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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungsstroit in Preußen

kröne, die dieser auch annahm ,,nicht für sich, Saldern namens der liberalen
Mehrheit des Hauses." In dem lieben, lustigen Köln am Rhein hat man
von jeher große Neigung zu derartigen Karnevalsscherzen gehabt; die Jahres¬
zeit war sehr passend gewählt. Hätte mau gefragt, für welche Verdienste Herr
Grabow diese Bürgerkrone erhielt, so hätten sicherlich weder die Schenker, noch
der Empfänger, noch die ganze "liberale Mehrheit" eine befriedigende Antwort
geben können. Unbestreitbar hatte sich doch jeder einfache Musketier und
Füsilier, der vor Düppel gekämpft und geblutet hatte, ein ungleich größeres
Verdienst rin das Vaterland erworben als alle Redner der ganzen Fortschritts¬
partei zusammengenommen.

Am 2. Juni, bei der Debatte über die Mcirinevorlnge, erlaubte sich der
Abgeordnete Virchow, eine grobe persönliche Beleidigung gegen den Minister¬
präsidenten auszusprechen. Er sagte: ,,Die Vorlage war gar nicht ernsthaft
gemeint, sondern nur ein Scheinmauöver. Es ist eine Umkehr der Wahrheit,
zu sagen, die Kommission habe kein Interesse für die Marine an den Tag
gelegt. Wenn der Herr Ministerpräsident den Bericht gelesen hat, so weiß
ich nicht, was ich von seiner Wahrhaftigkeit halten soll." Darin lag doch
offenbar der Vorwurf der Lüge. Da Virchow sich weigerte, seine Äußerung
zurückzunehmen, der Präsident ihn anch nicht zur Ordnung rufen wollte, so ließ
Bismarck den Beleidiger nach der Sitzung in aller Form fordern. Der gelehrte
Herr Professor, der sehr wohl wußte, was die bessere Hälfte der Tapfer¬
keit ist, und dem es vielleicht nicht ganz unbekannt war, daß man mit Schie߬
gewehr leicht Unheil anrichten kann, lehnte wohlweislich die Forderung ab.
Dafür erboten sich verschiedne aufgeregte Berliner Studenten für ihren allver¬
ehrten Lehrer die Sache "auszupcmken." Daß die erregten Jünglinge das
thaten, rechnen wir ihnen nicht zu hoch nu; ein Stndentengehirn treibt sonder¬
bare Blasen, namentlich abends zu etwas später Stunde und beim Früh¬
schoppen. Daß aber die ganze liberale Presse den Mnnnesmut dieser jungen
Freiheitskämpfer bis in den Himmel erhob, sodaß eigentlich alle Spartaner
und Römer sich davor hätten verstecken können, zeigt wieder, wie kindisch man
damals ernsthafte Sachen behandelte. Einen ähnlichen Streit hatte am 5. Mai
der Kriegsminister von Roon mit dem Herrn Dr. Gneist gehabt. Dieser hatte
ihm vorgeworfen, daß er ein Werk durchführe, die Reorganisation des Heeres
nämlich,, das "das Kainszeichen des Eidbruches an der Stirn trüge," das ,,auf
dem Boden des Verfafsungsbruches" stehe. Der wackere Soldat hatte dein
Herrn Professor einfach geantwortet, daß seine Äußerung "den Stempel der
Überhebung und Unverschämtheit" an der Stirn trüge. Am 17. Juni wurde
die Tagung des Landtages geschlossen.

Zunächst sorgte die gute Stadt .Köln wieder dafür, daß der fortschritt¬
lichen Presse und den Bierbailkpvlitikeru der Stoff zum Kannegießern nicht
gleich ausginge. Dort hatte ein Ausschuß unter dem Vorsitze des Stadtver-


Der Verfassungsstroit in Preußen

kröne, die dieser auch annahm ,,nicht für sich, Saldern namens der liberalen
Mehrheit des Hauses." In dem lieben, lustigen Köln am Rhein hat man
von jeher große Neigung zu derartigen Karnevalsscherzen gehabt; die Jahres¬
zeit war sehr passend gewählt. Hätte mau gefragt, für welche Verdienste Herr
Grabow diese Bürgerkrone erhielt, so hätten sicherlich weder die Schenker, noch
der Empfänger, noch die ganze „liberale Mehrheit" eine befriedigende Antwort
geben können. Unbestreitbar hatte sich doch jeder einfache Musketier und
Füsilier, der vor Düppel gekämpft und geblutet hatte, ein ungleich größeres
Verdienst rin das Vaterland erworben als alle Redner der ganzen Fortschritts¬
partei zusammengenommen.

