Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Hunderts hatte man unter dem Einflüsse der Romantiker die mittelalterliche, Die innerliche Verflechtung des Lebens und Wirkens Luthers, dessen Bild Hunderts hatte man unter dem Einflüsse der Romantiker die mittelalterliche, Die innerliche Verflechtung des Lebens und Wirkens Luthers, dessen Bild <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206617"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2026" prev="#ID_2025"> Hunderts hatte man unter dem Einflüsse der Romantiker die mittelalterliche,<lb/> auf die Beherrschung Italiens gerichtete Kaiserpolitik als die glänzendste Kraft¬<lb/> entfaltung der „edeln, schönen Ritterzeit" gepriesen, seit der Mitte des Jahr¬<lb/> hunderts hatte, unter dem Eindrucke des Mißlingens des deutschen Einheits¬<lb/> werkes, die entgegengesetzte Auffassung Platz gegriffen, daß die italienische Politik<lb/> der Kaiser, weil sie von der unmittelbaren Fürsorge für eine lebensfähige<lb/> Reichsverfassung abgelenkt habe, eine verfehlte gewesen sei. Kaemmel zeigt,<lb/> daß die Beherrschung Italiens und des Papsttums notwendig war, weil die<lb/> deutsche Verfassung auf der freien Verfügung des Königs über die wirtschaft¬<lb/> lichen Kräfte der Kirche beruhte; auch brauchten die überschießeuden kriegerischen<lb/> Kräfte des Volkes ein Arbeitsfeld, sowie jetzt die überfließende gewerbliche<lb/> Produktion das deutsche Volk zur Gründung von Handelskolonien gedrängt<lb/> hat und die allgemeine Übervölkerung den Mangel an Ackerbaukolonien schwer<lb/> empfinden läßt; „was Italien für die Deutschen war, das ist um dieselbe Zeit<lb/> Südfrankreich für England oder noch früher England für die Normandie ge¬<lb/> wesen. In diesen Kämpfen sind die Deutschen zu einer Nation zusammen¬<lb/> gewachsen, haben sich durchdrungen mit dem stolzen Gefühl des Aufschwungs<lb/> und der Kraft, haben, von ihm getragen und angeregt durch die engen Be¬<lb/> ziehungen mit den Ländern der höhern, romanischen Kultur, zum erstenmale<lb/> in Kunst und Dichtung eiuen glänzenden Höhepunkt erreicht und zugleich den<lb/> Schritt von der bäuerlich-adlichen Naturalwirtschaft zum städtischen Leben, zur<lb/> Geldwirtschaft gethan." Die wärmste Begeisterung für die deutsche Sache,<lb/> gepaart mit sittlichem Ernste und tiefer Religiosität, durchwehen das ganze<lb/> Buch; sie erheben und erquicken den Leser, besonders in der Erzählung der<lb/> deutschen Erhebung gegen Napoleon und in der Darstellung der Reformation.</p><lb/> <p xml:id="ID_2027"> Die innerliche Verflechtung des Lebens und Wirkens Luthers, dessen Bild<lb/> als das eines Gottesmnnnes und doch zugleich auch als eiues mitten unter<lb/> seinen Volksgenossen stehenden Deutschen gezeichnet ist, mit der gleichzeitigen<lb/> Geschichte des deutschen Volkes gehört zu den ergreifendsten Stücken des Buches,<lb/> ebenso die scharfen und packenden Charakteristiken von Karl dem Großen,<lb/> Heinrich IV., Friedrich Barbarossa, Gustav Adolf, Wollenstein, Friedrich<lb/> dem Großen, Friedrich Wilhelm IV. und die von Wilhelm I., die den letzten<lb/> Abschnitt des Buches „Die Gründung des neuen deutschen Reiches" eröffnet.<lb/> Endlich möchte ich noch auf die gedrüngteu Übersichten hinweisen, die Kaemmel<lb/> am Eingange oder an, Ende größerer Abschnitte einschiebt. Sie sind so gedanken¬<lb/> schwer und wuchtig, daß ihr volles Verständnis allerdings nur dem vor¬<lb/> geschrittenen Laien klar werden wird; auch zeigen sie im Ausdruck, z. B. im<lb/> Gebrauche der Pronomina, manches Eigenartige. Übrigens aber sind gerade<lb/> diese Stellen Meisterstücke des historischen Denkens und zeigen anch am deut¬<lb/> lichsten die Meisterschaft, womit der Verfasser über die reichen Mittel der<lb/> deutschen Sprache verfügt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0618]
