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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Aus Neuösterreich

Stanzen dienten, auf ihnen wurden die schwarzen montenegrinischen Decken be¬
festigt. Die Pferde wurden abgezäumt und frei laufen gelassen; sie ergötzten
sich an dem wundervollen Alpengras. Ein Teil unsrer Kolonne ging, nach
Holz auszuschauen, dessen wir in dieser luftigen Höhe (1960 Meter nach des
Doktors Bestimmung) dringend bedurften. Ein angeführtes geschlachtetes
Schaf wurde um Spieß gebraten, ich unterhielt mich unterdeß mit dem Neffen
unsers Wirtes, dem finstern Marko, und ließ mir von ihm einige Episoden
aus dem letzten Türkenkriege, besonders von der Türkcnvernichtung beim
Dugapaß berichten. Dabei schaute ich dem Spießbraten zu, das ich noch nie
mit angesehen hatte. Nach etwa anderthalb Stunden war der Braten gar,
und bewaffnet mit einem großen Handjar ging der Hausherr an das Zer¬
legen des leckern Mahles; jedem von uns reichte er sein Stück, natürlich ohne
Gabel und Teller, und binnen kurzem war es verzehrt. Die kreisende Slivovitz-
flasche und der dampfende Thee verbreiteten bald eine behagliche Stimmung.
Der Anblick, der sich dem umherschweifenden Auge bot, war wunderbar genug;
vor uns schimmerte im letzten Abendscheine die gewaltige Dvrmitorspitze mit
ihren schneeigen Flächen und Abhängen, weiter unten der dichte, dunkle Urwald,
dies alles Übergossen vom Mondlicht, das seine Strahlen auch über unser
Lager auf der kleinen Waldwiese warf und zu dem rot erglühenden Feuer,
um das die bärtigen Gestalten der wilden Gebirgssöhne lagerten, eine" selt¬
samen Gegensatz bildete. Ans unsere Aufforderung begann der Musiker sein
dreisaitiges Instrument zu stimmen, und mit klarer Stimme erschollen unter
Chorbcgleitung einige montenegrinische Schlachtlieder in die stille Nacht hinaus,
dein ein ziemlich eintöniger Vortrag einiger Gesänge aus dem nationalen Epos
von der Schlacht um Amselfelde folgte. Gegen 11 Uhr war das ganze Lager
bis auf die Feuerwachen in tiefen Schlaf versunken, aus dem uns um 3 Uhr
früh unser Freund Stero weckte.

Schweigend traten wir unsern Marsch an, anfangs zwischen Krummhvlz-
feldern, dann abwechselnd über Gras-, Moos- und Schneeslcichen, bis wir zu
einem großen Quell gelangten, wo eine kleine Rast mit Frühstück abgehalten
wurde. Die Temperatur des Wassers wurde vom Doktor auf 5,3 Grad Celsius
bei einer Lufttemperatur von 12,6 Grad Celsius und einer Seehöhe von 2100
Metern bestimmt. Dann ging es mit Klettern, Sprüngen und Hinaufziehen
durch verschiedene Kamine und wackeliges Geröll noch zwei Stunden bergauf,
und um 5 Uhr 36 Minuten wurde die Spitze erreicht. Unser Unternehmen
war vom besten Erfolge gekrönt, die stolze, kaum unsre Gesellschaft fassende
Spitze war genommen!

In unbegrenzte Weiten kreiste das entzückte Auge; das schneebedeckte Ge>
birge von Montenegro, mit seinen unzähligen Spitzen und Püffen, das zer¬
klüftete Steinmeer der Dormitor-Planina zu unsern Füßen, in weiter Ferne
ein blauer Streifen, das Meer, hinter uns das grüne Sandjack und Albanien,


Aus Neuösterreich

Stanzen dienten, auf ihnen wurden die schwarzen montenegrinischen Decken be¬
festigt. Die Pferde wurden abgezäumt und frei laufen gelassen; sie ergötzten
sich an dem wundervollen Alpengras. Ein Teil unsrer Kolonne ging, nach
Holz auszuschauen, dessen wir in dieser luftigen Höhe (1960 Meter nach des
Doktors Bestimmung) dringend bedurften. Ein angeführtes geschlachtetes
Schaf wurde um Spieß gebraten, ich unterhielt mich unterdeß mit dem Neffen
unsers Wirtes, dem finstern Marko, und ließ mir von ihm einige Episoden
aus dem letzten Türkenkriege, besonders von der Türkcnvernichtung beim
Dugapaß berichten. Dabei schaute ich dem Spießbraten zu, das ich noch nie
mit angesehen hatte. Nach etwa anderthalb Stunden war der Braten gar,
und bewaffnet mit einem großen Handjar ging der Hausherr an das Zer¬
legen des leckern Mahles; jedem von uns reichte er sein Stück, natürlich ohne
Gabel und Teller, und binnen kurzem war es verzehrt. Die kreisende Slivovitz-
flasche und der dampfende Thee verbreiteten bald eine behagliche Stimmung.
Der Anblick, der sich dem umherschweifenden Auge bot, war wunderbar genug;
vor uns schimmerte im letzten Abendscheine die gewaltige Dvrmitorspitze mit
ihren schneeigen Flächen und Abhängen, weiter unten der dichte, dunkle Urwald,
dies alles Übergossen vom Mondlicht, das seine Strahlen auch über unser
Lager auf der kleinen Waldwiese warf und zu dem rot erglühenden Feuer,
um das die bärtigen Gestalten der wilden Gebirgssöhne lagerten, eine» selt¬
samen Gegensatz bildete. Ans unsere Aufforderung begann der Musiker sein
dreisaitiges Instrument zu stimmen, und mit klarer Stimme erschollen unter
Chorbcgleitung einige montenegrinische Schlachtlieder in die stille Nacht hinaus,
dein ein ziemlich eintöniger Vortrag einiger Gesänge aus dem nationalen Epos
von der Schlacht um Amselfelde folgte. Gegen 11 Uhr war das ganze Lager
bis auf die Feuerwachen in tiefen Schlaf versunken, aus dem uns um 3 Uhr
früh unser Freund Stero weckte.

