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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle mit Darwin

und Darwin selbst gesteht, wie wir gesehen haben, mit Betrübnis ein, daß den
Meinungen veredelter Affenseelen keine zuverlässige Geltung beizumessen sei,
und daß dnrch diesen "entsetzlichen" Umstand der wissenschaftlichen Forschung
der Boden unter den Füßen weggezogen werde, ein Geständnis, das unsre
deutschen Darwinianer ihrem Publikum zu verraten sich sorgfältig hüten, dem
sie aber selber nicht ausweichen könnten, wenn sie folgerichtig denken wollten.
Buckle hingegen zeigt in der prachtvollen Parallele zwischen Bossuet und
Voltaire (im 13. Kapitel der fünfbändigen Ausgabe), wie Voltaire die Erfolge
der menschlichen Vernunft auf Gebieten studirte, wo sie schlechterdings nicht
verkannt und geleugnet werden können, wie hierdurch seine Bewunderung der
menschlichen Vernunft und sei" Vertrauen zu ihr, aber damit zugleich auch
seine Liebe zu deu Meuscheu beständig wuchs. Weder einem Voltaire noch
einem Buckle würde die alberne und traurige Redensart entschlüpft sein, die
der darwinistische Zug der Zeit deu Berichterstattern auf den Schlachtfeldern
im Jahre 1870 entlockte: "Der Natur ist es ja nur um die Erhaltung der
Gattung zu thun!" Ist die Natur ein blindes, bewußtloses Wesen, dann ist
es ihr überhaupt um nichts zu thun; alles, was geschieht, ist dann Unsinn,
und jede Betrachtung darüber ist doppelt Unsinn. Wird aber Gott gemeint,
dein ist es natürlich um die Personen, seine Kinder, zu thun, und um die
Gattung nur insoweit, als diese gleich jeder andern irdischen Ordnung zu den
Lebensbedingungen der Personen gehört.

Die Darwinianer wollen nicht bloß die Naturwissenschaften, sondern das
ganze Leben vom Schulunterricht bis zu den Gesellschaftseinrichtungen bio¬
logisch gestalten; aber wenn wir uns mit dieser allgemeinen Redensart nicht
begnügen und nach ihrer Anwendung auf bestimmte Fülle fragen, so erhalten
wir entweder gar keine Antwort, oder es werden uns offenbar unausführbare
Vorschläge gemacht. Buckle hingegen bietet eine Menge Aufschlüsse von großem
theoretischen und praktischen Wert, die bisher viel zu wenig gewürdigt worden
sind. Sie leiden an Einseitigkeit und Übertreibung, und ich würde nicht raten,
sie unverbessert und uneingeschränkt in ein Handbuch der Geschichte für
Primaner aufzunehmen, aber sie geben immer genau die Stelle an, von wo
aus der Zusammenhang der Begebenheiten und Erscheinungen gefunden werden
kann, und wenn ihn Buckle selbst manchmal nicht richtig bestimmt, so kommt
das daher, weil er noch nicht alle hierzu erforderlichen Thatsachen beisammen
hatte. Er erkennt und bekennt das selbst mit tiefem Schmerz mir Schlüsse des
18. Kapitels, der hier wenigstens auszugsweise wiedergegeben werden soll.
Buckle ist in der Geschichte^ der Schotten bei dem auffälligen Widerspruch
angelangt, der zwischen den gewerblichen und wissenschaftlichen Leistungen dieses
Volkes und seiner Bigotterie zu bestehen scheint, und er verspricht, diesen
scheinbaren Widerspruch zu lösen. Daß er nur scheinbar sein könne, muß jeder
zu einer wissenschaftlichen Auffassung der Weltgeschichte befähigte zugestehen.


Buckle mit Darwin

und Darwin selbst gesteht, wie wir gesehen haben, mit Betrübnis ein, daß den
Meinungen veredelter Affenseelen keine zuverlässige Geltung beizumessen sei,
und daß dnrch diesen „entsetzlichen" Umstand der wissenschaftlichen Forschung
der Boden unter den Füßen weggezogen werde, ein Geständnis, das unsre
deutschen Darwinianer ihrem Publikum zu verraten sich sorgfältig hüten, dem
sie aber selber nicht ausweichen könnten, wenn sie folgerichtig denken wollten.
Buckle hingegen zeigt in der prachtvollen Parallele zwischen Bossuet und
Voltaire (im 13. Kapitel der fünfbändigen Ausgabe), wie Voltaire die Erfolge
der menschlichen Vernunft auf Gebieten studirte, wo sie schlechterdings nicht
verkannt und geleugnet werden können, wie hierdurch seine Bewunderung der
menschlichen Vernunft und sei» Vertrauen zu ihr, aber damit zugleich auch
seine Liebe zu deu Meuscheu beständig wuchs. Weder einem Voltaire noch
einem Buckle würde die alberne und traurige Redensart entschlüpft sein, die
der darwinistische Zug der Zeit deu Berichterstattern auf den Schlachtfeldern
im Jahre 1870 entlockte: „Der Natur ist es ja nur um die Erhaltung der
Gattung zu thun!" Ist die Natur ein blindes, bewußtloses Wesen, dann ist
es ihr überhaupt um nichts zu thun; alles, was geschieht, ist dann Unsinn,
und jede Betrachtung darüber ist doppelt Unsinn. Wird aber Gott gemeint,
dein ist es natürlich um die Personen, seine Kinder, zu thun, und um die
Gattung nur insoweit, als diese gleich jeder andern irdischen Ordnung zu den
Lebensbedingungen der Personen gehört.

