
2. Dezember 1823 seine siebente Jahresbotschaft an den Senat und das Re¬
präsentantenhaus der Vereinigten Staaten, worin er nach Erörterung innerer
Fragen der Angelegenheit ausführlich gedachte und die Stellung der nord-
amerikanischen Union zu ihr darlegte. Die betreffende Stelle seiner Ansprache
lautet in deutscher Übersetzung:

Bei Beginn der letzten Session wurde berichtet, daß man in Spanien und
Portugal große Anstrengungen mache, die Lage des Volkes dieser Länder zu ver¬
bessern, und daß man dabei mit außerordentlicher Mäßigung zu Werke zu gehen
scheine. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß das Ergebnis bis jetzt sehr ver¬
schieden von dem gewesen ist, was damals erwartet wurde. Allezeit haben nur
den Ereignissen in der Gegend der Welt, mit der Nur so viel Verkehr Pflege», und
von der wir unsern Ursprung ableiten j Amerika als Ganzes ist natürlich gemeint,
nicht Spanien und Portugal, wie man ans der unmittelbaren Anknüpfung an das
Vorhergehende schließen lvuutej, als lebhaft teilnehmende und dabei interessirte Zu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206065"/>
          <fw type="header" place="top"> Der amerikanische Kongreß und die Monroe-Doktrin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_249" prev="#ID_248"> Welt angliedere und deren Kern und Herz bilde, ist in seinen Anfängen schon<lb/>
ziemlich alten Datums, er äußerte sich bereits, als der nordamerikanische<lb/>
Staatenbund erst zehn Millionen Bürger umfaßte, schon vor siebzig Jahren,<lb/>
zwar nur in negativer oder, wenn man will, defensiver Form und diplomatischer<lb/>
Fassung, aber doch mit hinreichender Deutlichkeit, und zwar in einem Akten¬<lb/>
stücke, dessen Inhalt und dessen spätere Variationen in Reden, Büchern und<lb/>
Zeitungen die sogenannte Monroe-Doktrin bilden. Unsre Presse und das ihr<lb/>
nachsprechende Publikum reden viel von dieser &#x201E;Lehre," wir zweifeln aber, ob<lb/>
sie etwas rechtes, ob sie mehr davon wissen, als was mit Benutzung jener<lb/>
Eselsbrücken davon zu erfahren ist, die in den Konversationslexieis für Redak¬<lb/>
teure, Leitartikler und Berichterstatter und sonst für &#x201E;jedermann aus dem<lb/>
Volke," soweit es wißbegierig ist, bereitstehen, und das ist ausnahmslos ein<lb/>
recht kärgliches Wissen. So halten wir es nicht für überflüssig, zunächst<lb/>
einmal ausführlich zu sagen, was es mit der Monroe-Doktrin bei ihrem ersten<lb/>
öffentlichen Auftreten für eine Bewandtnis hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_250"> Es war in der europäischen Restaurationszeit, in den Tagen der heiligen<lb/>
Allianz. Diese hatte sich mit dein Schwerte der Bourbonen in die Angelegen¬<lb/>
heiten Spaniens gemischt, wo die Liberalen sich gegen ein thrannisches Königtum<lb/>
erhoben und ihm eine freisinnige Verfassung und Regierung abgezwungen hatten,<lb/>
und dort die alte Ordnung wieder hergestellt. Ungefähr zu gleicher Zeit<lb/>
hatten die amerikanischen Neuspauier das drückende Joch des Mutterlandes<lb/>
abzuwerfen versucht, nach schweren Kämpfen den Sieg behalten und die Mon¬<lb/>
archie durch eine Anzahl von Republiken ersetzt, die von der Union im Norden<lb/>
ohne Verzug anerkannt wurden. Europa zögerte nicht nur damit, sondern<lb/>
ließ die amerikanischen Politiker anch befürchten, daß wenigstens einige seiner<lb/>
Mächte es für Recht und Pflicht ansehen könnten, sich auch hier einzumengen<lb/>
und den politischen Neubildungen ein schleuniges Ende zu machen. Im Hin¬<lb/>
blick ans diese Gefahr und Not erließ der demokratische Präsident Mvnroe um<lb/>
2. Dezember 1823 seine siebente Jahresbotschaft an den Senat und das Re¬<lb/>
präsentantenhaus der Vereinigten Staaten, worin er nach Erörterung innerer<lb/>
Fragen der Angelegenheit ausführlich gedachte und die Stellung der nord-<lb/>
amerikanischen Union zu ihr darlegte. Die betreffende Stelle seiner Ansprache<lb/>
lautet in deutscher Übersetzung:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_251" next="#ID_252"> Bei Beginn der letzten Session wurde berichtet, daß man in Spanien und<lb/>
