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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

warten, daß die republikanischen Einrichtungen von einer erregten und begeisterte"
Demokratie im Sinne der Freiheit, der Selbstregierung und des Fortschritts
bis zu einem gewissen Maße segensreich entwickelt werden würden. Was aber
dürfen wir Gutes hoffen, wo das Volk, wie es nunmehr aussieht, sich zu der
Sache schweigend verhielt und nur die Soldateska das Wort hatte und handelte?
Eine nur oder fast nur von diesem oder jenem Regiment oder dieser oder jener
Brigade aufgespielte politische Umwälzung kann leicht durch zwei Regimenter
oder zwei Brigaden ungeschehen gemacht werden, die ein andrer Befehlshaber
gegen sie führt. Auch muß man sich erinnern, daß der Mann, der es so leicht
fand, einen Kaiser, der kein Kriegsmann, sondern ein sanftmütiger Gelehrter
war, zu vertreiben, eine schwerere Aufgabe vor sich haben wird, wenn ein
Soldat in fernen Provinzen mit ganz andern Interessen, als die der Zentral¬
regierung sind, die Fahne des Aufstandes erhebt.

Abgesehen von dem fast rein militärischen Charakter der brasilischen
Revolution erweckt die Regierung, die aus ihr hervorgegangen ist, noch ein
andres Bedenken. Diese Regierung will, wie es heißt, die Jesuiten aus dem
Lande treiben und ihren reichen Güterbesitz in Beschlag nehmen. Das wird
schwerlich ohne Widerstand und harten Kampf zu bewerkstelligen sein. Das
brasilische Volk ist keineswegs zu dem bittern Hasse erzogen, der die französischen
und die belgischen Freidenker gegen die Söhne Loyolas erfüllt. Es betrachtet
überhaupt die Kirche nicht als Feindin des Staates und der Gesellschaft, und
es hat insbesondre keine Ursache, zu wünschen, daß die Väter der Gesellschaft
Jesu Verbanne und beraubt werden; denn sie haben hier fast nur wohlthätig
gewirkt, den Hcidenstämmen des Hinterlandes mit dem christlichen Glauben
Gesittung und menschliches Empfinden gebracht, Schulen gegründet und Pflan¬
zungen angelegt, kurz in vielfacher Richtung genützt. Die Fortschrittspartei
in diesen Gegenden, die sie bekämpft und vornehmlich als Verbündete der
konservativen Partei verabscheut, erscheint der Mehrzahl des Volkes als Ver¬
ächter aller Religion, als Leute, die Plünderung der Besitzenden predigen und
an die Stelle von Gesetzen die Pöbelwillkür setzen wollen. Es ist nicht schwer,
den Leuten den Glauben beizubringen, die provisorische Negierung wolle den
Jesuiten nicht sowohl, weil sie konservativ, als weil sie reich sind, an den
Kragen. Und damit wäre man anch gewiß nicht weit von der Wahrheit ent¬
fernt. Soldaten plündern eben gern, wo sie es dürfen, und die jetzige brasilische
Regierung darf es, wenn sie, die Soldatenregierung, das Volk so auf ihrer
Seite hat, wie sie versichert. Das ist aber gewiß nicht der Fall, wenigstens
nicht in den innern Teilen des Landes.

Viktor Emanuel rühmte sich, durch Einigung Italiens die Ära der Revo¬
lution geschloffen zu haben. Dom Pedro würde nach dem, was wir bei dieser
Betrachtung gesehen haben, allen Grund zu der Klage haben, seine Verbannung
aus Brasilien habe die Ära der Revolution eröffnet.




Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

warten, daß die republikanischen Einrichtungen von einer erregten und begeisterte»
Demokratie im Sinne der Freiheit, der Selbstregierung und des Fortschritts
bis zu einem gewissen Maße segensreich entwickelt werden würden. Was aber
dürfen wir Gutes hoffen, wo das Volk, wie es nunmehr aussieht, sich zu der
Sache schweigend verhielt und nur die Soldateska das Wort hatte und handelte?
Eine nur oder fast nur von diesem oder jenem Regiment oder dieser oder jener
Brigade aufgespielte politische Umwälzung kann leicht durch zwei Regimenter
oder zwei Brigaden ungeschehen gemacht werden, die ein andrer Befehlshaber
gegen sie führt. Auch muß man sich erinnern, daß der Mann, der es so leicht
fand, einen Kaiser, der kein Kriegsmann, sondern ein sanftmütiger Gelehrter
war, zu vertreiben, eine schwerere Aufgabe vor sich haben wird, wenn ein
Soldat in fernen Provinzen mit ganz andern Interessen, als die der Zentral¬
regierung sind, die Fahne des Aufstandes erhebt.

