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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle und Darwin

Vermag. Vielleicht ist die Thorheit meines Wagnisses von dem sittlichen Bor-
Wurfe der Anmaßung nicht freizusprechen. Trotzdem vermag ich sie nicht zu
bedauern, sondern mochte vielmehr meine ursprüngliche Stimmung nochmals
zurückrufen, denn es giebt kein größeres Glück als eine Hoffnung, deren
Schwung noch durch keine Enttäuschung gelähmt ist. "Nun sind sie dahin,
diese Gesichte einer ungezügelten Einbildungskraft! Dies Geständnis verursacht
mir Pein, aber ich darf es dem Leser nicht vorenthalten, damit er nicht des
irrigen Glaubens lebe, ich würde in diesem oder in einem etma noch folgenden
Bande meiner Geschichte Kleider folgte keiner mehr; der Tod zerriß den an¬
gesponnenen Fadenj mein Besprechen einlösen. Etwas menigstenS hoffe ich
zu vollenden, was die Denker der Gegenwart anregen und der Zukunft eine
Grundlage darbieten wird, auf der sie weiter bauen kaun." Dieses Etwas,
die Analyse der schottischen Volksseele, hat er denn anch vollendet.

Denken wir einige der wichtigsten Aufschlüsse, die er giebt, wenigstens an.
Im 14. Kapitel erklärt er die Unvermeidlichkeit des Sturzes der Jesuiten in
Frankreich ans der Wiederbelebung des Jauseuismns, der, wie er denn aus
dem kalvinistischen Holland stammte, wesentlich Kalvinismus war. Der Kal¬
vinismus ist nämlich demokratisch, während der Katholizismus (den Buckle in
diesem Abschnitt, um den Gegensatz zum Kalvinismus hervorzuheben, stets
Arminianismus nennt) ein aristokratisches Gepräge trägt. Der Kalvinismus
ist eine Religion für die Armen, der Arminianismus eine Lehre für die Reichen.
Denn eine Lehre, die nur Glauben fordert, ist offenbar wohlfeiler als eine, die
Werke fordert. Der Kalviuist wird seine Sünde durch die Kraft des Glaubens
los, der Arminianer muß sie durch äußere Leistungen tilgen, und wo der
Klerus die Macht hat, da nehmen diese Leistungen stets die Richtung ans Be¬
reicherung der Priester und Ausstattung der Gotteshäuser. Aber selbst wenn
Werke der Nächstenliebe gefordert werden, machen diese die Religion kostspieliger,
als sie bei den Kalvinisten ist, bei .denen jeder die Liebe auf seine eigne Person
beschränkt. Die Aristokraten sind prnickliebeud und ziehen daher den katho¬
lischen Gottesdienst vor. "Der gemeine Manu liebt den gottesdienstlichen
Pomp nicht weniger als die Vornehmen, allein er bezahlt nicht gern dafür,
und er weiß, daß eine zahlreiche Priesterschaft und großartige, reich geschmückte
Kirchen einen bedeutenden Teil des Wohlstandes verschlingen, der ohne sie
ungeschmälert seiner Hütte zufließen würde." Der Kalvinist blickt mehr in
sein Inneres, der Arminianer mehr auf andre; jener ist daher engherziger,
aber nicht so knechtisch wie dieser; seiner eignen persönlichen Bedeutung sich
bewußt, unabhängig im Denken, fragt er nicht nach Altertum, Überlieferung
und Autorität. Die Lehre von der Unfreiheit des Willens offenbart ihm die
Gesetzmäßigkeit alles Geschehens; trotz arger Verirrungen, die sie erzeugt, ist
sie daher der Wissenschaft förderlich, während die Arminianer mehr den Künsten
zuneigen. Die Hauptvertreter deo Arminianismus, die Jesuiten, mußten wohl


Buckle und Darwin

Vermag. Vielleicht ist die Thorheit meines Wagnisses von dem sittlichen Bor-
Wurfe der Anmaßung nicht freizusprechen. Trotzdem vermag ich sie nicht zu
bedauern, sondern mochte vielmehr meine ursprüngliche Stimmung nochmals
zurückrufen, denn es giebt kein größeres Glück als eine Hoffnung, deren
Schwung noch durch keine Enttäuschung gelähmt ist. „Nun sind sie dahin,
diese Gesichte einer ungezügelten Einbildungskraft! Dies Geständnis verursacht
mir Pein, aber ich darf es dem Leser nicht vorenthalten, damit er nicht des
irrigen Glaubens lebe, ich würde in diesem oder in einem etma noch folgenden
Bande meiner Geschichte Kleider folgte keiner mehr; der Tod zerriß den an¬
gesponnenen Fadenj mein Besprechen einlösen. Etwas menigstenS hoffe ich
zu vollenden, was die Denker der Gegenwart anregen und der Zukunft eine
Grundlage darbieten wird, auf der sie weiter bauen kaun." Dieses Etwas,
die Analyse der schottischen Volksseele, hat er denn anch vollendet.