Hunderts hatte man unter dem Einflüsse der Romantiker die mittelalterliche,
auf die Beherrschung Italiens gerichtete Kaiserpolitik als die glänzendste Kraft¬
entfaltung der „edeln, schönen Ritterzeit" gepriesen, seit der Mitte des Jahr¬
hunderts hatte, unter dem Eindrucke des Mißlingens des deutschen Einheits¬
werkes, die entgegengesetzte Auffassung Platz gegriffen, daß die italienische Politik
der Kaiser, weil sie von der unmittelbaren Fürsorge für eine lebensfähige
Reichsverfassung abgelenkt habe, eine verfehlte gewesen sei. Kaemmel zeigt,
daß die Beherrschung Italiens und des Papsttums notwendig war, weil die
deutsche Verfassung auf der freien Verfügung des Königs über die wirtschaft¬
lichen Kräfte der Kirche beruhte; auch brauchten die überschießeuden kriegerischen
Kräfte des Volkes ein Arbeitsfeld, sowie jetzt die überfließende gewerbliche
Produktion das deutsche Volk zur Gründung von Handelskolonien gedrängt
hat und die allgemeine Übervölkerung den Mangel an Ackerbaukolonien schwer
empfinden läßt; „was Italien für die Deutschen war, das ist um dieselbe Zeit
Südfrankreich für England oder noch früher England für die Normandie ge¬
wesen. In diesen Kämpfen sind die Deutschen zu einer Nation zusammen¬
gewachsen, haben sich durchdrungen mit dem stolzen Gefühl des Aufschwungs
und der Kraft, haben, von ihm getragen und angeregt durch die engen Be¬
ziehungen mit den Ländern der höhern, romanischen Kultur, zum erstenmale
in Kunst und Dichtung eiuen glänzenden Höhepunkt erreicht und zugleich den
Schritt von der bäuerlich-adlichen Naturalwirtschaft zum städtischen Leben, zur
Geldwirtschaft gethan." Die wärmste Begeisterung für die deutsche Sache,
gepaart mit sittlichem Ernste und tiefer Religiosität, durchwehen das ganze
Buch; sie erheben und erquicken den Leser, besonders in der Erzählung der
deutschen Erhebung gegen Napoleon und in der Darstellung der Reformation.
Die innerliche Verflechtung des Lebens und Wirkens Luthers, dessen Bild
als das eines Gottesmnnnes und doch zugleich auch als eiues mitten unter
seinen Volksgenossen stehenden Deutschen gezeichnet ist, mit der gleichzeitigen
Geschichte des deutschen Volkes gehört zu den ergreifendsten Stücken des Buches,
ebenso die scharfen und packenden Charakteristiken von Karl dem Großen,
Heinrich IV., Friedrich Barbarossa, Gustav Adolf, Wollenstein, Friedrich
dem Großen, Friedrich Wilhelm IV. und die von Wilhelm I., die den letzten
Abschnitt des Buches „Die Gründung des neuen deutschen Reiches" eröffnet.
Endlich möchte ich noch auf die gedrüngteu Übersichten hinweisen, die Kaemmel
am Eingange oder an, Ende größerer Abschnitte einschiebt. Sie sind so gedanken¬
schwer und wuchtig, daß ihr volles Verständnis allerdings nur dem vor¬
geschrittenen Laien klar werden wird; auch zeigen sie im Ausdruck, z. B. im
Gebrauche der Pronomina, manches Eigenartige. Übrigens aber sind gerade
diese Stellen Meisterstücke des historischen Denkens und zeigen anch am deut¬
lichsten die Meisterschaft, womit der Verfasser über die reichen Mittel der
deutschen Sprache verfügt.
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