Schweigend traten wir unsern Marsch an, anfangs zwischen Krummhvlz-
feldern, dann abwechselnd über Gras-, Moos- und Schneeslcichen, bis wir zu
einem großen Quell gelangten, wo eine kleine Rast mit Frühstück abgehalten
wurde. Die Temperatur des Wassers wurde vom Doktor auf 5,3 Grad Celsius
bei einer Lufttemperatur von 12,6 Grad Celsius und einer Seehöhe von 2100
Metern bestimmt. Dann ging es mit Klettern, Sprüngen und Hinaufziehen
durch verschiedene Kamine und wackeliges Geröll noch zwei Stunden bergauf,
und um 5 Uhr 36 Minuten wurde die Spitze erreicht. Unser Unternehmen
war vom besten Erfolge gekrönt, die stolze, kaum unsre Gesellschaft fassende
Spitze war genommen!

In unbegrenzte Weiten kreiste das entzückte Auge; das schneebedeckte Ge>
birge von Montenegro, mit seinen unzähligen Spitzen und Püffen, das zer¬
klüftete Steinmeer der Dormitor-Planina zu unsern Füßen, in weiter Ferne
ein blauer Streifen, das Meer, hinter uns das grüne Sandjack und Albanien,


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[0580] Aus Neuösterreich Stanzen dienten, auf ihnen wurden die schwarzen montenegrinischen Decken be¬ festigt. Die Pferde wurden abgezäumt und frei laufen gelassen; sie ergötzten sich an dem wundervollen Alpengras. Ein Teil unsrer Kolonne ging, nach Holz auszuschauen, dessen wir in dieser luftigen Höhe (1960 Meter nach des Doktors Bestimmung) dringend bedurften. Ein angeführtes geschlachtetes Schaf wurde um Spieß gebraten, ich unterhielt mich unterdeß mit dem Neffen unsers Wirtes, dem finstern Marko, und ließ mir von ihm einige Episoden aus dem letzten Türkenkriege, besonders von der Türkcnvernichtung beim Dugapaß berichten. Dabei schaute ich dem Spießbraten zu, das ich noch nie mit angesehen hatte. Nach etwa anderthalb Stunden war der Braten gar, und bewaffnet mit einem großen Handjar ging der Hausherr an das Zer¬ legen des leckern Mahles; jedem von uns reichte er sein Stück, natürlich ohne Gabel und Teller, und binnen kurzem war es verzehrt. Die kreisende Slivovitz- flasche und der dampfende Thee verbreiteten bald eine behagliche Stimmung. Der Anblick, der sich dem umherschweifenden Auge bot, war wunderbar genug; vor uns schimmerte im letzten Abendscheine die gewaltige Dvrmitorspitze mit ihren schneeigen Flächen und Abhängen, weiter unten der dichte, dunkle Urwald, dies alles Übergossen vom Mondlicht, das seine Strahlen auch über unser Lager auf der kleinen Waldwiese warf und zu dem rot erglühenden Feuer, um das die bärtigen Gestalten der wilden Gebirgssöhne lagerten, eine» selt¬ samen Gegensatz bildete. Ans unsere Aufforderung begann der Musiker sein dreisaitiges Instrument zu stimmen, und mit klarer Stimme erschollen unter Chorbcgleitung einige montenegrinische Schlachtlieder in die stille Nacht hinaus, dein ein ziemlich eintöniger Vortrag einiger Gesänge aus dem nationalen Epos von der Schlacht um Amselfelde folgte. Gegen 11 Uhr war das ganze Lager bis auf die Feuerwachen in tiefen Schlaf versunken, aus dem uns um 3 Uhr früh unser Freund Stero weckte. Schweigend traten wir unsern Marsch an, anfangs zwischen Krummhvlz- feldern, dann abwechselnd über Gras-, Moos- und Schneeslcichen, bis wir zu einem großen Quell gelangten, wo eine kleine Rast mit Frühstück abgehalten wurde. Die Temperatur des Wassers wurde vom Doktor auf 5,3 Grad Celsius bei einer Lufttemperatur von 12,6 Grad Celsius und einer Seehöhe von 2100 Metern bestimmt. Dann ging es mit Klettern, Sprüngen und Hinaufziehen durch verschiedene Kamine und wackeliges Geröll noch zwei Stunden bergauf, und um 5 Uhr 36 Minuten wurde die Spitze erreicht. Unser Unternehmen war vom besten Erfolge gekrönt, die stolze, kaum unsre Gesellschaft fassende Spitze war genommen! In unbegrenzte Weiten kreiste das entzückte Auge; das schneebedeckte Ge> birge von Montenegro, mit seinen unzähligen Spitzen und Püffen, das zer¬ klüftete Steinmeer der Dormitor-Planina zu unsern Füßen, in weiter Ferne ein blauer Streifen, das Meer, hinter uns das grüne Sandjack und Albanien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/580>, abgerufen am 02.07.2024.