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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

neben dem Kaiser. Dieser befand sich mit seiner Familie in Petropolis als der
Aufstand in Rio ausbrach. Am 15. November früh wurde er, von der Messe
zurückkehrend, durch ein Telegramm des Ministers Ouro Pretv davon be¬
nachrichtigt, ebenso von der Erklärung des Belagerungszustandes durch die
Leiter der Meuterei, die ihrer Artillerie befohlen hatten, die Stadt mit ge¬
ladenen Kanonen zu bedrohen. Dom Pedro begab sich infolge dessen sofort
in sein Schloß zu Rio, wo er von Truppen umringt wurde und ein Unter¬
leutnant ihm das Dekret überreichte, durch das der Marschall Deodoro da
Fonseca die Errichtung der Republik bekannt gemacht hatte. Der Kaiser beriet
sich darauf mit den Ministern und Staatsräten und versuchte ein neues Kabinet
zu bilden, an dessen Spitze der radikale Sciraiva stehen sollte. Der Marschall
da Fonseca aber erhob dagegen Einwendungen, indem er in einem Schreiben
an den Kaiser erklärte, der Umstand, daß die Republik ausgerufen worden sei,
gestatte den Aufenthalt des Monarchen und feiner Familie im Lande nicht
mehr. Das Schreiben klagt, daß das Ministerium vom 7. Juni "alle Gesetze
in beispielloser Weise verletzt und umgestoßen" habe, und sagt dann bezeich¬
nend! "Die systematischen Beleidigungen, die der Armee und der Flotte in
neuerer Zeit von der kaiserlichen Regierung zugefügt worden sind, bilden eine
hassenswerte Politik, was auch von der Nation empfunden worden ist. Die
Beseitigung der Rechte dieser beiden Klassen und die Einführung von Ele¬
menten amtlicher Unterdrückung, die stets von der liberalen Demokratie verab¬
scheut worden sind, veranlaßten die gestrigen Ereignisse, deren Bedeutung Sie
sicherlich begreifen werden. Das Verbleiben der kaiserlichen Familie in diesem
Lande würde nach der unwiderruflichen Revolution unvernünftig und unmöglich
sein, da es geeignet wäre, Unruhen hervorzurufen, die zu verhüten uns die
öffentliche Sicherheit zur notwendigen Pflicht macht. Wir sehen uns daher
genötigt, mit aller Achtung vor der Würde des öffentlichen Amtes, das zu
bekleiden Sie aufgehört haben, Ihnen kund zu thun, daß die provisorische
Regierung von Ihrer Vaterlandsliebe das Opfer erwartet, daß Sie mit Ihrem
Hause in möglichst kurzer Frist Brasilien verlassen. In dieser Hinsicht setzen
wir das höchste Maß an Zeit fest, das Sie -- wir verlassen uns darauf -
nicht überschreiten werden." Dom Pedro beschloß nach einer Besprechung mit
seiner Umgebung abzureisen. In der Nacht aber wurde ihm von Major Tvm-
bolsci, der ihn und seine Familie mit einer Truppenabteilung in ihren Schlaf¬
gemächern bewachte, ein schriftlicher Befehl Fonsecas überbracht, angesichts dessen
er sich ohne allen weitern Verzug einschiffen sollte, da man seine Abreise erst
nach Tagesanbruch nicht gestatten könne, weil die Haltung der Studenten, die
eifrige Republikaner und jetzt großenteils bewaffnet seien, bei seiner Durchfahrt
durch die Straßen zu Blutvergießen führen würde. Der Kaiser und die
Kaiserin fuhren daher schon um drei Uhr morgens nach dein Quai, und seine
Tochter und deren Gemahl, der Prinz d'En, mußten den Weg dahin zu Fuße


Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung

neben dem Kaiser. Dieser befand sich mit seiner Familie in Petropolis als der
Aufstand in Rio ausbrach. Am 15. November früh wurde er, von der Messe
zurückkehrend, durch ein Telegramm des Ministers Ouro Pretv davon be¬
nachrichtigt, ebenso von der Erklärung des Belagerungszustandes durch die
Leiter der Meuterei, die ihrer Artillerie befohlen hatten, die Stadt mit ge¬
ladenen Kanonen zu bedrohen. Dom Pedro begab sich infolge dessen sofort
in sein Schloß zu Rio, wo er von Truppen umringt wurde und ein Unter¬
leutnant ihm das Dekret überreichte, durch das der Marschall Deodoro da
Fonseca die Errichtung der Republik bekannt gemacht hatte. Der Kaiser beriet
sich darauf mit den Ministern und Staatsräten und versuchte ein neues Kabinet
zu bilden, an dessen Spitze der radikale Sciraiva stehen sollte. Der Marschall
da Fonseca aber erhob dagegen Einwendungen, indem er in einem Schreiben
an den Kaiser erklärte, der Umstand, daß die Republik ausgerufen worden sei,
gestatte den Aufenthalt des Monarchen und feiner Familie im Lande nicht
mehr. Das Schreiben klagt, daß das Ministerium vom 7. Juni „alle Gesetze
in beispielloser Weise verletzt und umgestoßen" habe, und sagt dann bezeich¬
nend! „Die systematischen Beleidigungen, die der Armee und der Flotte in
neuerer Zeit von der kaiserlichen Regierung zugefügt worden sind, bilden eine
hassenswerte Politik, was auch von der Nation empfunden worden ist. Die
Beseitigung der Rechte dieser beiden Klassen und die Einführung von Ele¬
menten amtlicher Unterdrückung, die stets von der liberalen Demokratie verab¬
scheut worden sind, veranlaßten die gestrigen Ereignisse, deren Bedeutung Sie
sicherlich begreifen werden. Das Verbleiben der kaiserlichen Familie in diesem
Lande würde nach der unwiderruflichen Revolution unvernünftig und unmöglich
sein, da es geeignet wäre, Unruhen hervorzurufen, die zu verhüten uns die
öffentliche Sicherheit zur notwendigen Pflicht macht. Wir sehen uns daher
genötigt, mit aller Achtung vor der Würde des öffentlichen Amtes, das zu
bekleiden Sie aufgehört haben, Ihnen kund zu thun, daß die provisorische
Regierung von Ihrer Vaterlandsliebe das Opfer erwartet, daß Sie mit Ihrem
Hause in möglichst kurzer Frist Brasilien verlassen. In dieser Hinsicht setzen
wir das höchste Maß an Zeit fest, das Sie — wir verlassen uns darauf -
nicht überschreiten werden." Dom Pedro beschloß nach einer Besprechung mit
seiner Umgebung abzureisen. In der Nacht aber wurde ihm von Major Tvm-
bolsci, der ihn und seine Familie mit einer Truppenabteilung in ihren Schlaf¬
gemächern bewachte, ein schriftlicher Befehl Fonsecas überbracht, angesichts dessen
er sich ohne allen weitern Verzug einschiffen sollte, da man seine Abreise erst
nach Tagesanbruch nicht gestatten könne, weil die Haltung der Studenten, die
eifrige Republikaner und jetzt großenteils bewaffnet seien, bei seiner Durchfahrt
durch die Straßen zu Blutvergießen führen würde. Der Kaiser und die
Kaiserin fuhren daher schon um drei Uhr morgens nach dein Quai, und seine
Tochter und deren Gemahl, der Prinz d'En, mußten den Weg dahin zu Fuße


