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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

antreten, wobei sie alle von Militär begleitet wurden. Trotz des stürmischen
Wetters fand die Einschiffung der Herrschaften ohne Aufschub statt. Eine
Dampfjacht brachte sie mich einem Kriegsschiffe, das sofort die Anker lichtete
und nach Ilha Grand abging. Am Bord wurden sie als Staatsgefangene
festgehalten, Ins sie an den Dampfer Alagoas abgegeben wurden, der nach
Lissabon in See stach, dabei aber von dem Panzerschiffe Niachuelo begleitet
wurde, das Befehl hatte, eine Wiederausschiffung des Kaisers in Bahn oder
anderswo an der brasilischen Küste zu verhindern. Erst aus dein Alagoas
empfing Dom Pedro das Dekret der provisorischen Regierung, durch das ihm
Weitergewährung seiner Zivilliste zugesichert wurde. Er nahm das Anerbieten
nicht an, er hat nicht abgedankt, er betrachtet sich einfach als durch Gewalt¬
haber vertrieben und hat erklärt, wenn man ihn auf den Thron zurückrufe, der
Aufforderung entsprechen zu wollen.

Das wären die Thatsachen, und nun ein paar Worte über deren Bedeu¬
tung. Soldaten und nur Soldaten umzingelten den kaiserlichen Palast in Rio.
schnitten den Verkehr zwischen diesen, und der Stadt ab. hielten den Monarchen
"ut seine Familie gefangen und begleiteten sie während ihrer erzwungenen
Abreise. Diese Ausschließlichkeit gestattet ohne Zweifel die Annahme, daß
Fonseca und seine Mitverschwornen wenigstens den Fall für möglich hielten,
daß das Volk dem Herrscher, der es fast ein halbes Jahrhundert regiert und
sich ehrlich bestrebt hatte, es glücklich zu machen, beim Scheiden seine Liebe
und Hochachtung erweisen, ja vielleicht mehr thun werde. Die Befürchtung
mich Angriffs übereifriger Republikaner auf den abziehenden Monarchen war
höchstwahrscheinlich bloßes Vorgeben Fonsecas. der Eile hatte, einen Neben¬
buhler mit Aussichten loszuwerden. Die republikanische Partei stand offenbar
"n Hintergründe, und es gab in Rio unstreitig ebensoviel Monarchisten. Nur
haben, wenn die bewaffnete Macht sichs belieben läßt, sich in Staatsangelegen¬
heiten zu mischen, die Bürger wenig Aussicht, die Oberhand zu behalten, mögen
sie auch mit sehr starken Sympathien auf der andern Seite stehen. Europa
hatte ferner nach dem Inhalte der ersten Kunde von der Umwälzung den
Eindruck, daß Dom Pedro sich den Verhältnissen ohne langes Besinnen und
Widerstreben gefügt habe. Nach deu neuern Berichten irrte man sich auch
hierin, es ist vielmehr klar, daß er nur starkem Drängen und Drohen und mir
nnter Versuche,,, sich mit einer neuen Regierung zu halten, und zuletzt unter
Wahrung seiner Thronrechte gewichen ist, und daß er in Lissabon seinen Ent¬
schluß kund gegeben hat. zurückzukehren, wenn man dies wünsche, was er nicht
gethan hätte, wenn er nicht mit einigem Grund gehofft hätte, dieser Wunsch
werde ihm bald von einer starken Partei ausgesprochen werden.

So hat denn die neueste Revolution unsers Jahrhunderts bis jetzt kein
endgiltiges Ergebnis gehabt, und es ist einfach nicht wahr, wenn die provi¬
sorische Regierung behauptet, an dem Bestände der Republik sei nicht mehr


Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

antreten, wobei sie alle von Militär begleitet wurden. Trotz des stürmischen
Wetters fand die Einschiffung der Herrschaften ohne Aufschub statt. Eine
Dampfjacht brachte sie mich einem Kriegsschiffe, das sofort die Anker lichtete
und nach Ilha Grand abging. Am Bord wurden sie als Staatsgefangene
festgehalten, Ins sie an den Dampfer Alagoas abgegeben wurden, der nach
Lissabon in See stach, dabei aber von dem Panzerschiffe Niachuelo begleitet
wurde, das Befehl hatte, eine Wiederausschiffung des Kaisers in Bahn oder
anderswo an der brasilischen Küste zu verhindern. Erst aus dein Alagoas
empfing Dom Pedro das Dekret der provisorischen Regierung, durch das ihm
Weitergewährung seiner Zivilliste zugesichert wurde. Er nahm das Anerbieten
nicht an, er hat nicht abgedankt, er betrachtet sich einfach als durch Gewalt¬
haber vertrieben und hat erklärt, wenn man ihn auf den Thron zurückrufe, der
Aufforderung entsprechen zu wollen.

