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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

Helden hatten. Man denke an den langjährigen Diktator Rosas in Argen¬
tinien lind an den Präsidenten Bcirrios in Guatemala, der vor einigen Jahren,
als kein Priester zur Stelle war, seinen Minister die Messe lesen und seine
Mätresse dabei nackt über dem Altar die heilige Jungfrau spielen ließ. Sehr
häufig waren diese Generale gemeine Egoisten, die lediglich, um die Staats¬
gelder in ihre Hand zu bringen, sich der Präsidentschaft bemächtigten, fast nie
aber waren sie begabte Männer. In der Regel befaßen sie nur dreiste Ent¬
schlossenheit und Gewissenlosigkeit in der Wahl ihrer Mittel. Denn es liegt
auf der Hand, daß in den meisten Fällen nicht der sich zum Führer einer Revo¬
lution aufwerfende General die besten Aussichten auf Erfolg hat, der dabei den
Ruf als großer Kriegsmann geltend machen kann, sondern der, der es am besten
versteht, sich durch Versprechungen und Bestechungen, Ränke und Schliche die
Herzen der Soldaten zu gewinnen. Gelegenheit dazu findet sich immer; er
kann sie mit allerlei Zusagen ködern für den Fall, daß sein Pronuneiamiento
gelingt: Verminderung ihrer Übungen und Dienstleistungen, Erhöhung ihres
Soldes und ihrer Nationen, Verleihung von Vorrechten und Beförderung zu
höhern Stellen. Sie folgen ihm dann, gleichviel, zu welchem politischen Zweck
er sich bekennt, ob er sich selbst oder einen andern, etwa einen Fürsten, ans
Ruder bringen, ob er eine Monarchie oder eine Republik errichten oder um¬
stürzen will. Der Bürger, namentlich die besitzende Klasse, hat unmittelbar
und mittelbar unter diesem Unwesen zu leiden. Denn die Kasernenpolitik be¬
ruht ans keinerlei Grundsätzen, sie kennt keinerlei andre Ideen als den Ge¬
horsam gegen den Führer, der sich ihn zu verschaffen weiß. Heute hält der
Marschall' Manuel Deodoro da Fonseca in Rio de Janeiro die Zügel der
Negierung in seiner meineidiger Hand. Im nächsten Monat oder im nächsten
Jahre kann ihn ein andrer General stürzen, indem er sich gleichen Verrates
'lud gleicher Werkzeuge bedient wie er, und dein zweiten Meuterer wird ein
dritter und ein vierter folgen, bis das Land durch die ewige Unsicherheit und
Unruhe, durch den Raub der Sieger, den steten Wechsel in der Verwaltung,
die Störung von Handel und Wandel so gründlich zerrüttet und verkommen
ist wie die meisten spanischen Republiken Amerikas, in denen sich dieses Un¬
wesen entwickelt hat -- immer vorausgesetzt, daß die Erkenntnis des Schadens
sich nicht bald Bahn bricht und die Wiederherstellung der Monarchie herbei¬
führt. Das Volk wird, da es unbewaffnet ist, mit Einschluß der Republikaner,
gleichgiltig und regungslos zusehen, wie der Mnrschall abbaute oder erschossen
wird, und wie die Soldaten eine andre provisorische Negierung errichten oder
die kaiserliche Regierung wieder Herstellei?, die ihnen dann freilich zu Dank
verpflichtet wäre. Alle diese Wahrscheinlichkeiten ergeben sich ans den neuesten
Nachrichten, nach denen in Rio nicht eine Volkserhebung, sondern eine Militär¬
meuterei stattgefunden und die Monarchie umgestoßen hat. Wäre der Kaiser
Dom Pedro von: Volke sür abgesetzt erklärt worden, so ließe sich vielleicht er-


Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

Helden hatten. Man denke an den langjährigen Diktator Rosas in Argen¬
tinien lind an den Präsidenten Bcirrios in Guatemala, der vor einigen Jahren,
als kein Priester zur Stelle war, seinen Minister die Messe lesen und seine
Mätresse dabei nackt über dem Altar die heilige Jungfrau spielen ließ. Sehr
häufig waren diese Generale gemeine Egoisten, die lediglich, um die Staats¬
gelder in ihre Hand zu bringen, sich der Präsidentschaft bemächtigten, fast nie
aber waren sie begabte Männer. In der Regel befaßen sie nur dreiste Ent¬
schlossenheit und Gewissenlosigkeit in der Wahl ihrer Mittel. Denn es liegt
auf der Hand, daß in den meisten Fällen nicht der sich zum Führer einer Revo¬
lution aufwerfende General die besten Aussichten auf Erfolg hat, der dabei den
Ruf als großer Kriegsmann geltend machen kann, sondern der, der es am besten
versteht, sich durch Versprechungen und Bestechungen, Ränke und Schliche die
Herzen der Soldaten zu gewinnen. Gelegenheit dazu findet sich immer; er
kann sie mit allerlei Zusagen ködern für den Fall, daß sein Pronuneiamiento
gelingt: Verminderung ihrer Übungen und Dienstleistungen, Erhöhung ihres
Soldes und ihrer Nationen, Verleihung von Vorrechten und Beförderung zu
höhern Stellen. Sie folgen ihm dann, gleichviel, zu welchem politischen Zweck
er sich bekennt, ob er sich selbst oder einen andern, etwa einen Fürsten, ans
Ruder bringen, ob er eine Monarchie oder eine Republik errichten oder um¬
stürzen will. Der Bürger, namentlich die besitzende Klasse, hat unmittelbar
und mittelbar unter diesem Unwesen zu leiden. Denn die Kasernenpolitik be¬
ruht ans keinerlei Grundsätzen, sie kennt keinerlei andre Ideen als den Ge¬
horsam gegen den Führer, der sich ihn zu verschaffen weiß. Heute hält der
Marschall' Manuel Deodoro da Fonseca in Rio de Janeiro die Zügel der
Negierung in seiner meineidiger Hand. Im nächsten Monat oder im nächsten
Jahre kann ihn ein andrer General stürzen, indem er sich gleichen Verrates
'lud gleicher Werkzeuge bedient wie er, und dein zweiten Meuterer wird ein
dritter und ein vierter folgen, bis das Land durch die ewige Unsicherheit und
Unruhe, durch den Raub der Sieger, den steten Wechsel in der Verwaltung,
die Störung von Handel und Wandel so gründlich zerrüttet und verkommen
ist wie die meisten spanischen Republiken Amerikas, in denen sich dieses Un¬
wesen entwickelt hat — immer vorausgesetzt, daß die Erkenntnis des Schadens
sich nicht bald Bahn bricht und die Wiederherstellung der Monarchie herbei¬
führt. Das Volk wird, da es unbewaffnet ist, mit Einschluß der Republikaner,
gleichgiltig und regungslos zusehen, wie der Mnrschall abbaute oder erschossen
wird, und wie die Soldaten eine andre provisorische Negierung errichten oder
die kaiserliche Regierung wieder Herstellei?, die ihnen dann freilich zu Dank
verpflichtet wäre. Alle diese Wahrscheinlichkeiten ergeben sich ans den neuesten
Nachrichten, nach denen in Rio nicht eine Volkserhebung, sondern eine Militär¬
meuterei stattgefunden und die Monarchie umgestoßen hat. Wäre der Kaiser
Dom Pedro von: Volke sür abgesetzt erklärt worden, so ließe sich vielleicht er-


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[0549] Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung Helden hatten. Man denke an den langjährigen Diktator Rosas in Argen¬ tinien lind an den Präsidenten Bcirrios in Guatemala, der vor einigen Jahren, als kein Priester zur Stelle war, seinen Minister die Messe lesen und seine Mätresse dabei nackt über dem Altar die heilige Jungfrau spielen ließ. Sehr häufig waren diese Generale gemeine Egoisten, die lediglich, um die Staats¬ gelder in ihre Hand zu bringen, sich der Präsidentschaft bemächtigten, fast nie aber waren sie begabte Männer. In der Regel befaßen sie nur dreiste Ent¬ schlossenheit und Gewissenlosigkeit in der Wahl ihrer Mittel. Denn es liegt auf der Hand, daß in den meisten Fällen nicht der sich zum Führer einer Revo¬ lution aufwerfende General die besten Aussichten auf Erfolg hat, der dabei den Ruf als großer Kriegsmann geltend machen kann, sondern der, der es am besten versteht, sich durch Versprechungen und Bestechungen, Ränke und Schliche die Herzen der Soldaten zu gewinnen. Gelegenheit dazu findet sich immer; er kann sie mit allerlei Zusagen ködern für den Fall, daß sein Pronuneiamiento gelingt: Verminderung ihrer Übungen und Dienstleistungen, Erhöhung ihres Soldes und ihrer Nationen, Verleihung von Vorrechten und Beförderung zu höhern Stellen. Sie folgen ihm dann, gleichviel, zu welchem politischen Zweck er sich bekennt, ob er sich selbst oder einen andern, etwa einen Fürsten, ans Ruder bringen, ob er eine Monarchie oder eine Republik errichten oder um¬ stürzen will. Der Bürger, namentlich die besitzende Klasse, hat unmittelbar und mittelbar unter diesem Unwesen zu leiden. Denn die Kasernenpolitik be¬ ruht ans keinerlei Grundsätzen, sie kennt keinerlei andre Ideen als den Ge¬ horsam gegen den Führer, der sich ihn zu verschaffen weiß. Heute hält der Marschall' Manuel Deodoro da Fonseca in Rio de Janeiro die Zügel der Negierung in seiner meineidiger Hand. Im nächsten Monat oder im nächsten Jahre kann ihn ein andrer General stürzen, indem er sich gleichen Verrates 'lud gleicher Werkzeuge bedient wie er, und dein zweiten Meuterer wird ein dritter und ein vierter folgen, bis das Land durch die ewige Unsicherheit und Unruhe, durch den Raub der Sieger, den steten Wechsel in der Verwaltung, die Störung von Handel und Wandel so gründlich zerrüttet und verkommen ist wie die meisten spanischen Republiken Amerikas, in denen sich dieses Un¬ wesen entwickelt hat — immer vorausgesetzt, daß die Erkenntnis des Schadens sich nicht bald Bahn bricht und die Wiederherstellung der Monarchie herbei¬ führt. Das Volk wird, da es unbewaffnet ist, mit Einschluß der Republikaner, gleichgiltig und regungslos zusehen, wie der Mnrschall abbaute oder erschossen wird, und wie die Soldaten eine andre provisorische Negierung errichten oder die kaiserliche Regierung wieder Herstellei?, die ihnen dann freilich zu Dank verpflichtet wäre. Alle diese Wahrscheinlichkeiten ergeben sich ans den neuesten Nachrichten, nach denen in Rio nicht eine Volkserhebung, sondern eine Militär¬ meuterei stattgefunden und die Monarchie umgestoßen hat. Wäre der Kaiser Dom Pedro von: Volke sür abgesetzt erklärt worden, so ließe sich vielleicht er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/549>, abgerufen am 30.06.2024.