Abgesehen von dem fast rein militärischen Charakter der brasilischen
Revolution erweckt die Regierung, die aus ihr hervorgegangen ist, noch ein
andres Bedenken. Diese Regierung will, wie es heißt, die Jesuiten aus dem
Lande treiben und ihren reichen Güterbesitz in Beschlag nehmen. Das wird
schwerlich ohne Widerstand und harten Kampf zu bewerkstelligen sein. Das
brasilische Volk ist keineswegs zu dem bittern Hasse erzogen, der die französischen
und die belgischen Freidenker gegen die Söhne Loyolas erfüllt. Es betrachtet
überhaupt die Kirche nicht als Feindin des Staates und der Gesellschaft, und
es hat insbesondre keine Ursache, zu wünschen, daß die Väter der Gesellschaft
Jesu Verbanne und beraubt werden; denn sie haben hier fast nur wohlthätig
gewirkt, den Hcidenstämmen des Hinterlandes mit dem christlichen Glauben
Gesittung und menschliches Empfinden gebracht, Schulen gegründet und Pflan¬
zungen angelegt, kurz in vielfacher Richtung genützt. Die Fortschrittspartei
in diesen Gegenden, die sie bekämpft und vornehmlich als Verbündete der
konservativen Partei verabscheut, erscheint der Mehrzahl des Volkes als Ver¬
ächter aller Religion, als Leute, die Plünderung der Besitzenden predigen und
an die Stelle von Gesetzen die Pöbelwillkür setzen wollen. Es ist nicht schwer,
den Leuten den Glauben beizubringen, die provisorische Negierung wolle den
Jesuiten nicht sowohl, weil sie konservativ, als weil sie reich sind, an den
Kragen. Und damit wäre man anch gewiß nicht weit von der Wahrheit ent¬
fernt. Soldaten plündern eben gern, wo sie es dürfen, und die jetzige brasilische
Regierung darf es, wenn sie, die Soldatenregierung, das Volk so auf ihrer
Seite hat, wie sie versichert. Das ist aber gewiß nicht der Fall, wenigstens
nicht in den innern Teilen des Landes.

Viktor Emanuel rühmte sich, durch Einigung Italiens die Ära der Revo¬
lution geschloffen zu haben. Dom Pedro würde nach dem, was wir bei dieser
Betrachtung gesehen haben, allen Grund zu der Klage haben, seine Verbannung
aus Brasilien habe die Ära der Revolution eröffnet.




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[0550] Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung warten, daß die republikanischen Einrichtungen von einer erregten und begeisterte» Demokratie im Sinne der Freiheit, der Selbstregierung und des Fortschritts bis zu einem gewissen Maße segensreich entwickelt werden würden. Was aber dürfen wir Gutes hoffen, wo das Volk, wie es nunmehr aussieht, sich zu der Sache schweigend verhielt und nur die Soldateska das Wort hatte und handelte? Eine nur oder fast nur von diesem oder jenem Regiment oder dieser oder jener Brigade aufgespielte politische Umwälzung kann leicht durch zwei Regimenter oder zwei Brigaden ungeschehen gemacht werden, die ein andrer Befehlshaber gegen sie führt. Auch muß man sich erinnern, daß der Mann, der es so leicht fand, einen Kaiser, der kein Kriegsmann, sondern ein sanftmütiger Gelehrter war, zu vertreiben, eine schwerere Aufgabe vor sich haben wird, wenn ein Soldat in fernen Provinzen mit ganz andern Interessen, als die der Zentral¬ regierung sind, die Fahne des Aufstandes erhebt. Abgesehen von dem fast rein militärischen Charakter der brasilischen Revolution erweckt die Regierung, die aus ihr hervorgegangen ist, noch ein andres Bedenken. Diese Regierung will, wie es heißt, die Jesuiten aus dem Lande treiben und ihren reichen Güterbesitz in Beschlag nehmen. Das wird schwerlich ohne Widerstand und harten Kampf zu bewerkstelligen sein. Das brasilische Volk ist keineswegs zu dem bittern Hasse erzogen, der die französischen und die belgischen Freidenker gegen die Söhne Loyolas erfüllt. Es betrachtet überhaupt die Kirche nicht als Feindin des Staates und der Gesellschaft, und es hat insbesondre keine Ursache, zu wünschen, daß die Väter der Gesellschaft Jesu Verbanne und beraubt werden; denn sie haben hier fast nur wohlthätig gewirkt, den Hcidenstämmen des Hinterlandes mit dem christlichen Glauben Gesittung und menschliches Empfinden gebracht, Schulen gegründet und Pflan¬ zungen angelegt, kurz in vielfacher Richtung genützt. Die Fortschrittspartei in diesen Gegenden, die sie bekämpft und vornehmlich als Verbündete der konservativen Partei verabscheut, erscheint der Mehrzahl des Volkes als Ver¬ ächter aller Religion, als Leute, die Plünderung der Besitzenden predigen und an die Stelle von Gesetzen die Pöbelwillkür setzen wollen. Es ist nicht schwer, den Leuten den Glauben beizubringen, die provisorische Negierung wolle den Jesuiten nicht sowohl, weil sie konservativ, als weil sie reich sind, an den Kragen. Und damit wäre man anch gewiß nicht weit von der Wahrheit ent¬ fernt. Soldaten plündern eben gern, wo sie es dürfen, und die jetzige brasilische Regierung darf es, wenn sie, die Soldatenregierung, das Volk so auf ihrer Seite hat, wie sie versichert. Das ist aber gewiß nicht der Fall, wenigstens nicht in den innern Teilen des Landes. Viktor Emanuel rühmte sich, durch Einigung Italiens die Ära der Revo¬ lution geschloffen zu haben. Dom Pedro würde nach dem, was wir bei dieser Betrachtung gesehen haben, allen Grund zu der Klage haben, seine Verbannung aus Brasilien habe die Ära der Revolution eröffnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/550>, abgerufen am 28.06.2024.