Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Baron Frederik

Oh, das hat noch Zeit. Ich komme nie zu spät, ich bin in meinem
ganzen Leben noch nicht zu spät gekommen. Adieu, lieber Freund, adieu!

Am nächsten Tage ging ich des Nachmittags hinaus; ich war eigentlich
mehr als neugierig, zu wissen, ob die Entscheidung gefallen sei, aber es war
keine Hoffnung, den Baron jetzt zu treffen, denn um diese Zeit hielt er ja sein
Mittagsschläfchen, und ihn zu Hause aufsuchen wollte ich natürlicherweise nicht.
Zu meinem größten Erstaunen sah ich ihn aber doch plötzlich auf der staubigen
Landstraße gewandert kommen, es war also offenbar, daß etwas vorgefallen
war! Er sah fast noch zusammengeklappter aus als der getreue Regenschirm,
den er in der Hand hielt, und ich konnte deshalb weder fragen noch gratuliren,
aber er brach selbst das Schweigen, als er mich sah, und sagte: Ja, es ist
Ihnen unmöglich, vollständig unmöglich, zu denken, was geschehen ist! Und
wem: Sie sich auf den Kopf stellten, Sie errieten es nicht! Frauenzimmer sind
Frauenzimmer, wie mein seliger Vater sagte, und darin hatte er Recht! Denken.
Sie sich, wenn Sie es können, was geschehen ist! Ich rufe also die kleine
Marie zu mir herauf, wie ich mir vorgenommen hatte, und teile ihr mit,
welchen Entschluß ich gefaßt habe. Aber was glauben Sie wohl, das sie
antwortete? Ja, es ist ganz unmöglich, sich das vorzustellen: sie antwortete,
so war ich ein Sünder vor Gott bin, daß sie schon einen Liebsten hätte und
daß ich zu spät käme! Nun bitte ich Sie, zu bedenken, daß ich ihr anbiete,
sie zu meiner Fran zu machen, und sie antwortet, daß sie nicht Null! -- Im
übrigen ist es aber doch ein deutlicher Beweis, welches determinirte Frauen¬
zimmer sie ist. Wie beliebt? Aber das ist doch komplett lächerlich! Lullnist
es auch ärgerlich; ich versichere Ihnen, ich habe mich mehr über die ganze
Geschichte geärgert, als sie wert ist.

Und der alte Kavalier wischte sich eine Thräne aus dem Auge, so hatte
er sich geärgert.

Ich kaun natürlicherweise nicht im Gasthofe wohnen bleiben, fuhr er fort,
ich ziehe aus. Meine Verhältnisse haben sich auch ein gutes Teil geändert,
seitdem ich meinen Onkel, den Hofjägermeister, beerbt habe, ich ziehe nach der
Stadt. Sehen Sie, ich kalkulire so: wenn Marie sich verheiratet, ein Hochzeits¬
geschenk -- onem, aber zum Gevatterstehen, da habe ich denn doch keine Lust!




Ich sah Baron Frederik zum letztenmal', als ich von Oberhof abreiste.
Während ich mich der Stelle näherte, wo der Zug die Chaussee kreuzt, bog
ich mich zum Coupeefenster hinaus. Es goß in Strömen, aber unter dem auf¬
gespannten Regenschirm stand mein alter Freund, steif und stramm -- er kommt
ja nie zu spät.




Baron Frederik

Oh, das hat noch Zeit. Ich komme nie zu spät, ich bin in meinem
ganzen Leben noch nicht zu spät gekommen. Adieu, lieber Freund, adieu!

Am nächsten Tage ging ich des Nachmittags hinaus; ich war eigentlich
mehr als neugierig, zu wissen, ob die Entscheidung gefallen sei, aber es war
keine Hoffnung, den Baron jetzt zu treffen, denn um diese Zeit hielt er ja sein
Mittagsschläfchen, und ihn zu Hause aufsuchen wollte ich natürlicherweise nicht.
Zu meinem größten Erstaunen sah ich ihn aber doch plötzlich auf der staubigen
Landstraße gewandert kommen, es war also offenbar, daß etwas vorgefallen
war! Er sah fast noch zusammengeklappter aus als der getreue Regenschirm,
den er in der Hand hielt, und ich konnte deshalb weder fragen noch gratuliren,
aber er brach selbst das Schweigen, als er mich sah, und sagte: Ja, es ist
Ihnen unmöglich, vollständig unmöglich, zu denken, was geschehen ist! Und
wem: Sie sich auf den Kopf stellten, Sie errieten es nicht! Frauenzimmer sind
Frauenzimmer, wie mein seliger Vater sagte, und darin hatte er Recht! Denken.
Sie sich, wenn Sie es können, was geschehen ist! Ich rufe also die kleine
Marie zu mir herauf, wie ich mir vorgenommen hatte, und teile ihr mit,
welchen Entschluß ich gefaßt habe. Aber was glauben Sie wohl, das sie
antwortete? Ja, es ist ganz unmöglich, sich das vorzustellen: sie antwortete,
so war ich ein Sünder vor Gott bin, daß sie schon einen Liebsten hätte und
daß ich zu spät käme! Nun bitte ich Sie, zu bedenken, daß ich ihr anbiete,
sie zu meiner Fran zu machen, und sie antwortet, daß sie nicht Null! — Im
übrigen ist es aber doch ein deutlicher Beweis, welches determinirte Frauen¬
zimmer sie ist. Wie beliebt? Aber das ist doch komplett lächerlich! Lullnist
es auch ärgerlich; ich versichere Ihnen, ich habe mich mehr über die ganze
Geschichte geärgert, als sie wert ist.