Die Darwinianer wollen nicht bloß die Naturwissenschaften, sondern das
ganze Leben vom Schulunterricht bis zu den Gesellschaftseinrichtungen bio¬
logisch gestalten; aber wenn wir uns mit dieser allgemeinen Redensart nicht
begnügen und nach ihrer Anwendung auf bestimmte Fülle fragen, so erhalten
wir entweder gar keine Antwort, oder es werden uns offenbar unausführbare
Vorschläge gemacht. Buckle hingegen bietet eine Menge Aufschlüsse von großem
theoretischen und praktischen Wert, die bisher viel zu wenig gewürdigt worden
sind. Sie leiden an Einseitigkeit und Übertreibung, und ich würde nicht raten,
sie unverbessert und uneingeschränkt in ein Handbuch der Geschichte für
Primaner aufzunehmen, aber sie geben immer genau die Stelle an, von wo
aus der Zusammenhang der Begebenheiten und Erscheinungen gefunden werden
kann, und wenn ihn Buckle selbst manchmal nicht richtig bestimmt, so kommt
das daher, weil er noch nicht alle hierzu erforderlichen Thatsachen beisammen
hatte. Er erkennt und bekennt das selbst mit tiefem Schmerz mir Schlüsse des
18. Kapitels, der hier wenigstens auszugsweise wiedergegeben werden soll.
Buckle ist in der Geschichte^ der Schotten bei dem auffälligen Widerspruch
angelangt, der zwischen den gewerblichen und wissenschaftlichen Leistungen dieses
Volkes und seiner Bigotterie zu bestehen scheint, und er verspricht, diesen
scheinbaren Widerspruch zu lösen. Daß er nur scheinbar sein könne, muß jeder
zu einer wissenschaftlichen Auffassung der Weltgeschichte befähigte zugestehen.


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[0605] Buckle mit Darwin und Darwin selbst gesteht, wie wir gesehen haben, mit Betrübnis ein, daß den Meinungen veredelter Affenseelen keine zuverlässige Geltung beizumessen sei, und daß dnrch diesen „entsetzlichen" Umstand der wissenschaftlichen Forschung der Boden unter den Füßen weggezogen werde, ein Geständnis, das unsre deutschen Darwinianer ihrem Publikum zu verraten sich sorgfältig hüten, dem sie aber selber nicht ausweichen könnten, wenn sie folgerichtig denken wollten. Buckle hingegen zeigt in der prachtvollen Parallele zwischen Bossuet und Voltaire (im 13. Kapitel der fünfbändigen Ausgabe), wie Voltaire die Erfolge der menschlichen Vernunft auf Gebieten studirte, wo sie schlechterdings nicht verkannt und geleugnet werden können, wie hierdurch seine Bewunderung der menschlichen Vernunft und sei» Vertrauen zu ihr, aber damit zugleich auch seine Liebe zu deu Meuscheu beständig wuchs. Weder einem Voltaire noch einem Buckle würde die alberne und traurige Redensart entschlüpft sein, die der darwinistische Zug der Zeit deu Berichterstattern auf den Schlachtfeldern im Jahre 1870 entlockte: „Der Natur ist es ja nur um die Erhaltung der Gattung zu thun!" Ist die Natur ein blindes, bewußtloses Wesen, dann ist es ihr überhaupt um nichts zu thun; alles, was geschieht, ist dann Unsinn, und jede Betrachtung darüber ist doppelt Unsinn. Wird aber Gott gemeint, dein ist es natürlich um die Personen, seine Kinder, zu thun, und um die Gattung nur insoweit, als diese gleich jeder andern irdischen Ordnung zu den Lebensbedingungen der Personen gehört. Die Darwinianer wollen nicht bloß die Naturwissenschaften, sondern das ganze Leben vom Schulunterricht bis zu den Gesellschaftseinrichtungen bio¬ logisch gestalten; aber wenn wir uns mit dieser allgemeinen Redensart nicht begnügen und nach ihrer Anwendung auf bestimmte Fülle fragen, so erhalten wir entweder gar keine Antwort, oder es werden uns offenbar unausführbare Vorschläge gemacht. Buckle hingegen bietet eine Menge Aufschlüsse von großem theoretischen und praktischen Wert, die bisher viel zu wenig gewürdigt worden sind. Sie leiden an Einseitigkeit und Übertreibung, und ich würde nicht raten, sie unverbessert und uneingeschränkt in ein Handbuch der Geschichte für Primaner aufzunehmen, aber sie geben immer genau die Stelle an, von wo aus der Zusammenhang der Begebenheiten und Erscheinungen gefunden werden kann, und wenn ihn Buckle selbst manchmal nicht richtig bestimmt, so kommt das daher, weil er noch nicht alle hierzu erforderlichen Thatsachen beisammen hatte. Er erkennt und bekennt das selbst mit tiefem Schmerz mir Schlüsse des 18. Kapitels, der hier wenigstens auszugsweise wiedergegeben werden soll. Buckle ist in der Geschichte^ der Schotten bei dem auffälligen Widerspruch angelangt, der zwischen den gewerblichen und wissenschaftlichen Leistungen dieses Volkes und seiner Bigotterie zu bestehen scheint, und er verspricht, diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen. Daß er nur scheinbar sein könne, muß jeder zu einer wissenschaftlichen Auffassung der Weltgeschichte befähigte zugestehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/605>, abgerufen am 30.06.2024.