Am 2. Juni, bei der Debatte über die Mcirinevorlnge, erlaubte sich der
Abgeordnete Virchow, eine grobe persönliche Beleidigung gegen den Minister¬
präsidenten auszusprechen. Er sagte: ,,Die Vorlage war gar nicht ernsthaft
gemeint, sondern nur ein Scheinmauöver. Es ist eine Umkehr der Wahrheit,
zu sagen, die Kommission habe kein Interesse für die Marine an den Tag
gelegt. Wenn der Herr Ministerpräsident den Bericht gelesen hat, so weiß
ich nicht, was ich von seiner Wahrhaftigkeit halten soll." Darin lag doch
offenbar der Vorwurf der Lüge. Da Virchow sich weigerte, seine Äußerung
zurückzunehmen, der Präsident ihn anch nicht zur Ordnung rufen wollte, so ließ
Bismarck den Beleidiger nach der Sitzung in aller Form fordern. Der gelehrte
Herr Professor, der sehr wohl wußte, was die bessere Hälfte der Tapfer¬
keit ist, und dem es vielleicht nicht ganz unbekannt war, daß man mit Schie߬
gewehr leicht Unheil anrichten kann, lehnte wohlweislich die Forderung ab.
Dafür erboten sich verschiedne aufgeregte Berliner Studenten für ihren allver¬
ehrten Lehrer die Sache „auszupcmken." Daß die erregten Jünglinge das
thaten, rechnen wir ihnen nicht zu hoch nu; ein Stndentengehirn treibt sonder¬
bare Blasen, namentlich abends zu etwas später Stunde und beim Früh¬
schoppen. Daß aber die ganze liberale Presse den Mnnnesmut dieser jungen
Freiheitskämpfer bis in den Himmel erhob, sodaß eigentlich alle Spartaner
und Römer sich davor hätten verstecken können, zeigt wieder, wie kindisch man
damals ernsthafte Sachen behandelte. Einen ähnlichen Streit hatte am 5. Mai
der Kriegsminister von Roon mit dem Herrn Dr. Gneist gehabt. Dieser hatte
ihm vorgeworfen, daß er ein Werk durchführe, die Reorganisation des Heeres
nämlich,, das „das Kainszeichen des Eidbruches an der Stirn trüge," das ,,auf
dem Boden des Verfafsungsbruches" stehe. Der wackere Soldat hatte dein
Herrn Professor einfach geantwortet, daß seine Äußerung „den Stempel der
Überhebung und Unverschämtheit" an der Stirn trüge. Am 17. Juni wurde
die Tagung des Landtages geschlossen.

Zunächst sorgte die gute Stadt .Köln wieder dafür, daß der fortschritt¬
lichen Presse und den Bierbailkpvlitikeru der Stoff zum Kannegießern nicht
gleich ausginge. Dort hatte ein Ausschuß unter dem Vorsitze des Stadtver-


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[0556] Der Verfassungsstroit in Preußen kröne, die dieser auch annahm ,,nicht für sich, Saldern namens der liberalen Mehrheit des Hauses." In dem lieben, lustigen Köln am Rhein hat man von jeher große Neigung zu derartigen Karnevalsscherzen gehabt; die Jahres¬ zeit war sehr passend gewählt. Hätte mau gefragt, für welche Verdienste Herr Grabow diese Bürgerkrone erhielt, so hätten sicherlich weder die Schenker, noch der Empfänger, noch die ganze „liberale Mehrheit" eine befriedigende Antwort geben können. Unbestreitbar hatte sich doch jeder einfache Musketier und Füsilier, der vor Düppel gekämpft und geblutet hatte, ein ungleich größeres Verdienst rin das Vaterland erworben als alle Redner der ganzen Fortschritts¬ partei zusammengenommen. Am 2. Juni, bei der Debatte über die Mcirinevorlnge, erlaubte sich der Abgeordnete Virchow, eine grobe persönliche Beleidigung gegen den Minister¬ präsidenten auszusprechen. Er sagte: ,,Die Vorlage war gar nicht ernsthaft gemeint, sondern nur ein Scheinmauöver. Es ist eine Umkehr der Wahrheit, zu sagen, die Kommission habe kein Interesse für die Marine an den Tag gelegt. Wenn der Herr Ministerpräsident den Bericht gelesen hat, so weiß ich nicht, was ich von seiner Wahrhaftigkeit halten soll." Darin lag doch offenbar der Vorwurf der Lüge. Da Virchow sich weigerte, seine Äußerung zurückzunehmen, der Präsident ihn anch nicht zur Ordnung rufen wollte, so ließ Bismarck den Beleidiger nach der Sitzung in aller Form fordern. Der gelehrte Herr Professor, der sehr wohl wußte, was die bessere Hälfte der Tapfer¬ keit ist, und dem es vielleicht nicht ganz unbekannt war, daß man mit Schie߬ gewehr leicht Unheil anrichten kann, lehnte wohlweislich die Forderung ab. Dafür erboten sich verschiedne aufgeregte Berliner Studenten für ihren allver¬ ehrten Lehrer die Sache „auszupcmken." Daß die erregten Jünglinge das thaten, rechnen wir ihnen nicht zu hoch nu; ein Stndentengehirn treibt sonder¬ bare Blasen, namentlich abends zu etwas später Stunde und beim Früh¬ schoppen. Daß aber die ganze liberale Presse den Mnnnesmut dieser jungen Freiheitskämpfer bis in den Himmel erhob, sodaß eigentlich alle Spartaner und Römer sich davor hätten verstecken können, zeigt wieder, wie kindisch man damals ernsthafte Sachen behandelte. Einen ähnlichen Streit hatte am 5. Mai der Kriegsminister von Roon mit dem Herrn Dr. Gneist gehabt. Dieser hatte ihm vorgeworfen, daß er ein Werk durchführe, die Reorganisation des Heeres nämlich,, das „das Kainszeichen des Eidbruches an der Stirn trüge," das ,,auf dem Boden des Verfafsungsbruches" stehe. Der wackere Soldat hatte dein Herrn Professor einfach geantwortet, daß seine Äußerung „den Stempel der Überhebung und Unverschämtheit" an der Stirn trüge. Am 17. Juni wurde die Tagung des Landtages geschlossen. Zunächst sorgte die gute Stadt .Köln wieder dafür, daß der fortschritt¬ lichen Presse und den Bierbailkpvlitikeru der Stoff zum Kannegießern nicht gleich ausginge. Dort hatte ein Ausschuß unter dem Vorsitze des Stadtver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/556>, abgerufen am 02.07.2024.