Und der alte Kavalier wischte sich eine Thräne aus dem Auge, so hatte
er sich geärgert.

Ich kaun natürlicherweise nicht im Gasthofe wohnen bleiben, fuhr er fort,
ich ziehe aus. Meine Verhältnisse haben sich auch ein gutes Teil geändert,
seitdem ich meinen Onkel, den Hofjägermeister, beerbt habe, ich ziehe nach der
Stadt. Sehen Sie, ich kalkulire so: wenn Marie sich verheiratet, ein Hochzeits¬
geschenk — onem, aber zum Gevatterstehen, da habe ich denn doch keine Lust!




Ich sah Baron Frederik zum letztenmal', als ich von Oberhof abreiste.
Während ich mich der Stelle näherte, wo der Zug die Chaussee kreuzt, bog
ich mich zum Coupeefenster hinaus. Es goß in Strömen, aber unter dem auf¬
gespannten Regenschirm stand mein alter Freund, steif und stramm — er kommt
ja nie zu spät.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0627" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206626"/>
          <fw type="header" place="top"> Baron Frederik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2089"> Oh, das hat noch Zeit. Ich komme nie zu spät, ich bin in meinem<lb/>
ganzen Leben noch nicht zu spät gekommen.  Adieu, lieber Freund, adieu!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2090"> Am nächsten Tage ging ich des Nachmittags hinaus; ich war eigentlich<lb/>
mehr als neugierig, zu wissen, ob die Entscheidung gefallen sei, aber es war<lb/>
keine Hoffnung, den Baron jetzt zu treffen, denn um diese Zeit hielt er ja sein<lb/>
Mittagsschläfchen, und ihn zu Hause aufsuchen wollte ich natürlicherweise nicht.<lb/>
Zu meinem größten Erstaunen sah ich ihn aber doch plötzlich auf der staubigen<lb/>
Landstraße gewandert kommen, es war also offenbar, daß etwas vorgefallen<lb/>
war! Er sah fast noch zusammengeklappter aus als der getreue Regenschirm,<lb/>
den er in der Hand hielt, und ich konnte deshalb weder fragen noch gratuliren,<lb/>
aber er brach selbst das Schweigen, als er mich sah, und sagte: Ja, es ist<lb/>
Ihnen unmöglich, vollständig unmöglich, zu denken, was geschehen ist! Und<lb/>
wem: Sie sich auf den Kopf stellten, Sie errieten es nicht! Frauenzimmer sind<lb/>
Frauenzimmer, wie mein seliger Vater sagte, und darin hatte er Recht! Denken.<lb/>
Sie sich, wenn Sie es können, was geschehen ist! Ich rufe also die kleine<lb/>
Marie zu mir herauf, wie ich mir vorgenommen hatte, und teile ihr mit,<lb/>
welchen Entschluß ich gefaßt habe. Aber was glauben Sie wohl, das sie<lb/>
antwortete? Ja, es ist ganz unmöglich, sich das vorzustellen: sie antwortete,<lb/>
so war ich ein Sünder vor Gott bin, daß sie schon einen Liebsten hätte und<lb/>
daß ich zu spät käme! Nun bitte ich Sie, zu bedenken, daß ich ihr anbiete,<lb/>
sie zu meiner Fran zu machen, und sie antwortet, daß sie nicht Null! &#x2014; Im<lb/>
übrigen ist es aber doch ein deutlicher Beweis, welches determinirte Frauen¬<lb/>
zimmer sie ist. Wie beliebt? Aber das ist doch komplett lächerlich! Lullnist<lb/>
es auch ärgerlich; ich versichere Ihnen, ich habe mich mehr über die ganze<lb/>
Geschichte geärgert, als sie wert ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2091"> Und der alte Kavalier wischte sich eine Thräne aus dem Auge, so hatte<lb/>
er sich geärgert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2092"> Ich kaun natürlicherweise nicht im Gasthofe wohnen bleiben, fuhr er fort,<lb/>
ich ziehe aus. Meine Verhältnisse haben sich auch ein gutes Teil geändert,<lb/>
seitdem ich meinen Onkel, den Hofjägermeister, beerbt habe, ich ziehe nach der<lb/>