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[0546] Die brasilische Revolution in andrer Beleuchtung neben dem Kaiser. Dieser befand sich mit seiner Familie in Petropolis als der Aufstand in Rio ausbrach. Am 15. November früh wurde er, von der Messe zurückkehrend, durch ein Telegramm des Ministers Ouro Pretv davon be¬ nachrichtigt, ebenso von der Erklärung des Belagerungszustandes durch die Leiter der Meuterei, die ihrer Artillerie befohlen hatten, die Stadt mit ge¬ ladenen Kanonen zu bedrohen. Dom Pedro begab sich infolge dessen sofort in sein Schloß zu Rio, wo er von Truppen umringt wurde und ein Unter¬ leutnant ihm das Dekret überreichte, durch das der Marschall Deodoro da Fonseca die Errichtung der Republik bekannt gemacht hatte. Der Kaiser beriet sich darauf mit den Ministern und Staatsräten und versuchte ein neues Kabinet zu bilden, an dessen Spitze der radikale Sciraiva stehen sollte. Der Marschall da Fonseca aber erhob dagegen Einwendungen, indem er in einem Schreiben an den Kaiser erklärte, der Umstand, daß die Republik ausgerufen worden sei, gestatte den Aufenthalt des Monarchen und feiner Familie im Lande nicht mehr. Das Schreiben klagt, daß das Ministerium vom 7. Juni „alle Gesetze in beispielloser Weise verletzt und umgestoßen" habe, und sagt dann bezeich¬ nend! „Die systematischen Beleidigungen, die der Armee und der Flotte in neuerer Zeit von der kaiserlichen Regierung zugefügt worden sind, bilden eine hassenswerte Politik, was auch von der Nation empfunden worden ist. Die Beseitigung der Rechte dieser beiden Klassen und die Einführung von Ele¬ menten amtlicher Unterdrückung, die stets von der liberalen Demokratie verab¬ scheut worden sind, veranlaßten die gestrigen Ereignisse, deren Bedeutung Sie sicherlich begreifen werden. Das Verbleiben der kaiserlichen Familie in diesem Lande würde nach der unwiderruflichen Revolution unvernünftig und unmöglich sein, da es geeignet wäre, Unruhen hervorzurufen, die zu verhüten uns die öffentliche Sicherheit zur notwendigen Pflicht macht. Wir sehen uns daher genötigt, mit aller Achtung vor der Würde des öffentlichen Amtes, das zu bekleiden Sie aufgehört haben, Ihnen kund zu thun, daß die provisorische Regierung von Ihrer Vaterlandsliebe das Opfer erwartet, daß Sie mit Ihrem Hause in möglichst kurzer Frist Brasilien verlassen. In dieser Hinsicht setzen wir das höchste Maß an Zeit fest, das Sie — wir verlassen uns darauf - nicht überschreiten werden." Dom Pedro beschloß nach einer Besprechung mit seiner Umgebung abzureisen. In der Nacht aber wurde ihm von Major Tvm- bolsci, der ihn und seine Familie mit einer Truppenabteilung in ihren Schlaf¬ gemächern bewachte, ein schriftlicher Befehl Fonsecas überbracht, angesichts dessen er sich ohne allen weitern Verzug einschiffen sollte, da man seine Abreise erst nach Tagesanbruch nicht gestatten könne, weil die Haltung der Studenten, die eifrige Republikaner und jetzt großenteils bewaffnet seien, bei seiner Durchfahrt durch die Straßen zu Blutvergießen führen würde. Der Kaiser und die Kaiserin fuhren daher schon um drei Uhr morgens nach dein Quai, und seine Tochter und deren Gemahl, der Prinz d'En, mußten den Weg dahin zu Fuße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/546>, abgerufen am 22.12.2024.