Denken wir einige der wichtigsten Aufschlüsse, die er giebt, wenigstens an.
Im 14. Kapitel erklärt er die Unvermeidlichkeit des Sturzes der Jesuiten in
Frankreich ans der Wiederbelebung des Jauseuismns, der, wie er denn aus
dem kalvinistischen Holland stammte, wesentlich Kalvinismus war. Der Kal¬
vinismus ist nämlich demokratisch, während der Katholizismus (den Buckle in
diesem Abschnitt, um den Gegensatz zum Kalvinismus hervorzuheben, stets
Arminianismus nennt) ein aristokratisches Gepräge trägt. Der Kalvinismus
ist eine Religion für die Armen, der Arminianismus eine Lehre für die Reichen.
Denn eine Lehre, die nur Glauben fordert, ist offenbar wohlfeiler als eine, die
Werke fordert. Der Kalviuist wird seine Sünde durch die Kraft des Glaubens
los, der Arminianer muß sie durch äußere Leistungen tilgen, und wo der
Klerus die Macht hat, da nehmen diese Leistungen stets die Richtung ans Be¬
reicherung der Priester und Ausstattung der Gotteshäuser. Aber selbst wenn
Werke der Nächstenliebe gefordert werden, machen diese die Religion kostspieliger,
als sie bei den Kalvinisten ist, bei .denen jeder die Liebe auf seine eigne Person
beschränkt. Die Aristokraten sind prnickliebeud und ziehen daher den katho¬
lischen Gottesdienst vor. „Der gemeine Manu liebt den gottesdienstlichen
Pomp nicht weniger als die Vornehmen, allein er bezahlt nicht gern dafür,
und er weiß, daß eine zahlreiche Priesterschaft und großartige, reich geschmückte
Kirchen einen bedeutenden Teil des Wohlstandes verschlingen, der ohne sie
ungeschmälert seiner Hütte zufließen würde." Der Kalvinist blickt mehr in
sein Inneres, der Arminianer mehr auf andre; jener ist daher engherziger,
aber nicht so knechtisch wie dieser; seiner eignen persönlichen Bedeutung sich
bewußt, unabhängig im Denken, fragt er nicht nach Altertum, Überlieferung
und Autorität. Die Lehre von der Unfreiheit des Willens offenbart ihm die
Gesetzmäßigkeit alles Geschehens; trotz arger Verirrungen, die sie erzeugt, ist
sie daher der Wissenschaft förderlich, während die Arminianer mehr den Künsten
zuneigen. Die Hauptvertreter deo Arminianismus, die Jesuiten, mußten wohl


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[0607] Buckle und Darwin Vermag. Vielleicht ist die Thorheit meines Wagnisses von dem sittlichen Bor- Wurfe der Anmaßung nicht freizusprechen. Trotzdem vermag ich sie nicht zu bedauern, sondern mochte vielmehr meine ursprüngliche Stimmung nochmals zurückrufen, denn es giebt kein größeres Glück als eine Hoffnung, deren Schwung noch durch keine Enttäuschung gelähmt ist. „Nun sind sie dahin, diese Gesichte einer ungezügelten Einbildungskraft! Dies Geständnis verursacht mir Pein, aber ich darf es dem Leser nicht vorenthalten, damit er nicht des irrigen Glaubens lebe, ich würde in diesem oder in einem etma noch folgenden Bande meiner Geschichte Kleider folgte keiner mehr; der Tod zerriß den an¬ gesponnenen Fadenj mein Besprechen einlösen. Etwas menigstenS hoffe ich zu vollenden, was die Denker der Gegenwart anregen und der Zukunft eine Grundlage darbieten wird, auf der sie weiter bauen kaun." Dieses Etwas, die Analyse der schottischen Volksseele, hat er denn anch vollendet. Denken wir einige der wichtigsten Aufschlüsse, die er giebt, wenigstens an. Im 14. Kapitel erklärt er die Unvermeidlichkeit des Sturzes der Jesuiten in Frankreich ans der Wiederbelebung des Jauseuismns, der, wie er denn aus dem kalvinistischen Holland stammte, wesentlich Kalvinismus war. Der Kal¬ vinismus ist nämlich demokratisch, während der Katholizismus (den Buckle in diesem Abschnitt, um den Gegensatz zum Kalvinismus hervorzuheben, stets Arminianismus nennt) ein aristokratisches Gepräge trägt. Der Kalvinismus ist eine Religion für die Armen, der Arminianismus eine Lehre für die Reichen. Denn eine Lehre, die nur Glauben fordert, ist offenbar wohlfeiler als eine, die Werke fordert. Der Kalviuist wird seine Sünde durch die Kraft des Glaubens los, der Arminianer muß sie durch äußere Leistungen tilgen, und wo der Klerus die Macht hat, da nehmen diese Leistungen stets die Richtung ans Be¬ reicherung der Priester und Ausstattung der Gotteshäuser. Aber selbst wenn Werke der Nächstenliebe gefordert werden, machen diese die Religion kostspieliger, als sie bei den Kalvinisten ist, bei .denen jeder die Liebe auf seine eigne Person beschränkt. Die Aristokraten sind prnickliebeud und ziehen daher den katho¬ lischen Gottesdienst vor. „Der gemeine Manu liebt den gottesdienstlichen Pomp nicht weniger als die Vornehmen, allein er bezahlt nicht gern dafür, und er weiß, daß eine zahlreiche Priesterschaft und großartige, reich geschmückte Kirchen einen bedeutenden Teil des Wohlstandes verschlingen, der ohne sie ungeschmälert seiner Hütte zufließen würde." Der Kalvinist blickt mehr in sein Inneres, der Arminianer mehr auf andre; jener ist daher engherziger, aber nicht so knechtisch wie dieser; seiner eignen persönlichen Bedeutung sich bewußt, unabhängig im Denken, fragt er nicht nach Altertum, Überlieferung und Autorität. Die Lehre von der Unfreiheit des Willens offenbart ihm die Gesetzmäßigkeit alles Geschehens; trotz arger Verirrungen, die sie erzeugt, ist sie daher der Wissenschaft förderlich, während die Arminianer mehr den Künsten zuneigen. Die Hauptvertreter deo Arminianismus, die Jesuiten, mußten wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/607>, abgerufen am 30.06.2024.