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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Buckle "ut Darwin

nennt Häckel den Begriff einer blos; beschreibenden Wissenschaft eine vcmtrmliotic) in
".äjövw lind will daher der Zoologie (und der Botanik) die Würde einer Wissen¬
schaft nur dann zuerkennen, wenn ihre Systemntiker "in dem natürlichen System
der Organismen den hypothetischen Ausdruck ihres Stammbaumes erblicken."
Erlangte dieser Satz allgemeine Geltung, so wäre er der Tod der exakte"
Forschung und würde die zuverlässige Wissenschaft durch einen wilde" Hypo¬
thesentaumel verdrängen, Wissenschaft ist das geordnete Wisse" von den Gegen¬
stände" oder Erschemnnge" einer bestimmten Klasse, Wer weis;, wie die
wichtigsten Pflanzen und Tiere aussehen, wie sie einzeln benannt und nnter
welchen Benennungen ihre wichtigsten Arten zusammengefaßt werden, der weiß
etwas, und zwar etwas Tüchtiges, und es ist lächerlich, ihm die Wissenschaft
abstreiten zu wollen und von einer oyntrgclivtio in a,<Z.ovo zu sprechen. Ist
er außerdem Anatom und Physiolog, kennt er den innern Bau der Tiere und
Pflanzen und die chemischen Veränderungen, die der Ablauf ihres Lebens mit
sich bringt. so steht sein Wissen höher und greift tiefer, macht aber das
einfache Systematikerwissen der untersten Stufe keineswegs zu nichte. Mag
er nun mich noch die Pflanzen und Tiergeographie, die Bedeutung der Pflanzen
"ut der Tiere für die Kultur, das Wissen vom Menschen dazu sich aneignen
und sein Wissen zur Uuiversalwissenschaft erweitern, so hat er immer uoch kein
Recht, deu einfachen Systematiker zu verachten. Im Gegenteil, je nüchterner
dieser bleibt, je weniger dieser sich durch Lieblingsmeinungen und Hypothesen
verleiten läßt, Dinge zu sehen, die nicht da sind, und andre unbequeme Dinge,
d'e da sind, nicht zu sehen, desto sicherer steht er selbst, der erhabne Mann.

Wir verkennen nicht den in Häckel mächtigen echt dentschen idealen Drang.
Wissend das All zu umspannen und das Geheimnis zu ergründen; aber exakte
Wissenschaft ist solche Philosophie nicht. Wir verkennen anch nicht den wissen¬
schaftlichen Nutzen, ja die Unentbehrlichkeit der hypothcseuspiuncnden Phantasie,
die sich in der Physik so glänzend bewährt hat. Aber sie hat sich doch nur
dadurch bewährt, daß sie der exakten Forschung diente; die Darwinianer kehre"
das Verhältnis um und ordnen die Thatsachen der Phantasie unter. Häckel
gesteht zu. daß seine Zoologie in die innigste Berührung mit der spekulativen
Philosophie tritt, aber, meint er. die Zoologie könne eben "so wenig wie irgend
eine andre Naturwissenschaft der Spekulation entbehren." Gewiß, nur muß
das richtige Verhältnis aufrecht erhalten und die Grenze sauber inne gehalten
werden. Jede Wissenschaft wird um so menschenwürdiger, je mehr sie den
philosophischen Charakter annimmt; aber sobald dieser die Sicherheit und Zu¬
verlässigkeit gefährdet, ist es Pflicht, die Göttin Phantasie vorläufig zu ver¬
abschieden und mit kaltem Kopf und klarem Blick ausschließlich dem trocknen
Knechte Verstand zu folgen. Der unaufhaltsame Fortschritt der Wissenschaft
ist notwendig, weil unsre immer künstlicher werdende Existenz nur noch durch
immer ausgedehntere Herrschaft über die Natur möglich bleibt, und der immer


Grenzboten IV 1889 7'
Buckle »ut Darwin

nennt Häckel den Begriff einer blos; beschreibenden Wissenschaft eine vcmtrmliotic) in
».äjövw lind will daher der Zoologie (und der Botanik) die Würde einer Wissen¬
schaft nur dann zuerkennen, wenn ihre Systemntiker „in dem natürlichen System
der Organismen den hypothetischen Ausdruck ihres Stammbaumes erblicken."
Erlangte dieser Satz allgemeine Geltung, so wäre er der Tod der exakte»
Forschung und würde die zuverlässige Wissenschaft durch einen wilde» Hypo¬
thesentaumel verdrängen, Wissenschaft ist das geordnete Wisse» von den Gegen¬
stände» oder Erschemnnge» einer bestimmten Klasse, Wer weis;, wie die
wichtigsten Pflanzen und Tiere aussehen, wie sie einzeln benannt und nnter
welchen Benennungen ihre wichtigsten Arten zusammengefaßt werden, der weiß
etwas, und zwar etwas Tüchtiges, und es ist lächerlich, ihm die Wissenschaft
abstreiten zu wollen und von einer oyntrgclivtio in a,<Z.ovo zu sprechen. Ist
er außerdem Anatom und Physiolog, kennt er den innern Bau der Tiere und
Pflanzen und die chemischen Veränderungen, die der Ablauf ihres Lebens mit
sich bringt. so steht sein Wissen höher und greift tiefer, macht aber das
einfache Systematikerwissen der untersten Stufe keineswegs zu nichte. Mag
er nun mich noch die Pflanzen und Tiergeographie, die Bedeutung der Pflanzen
»ut der Tiere für die Kultur, das Wissen vom Menschen dazu sich aneignen
und sein Wissen zur Uuiversalwissenschaft erweitern, so hat er immer uoch kein
Recht, deu einfachen Systematiker zu verachten. Im Gegenteil, je nüchterner
dieser bleibt, je weniger dieser sich durch Lieblingsmeinungen und Hypothesen
verleiten läßt, Dinge zu sehen, die nicht da sind, und andre unbequeme Dinge,
d'e da sind, nicht zu sehen, desto sicherer steht er selbst, der erhabne Mann.

Wir verkennen nicht den in Häckel mächtigen echt dentschen idealen Drang.
Wissend das All zu umspannen und das Geheimnis zu ergründen; aber exakte
Wissenschaft ist solche Philosophie nicht. Wir verkennen anch nicht den wissen¬
schaftlichen Nutzen, ja die Unentbehrlichkeit der hypothcseuspiuncnden Phantasie,
die sich in der Physik so glänzend bewährt hat. Aber sie hat sich doch nur
dadurch bewährt, daß sie der exakten Forschung diente; die Darwinianer kehre»
das Verhältnis um und ordnen die Thatsachen der Phantasie unter. Häckel
gesteht zu. daß seine Zoologie in die innigste Berührung mit der spekulativen
Philosophie tritt, aber, meint er. die Zoologie könne eben „so wenig wie irgend
eine andre Naturwissenschaft der Spekulation entbehren." Gewiß, nur muß
das richtige Verhältnis aufrecht erhalten und die Grenze sauber inne gehalten
werden. Jede Wissenschaft wird um so menschenwürdiger, je mehr sie den
philosophischen Charakter annimmt; aber sobald dieser die Sicherheit und Zu¬
verlässigkeit gefährdet, ist es Pflicht, die Göttin Phantasie vorläufig zu ver¬
abschieden und mit kaltem Kopf und klarem Blick ausschließlich dem trocknen
Knechte Verstand zu folgen. Der unaufhaltsame Fortschritt der Wissenschaft
ist notwendig, weil unsre immer künstlicher werdende Existenz nur noch durch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/569>, abgerufen am 02.07.2024.