Das wären die Thatsachen, und nun ein paar Worte über deren Bedeu¬
tung. Soldaten und nur Soldaten umzingelten den kaiserlichen Palast in Rio.
schnitten den Verkehr zwischen diesen, und der Stadt ab. hielten den Monarchen
»ut seine Familie gefangen und begleiteten sie während ihrer erzwungenen
Abreise. Diese Ausschließlichkeit gestattet ohne Zweifel die Annahme, daß
Fonseca und seine Mitverschwornen wenigstens den Fall für möglich hielten,
daß das Volk dem Herrscher, der es fast ein halbes Jahrhundert regiert und
sich ehrlich bestrebt hatte, es glücklich zu machen, beim Scheiden seine Liebe
und Hochachtung erweisen, ja vielleicht mehr thun werde. Die Befürchtung
mich Angriffs übereifriger Republikaner auf den abziehenden Monarchen war
höchstwahrscheinlich bloßes Vorgeben Fonsecas. der Eile hatte, einen Neben¬
buhler mit Aussichten loszuwerden. Die republikanische Partei stand offenbar
"n Hintergründe, und es gab in Rio unstreitig ebensoviel Monarchisten. Nur
haben, wenn die bewaffnete Macht sichs belieben läßt, sich in Staatsangelegen¬
heiten zu mischen, die Bürger wenig Aussicht, die Oberhand zu behalten, mögen
sie auch mit sehr starken Sympathien auf der andern Seite stehen. Europa
hatte ferner nach dem Inhalte der ersten Kunde von der Umwälzung den
Eindruck, daß Dom Pedro sich den Verhältnissen ohne langes Besinnen und
Widerstreben gefügt habe. Nach deu neuern Berichten irrte man sich auch
hierin, es ist vielmehr klar, daß er nur starkem Drängen und Drohen und mir
nnter Versuche,,, sich mit einer neuen Regierung zu halten, und zuletzt unter
Wahrung seiner Thronrechte gewichen ist, und daß er in Lissabon seinen Ent¬
schluß kund gegeben hat. zurückzukehren, wenn man dies wünsche, was er nicht
gethan hätte, wenn er nicht mit einigem Grund gehofft hätte, dieser Wunsch
werde ihm bald von einer starken Partei ausgesprochen werden.

So hat denn die neueste Revolution unsers Jahrhunderts bis jetzt kein
endgiltiges Ergebnis gehabt, und es ist einfach nicht wahr, wenn die provi¬
sorische Regierung behauptet, an dem Bestände der Republik sei nicht mehr


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[0547] Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung antreten, wobei sie alle von Militär begleitet wurden. Trotz des stürmischen Wetters fand die Einschiffung der Herrschaften ohne Aufschub statt. Eine Dampfjacht brachte sie mich einem Kriegsschiffe, das sofort die Anker lichtete und nach Ilha Grand abging. Am Bord wurden sie als Staatsgefangene festgehalten, Ins sie an den Dampfer Alagoas abgegeben wurden, der nach Lissabon in See stach, dabei aber von dem Panzerschiffe Niachuelo begleitet wurde, das Befehl hatte, eine Wiederausschiffung des Kaisers in Bahn oder anderswo an der brasilischen Küste zu verhindern. Erst aus dein Alagoas empfing Dom Pedro das Dekret der provisorischen Regierung, durch das ihm Weitergewährung seiner Zivilliste zugesichert wurde. Er nahm das Anerbieten nicht an, er hat nicht abgedankt, er betrachtet sich einfach als durch Gewalt¬ haber vertrieben und hat erklärt, wenn man ihn auf den Thron zurückrufe, der Aufforderung entsprechen zu wollen. Das wären die Thatsachen, und nun ein paar Worte über deren Bedeu¬ tung. Soldaten und nur Soldaten umzingelten den kaiserlichen Palast in Rio. schnitten den Verkehr zwischen diesen, und der Stadt ab. hielten den Monarchen »ut seine Familie gefangen und begleiteten sie während ihrer erzwungenen Abreise. Diese Ausschließlichkeit gestattet ohne Zweifel die Annahme, daß Fonseca und seine Mitverschwornen wenigstens den Fall für möglich hielten, daß das Volk dem Herrscher, der es fast ein halbes Jahrhundert regiert und sich ehrlich bestrebt hatte, es glücklich zu machen, beim Scheiden seine Liebe und Hochachtung erweisen, ja vielleicht mehr thun werde. Die Befürchtung mich Angriffs übereifriger Republikaner auf den abziehenden Monarchen war höchstwahrscheinlich bloßes Vorgeben Fonsecas. der Eile hatte, einen Neben¬ buhler mit Aussichten loszuwerden. Die republikanische Partei stand offenbar "n Hintergründe, und es gab in Rio unstreitig ebensoviel Monarchisten. Nur haben, wenn die bewaffnete Macht sichs belieben läßt, sich in Staatsangelegen¬ heiten zu mischen, die Bürger wenig Aussicht, die Oberhand zu behalten, mögen sie auch mit sehr starken Sympathien auf der andern Seite stehen. Europa hatte ferner nach dem Inhalte der ersten Kunde von der Umwälzung den Eindruck, daß Dom Pedro sich den Verhältnissen ohne langes Besinnen und Widerstreben gefügt habe. Nach deu neuern Berichten irrte man sich auch hierin, es ist vielmehr klar, daß er nur starkem Drängen und Drohen und mir nnter Versuche,,, sich mit einer neuen Regierung zu halten, und zuletzt unter Wahrung seiner Thronrechte gewichen ist, und daß er in Lissabon seinen Ent¬ schluß kund gegeben hat. zurückzukehren, wenn man dies wünsche, was er nicht gethan hätte, wenn er nicht mit einigem Grund gehofft hätte, dieser Wunsch werde ihm bald von einer starken Partei ausgesprochen werden. So hat denn die neueste Revolution unsers Jahrhunderts bis jetzt kein endgiltiges Ergebnis gehabt, und es ist einfach nicht wahr, wenn die provi¬ sorische Regierung behauptet, an dem Bestände der Republik sei nicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/547>, abgerufen am 30.06.2024.