Stadt. Sehen Sie, ich kalkulire so: wenn Marie sich verheiratet, ein Hochzeits¬<lb/>
geschenk &#x2014; onem, aber zum Gevatterstehen, da habe ich denn doch keine Lust!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2093"> Ich sah Baron Frederik zum letztenmal', als ich von Oberhof abreiste.<lb/>
Während ich mich der Stelle näherte, wo der Zug die Chaussee kreuzt, bog<lb/>
ich mich zum Coupeefenster hinaus. Es goß in Strömen, aber unter dem auf¬<lb/>
gespannten Regenschirm stand mein alter Freund, steif und stramm &#x2014; er kommt<lb/>
ja nie zu spät.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0627] Baron Frederik Oh, das hat noch Zeit. Ich komme nie zu spät, ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht zu spät gekommen. Adieu, lieber Freund, adieu! Am nächsten Tage ging ich des Nachmittags hinaus; ich war eigentlich mehr als neugierig, zu wissen, ob die Entscheidung gefallen sei, aber es war keine Hoffnung, den Baron jetzt zu treffen, denn um diese Zeit hielt er ja sein Mittagsschläfchen, und ihn zu Hause aufsuchen wollte ich natürlicherweise nicht. Zu meinem größten Erstaunen sah ich ihn aber doch plötzlich auf der staubigen Landstraße gewandert kommen, es war also offenbar, daß etwas vorgefallen war! Er sah fast noch zusammengeklappter aus als der getreue Regenschirm, den er in der Hand hielt, und ich konnte deshalb weder fragen noch gratuliren, aber er brach selbst das Schweigen, als er mich sah, und sagte: Ja, es ist Ihnen unmöglich, vollständig unmöglich, zu denken, was geschehen ist! Und wem: Sie sich auf den Kopf stellten, Sie errieten es nicht! Frauenzimmer sind Frauenzimmer, wie mein seliger Vater sagte, und darin hatte er Recht! Denken. Sie sich, wenn Sie es können, was geschehen ist! Ich rufe also die kleine Marie zu mir herauf, wie ich mir vorgenommen hatte, und teile ihr mit, welchen Entschluß ich gefaßt habe. Aber was glauben Sie wohl, das sie antwortete? Ja, es ist ganz unmöglich, sich das vorzustellen: sie antwortete, so war ich ein Sünder vor Gott bin, daß sie schon einen Liebsten hätte und daß ich zu spät käme! Nun bitte ich Sie, zu bedenken, daß ich ihr anbiete, sie zu meiner Fran zu machen, und sie antwortet, daß sie nicht Null! — Im übrigen ist es aber doch ein deutlicher Beweis, welches determinirte Frauen¬ zimmer sie ist. Wie beliebt? Aber das ist doch komplett lächerlich! Lullnist es auch ärgerlich; ich versichere Ihnen, ich habe mich mehr über die ganze Geschichte geärgert, als sie wert ist. Und der alte Kavalier wischte sich eine Thräne aus dem Auge, so hatte er sich geärgert. Ich kaun natürlicherweise nicht im Gasthofe wohnen bleiben, fuhr er fort, ich ziehe aus. Meine Verhältnisse haben sich auch ein gutes Teil geändert, seitdem ich meinen Onkel, den Hofjägermeister, beerbt habe, ich ziehe nach der Stadt. Sehen Sie, ich kalkulire so: wenn Marie sich verheiratet, ein Hochzeits¬ geschenk — onem, aber zum Gevatterstehen, da habe ich denn doch keine Lust! Ich sah Baron Frederik zum letztenmal', als ich von Oberhof abreiste. Während ich mich der Stelle näherte, wo der Zug die Chaussee kreuzt, bog ich mich zum Coupeefenster hinaus. Es goß in Strömen, aber unter dem auf¬ gespannten Regenschirm stand mein alter Freund, steif und stramm — er kommt ja nie zu spät.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/627
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/627>, abgerufen am 30.06.2024.