Portugal große Anstrengungen mache, die Lage des Volkes dieser Länder zu ver¬<lb/>
bessern, und daß man dabei mit außerordentlicher Mäßigung zu Werke zu gehen<lb/>
scheine. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß das Ergebnis bis jetzt sehr ver¬<lb/>
schieden von dem gewesen ist, was damals erwartet wurde. Allezeit haben nur<lb/>
den Ereignissen in der Gegend der Welt, mit der Nur so viel Verkehr Pflege», und<lb/>
von der wir unsern Ursprung ableiten j Amerika als Ganzes ist natürlich gemeint,<lb/>
nicht Spanien und Portugal, wie man ans der unmittelbaren Anknüpfung an das<lb/>
Vorhergehende schließen lvuutej, als lebhaft teilnehmende und dabei interessirte Zu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] Der amerikanische Kongreß und die Monroe-Doktrin Welt angliedere und deren Kern und Herz bilde, ist in seinen Anfängen schon ziemlich alten Datums, er äußerte sich bereits, als der nordamerikanische Staatenbund erst zehn Millionen Bürger umfaßte, schon vor siebzig Jahren, zwar nur in negativer oder, wenn man will, defensiver Form und diplomatischer Fassung, aber doch mit hinreichender Deutlichkeit, und zwar in einem Akten¬ stücke, dessen Inhalt und dessen spätere Variationen in Reden, Büchern und Zeitungen die sogenannte Monroe-Doktrin bilden. Unsre Presse und das ihr nachsprechende Publikum reden viel von dieser „Lehre," wir zweifeln aber, ob sie etwas rechtes, ob sie mehr davon wissen, als was mit Benutzung jener Eselsbrücken davon zu erfahren ist, die in den Konversationslexieis für Redak¬ teure, Leitartikler und Berichterstatter und sonst für „jedermann aus dem Volke," soweit es wißbegierig ist, bereitstehen, und das ist ausnahmslos ein recht kärgliches Wissen. So halten wir es nicht für überflüssig, zunächst einmal ausführlich zu sagen, was es mit der Monroe-Doktrin bei ihrem ersten öffentlichen Auftreten für eine Bewandtnis hatte. Es war in der europäischen Restaurationszeit, in den Tagen der heiligen Allianz. Diese hatte sich mit dein Schwerte der Bourbonen in die Angelegen¬ heiten Spaniens gemischt, wo die Liberalen sich gegen ein thrannisches Königtum erhoben und ihm eine freisinnige Verfassung und Regierung abgezwungen hatten, und dort die alte Ordnung wieder hergestellt. Ungefähr zu gleicher Zeit hatten die amerikanischen Neuspauier das drückende Joch des Mutterlandes abzuwerfen versucht, nach schweren Kämpfen den Sieg behalten und die Mon¬ archie durch eine Anzahl von Republiken ersetzt, die von der Union im Norden ohne Verzug anerkannt wurden. Europa zögerte nicht nur damit, sondern ließ die amerikanischen Politiker anch befürchten, daß wenigstens einige seiner Mächte es für Recht und Pflicht ansehen könnten, sich auch hier einzumengen und den politischen Neubildungen ein schleuniges Ende zu machen. Im Hin¬ blick ans diese Gefahr und Not erließ der demokratische Präsident Mvnroe um 2. Dezember 1823 seine siebente Jahresbotschaft an den Senat und das Re¬ präsentantenhaus der Vereinigten Staaten, worin er nach Erörterung innerer Fragen der Angelegenheit ausführlich gedachte und die Stellung der nord- amerikanischen Union zu ihr darlegte. Die betreffende Stelle seiner Ansprache lautet in deutscher Übersetzung: Bei Beginn der letzten Session wurde berichtet, daß man in Spanien und Portugal große Anstrengungen mache, die Lage des Volkes dieser Länder zu ver¬ bessern, und daß man dabei mit außerordentlicher Mäßigung zu Werke zu gehen scheine. Es bedarf kaum der Bemerkung, daß das Ergebnis bis jetzt sehr ver¬ schieden von dem gewesen ist, was damals erwartet wurde. Allezeit haben nur den Ereignissen in der Gegend der Welt, mit der Nur so viel Verkehr Pflege», und von der wir unsern Ursprung ableiten j Amerika als Ganzes ist natürlich gemeint, nicht Spanien und Portugal, wie man ans der unmittelbaren Anknüpfung an das Vorhergehende schließen lvuutej, als lebhaft teilnehmende und dabei interessirte Zu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/66>, abgerufen am 28.06.2024.