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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

dunkelsten Dickicht. Die Wälder hüllen sich in einen bläulichen, gespenstischen
Dunst, und in deu Weißen Nebeln deS Sees beginnen die Fledermäuse ihren
Hexentanz, dahiutaumelnd, indem sie den steifen Schwanz wie einen kleinen
Besenstiel nnter den ausgebreiteten Flügeln vorstrecken. In wildem Fluge
streifen sie über die Wasserfläche dahin und tummeln sich zwischen den wilden
Felsschluchten oder umkreisen much das Haupt des einsamen, unglücklichen
Wandrers, der sich im Dunkel der Nacht auf deu Waldpfaden verirrt hat
und jetzt klopfenden Herzens zwischen den Baumstämmen umhertastet, angstvoll
des Augenblickes harrend, wo die Sichel des Mondes über dem Waldeskamm
hervorlngen wird.

Denn zu dieser Stunde beginnt -- so sagt mau -- ein wunderbares
Gaukelspiel. Dn erklingt aus der tiefsten Tiefe des Waldes ein kläglicher Ruf:
Zu Hilfe! Zu Hilfe! Hastige Schritte und der Schall kränkender Zweige klingen
vom Füsze des tannenbckleideten Hügels herauf, dort, wo der See seinen ver¬
borgensten Winkel bildet. Ein Boot wird hinausgeschoben, mau vernimmt
deutlich seinen schurrenden Laut und das Plätschern der Nuder im Wasser,
und dann verschwindet alles.

Zu andern Zeiten erklingen in der Ferne Hundegekläff und Jägerhorn.
Und draußen vom See her vernimmt man schwache, klagende Mädchenstimmen,
die von den Wellen ans Ufer getragen werden, Stimmen -- so erzählt man
sich --, die aus alten, längst entschwundnen Jahrhunderten herüberklingen, wo
Wegelagerer und Geächtete in diesen Wäldern hausten und' ihre Höhlen unter
den Eichen bauten, wo stolze Herren mit schimmernden Federbüschen und stolze
Damen ans milchweißen Zeltern in prunkenden Auszügen das wilde Getier
zwischen diesen Stämmen jagten, wo sich die schönen Töchter aus den roten
Dörfern in dunkeln Nächten zwischen den Klüften hindurch bis an dies Ge¬
wässer schlichen, um in seiner kühlen Tiefe für immer die Liebkosungen der
adlichen Herren abzuwaschen.

Wenn aber zur Johanniszeit der Vollmond über dem See steht und sein
Silber über den Wald ausgießt, dann lacht es seltsam drinnen unter den
Bäumen. Nach dem Wasser zu wird ein Zweig zur Seite gebogen, ein Kopf
guckt hervor, und in das Mondlicht hinaus schreitet mit vorsichtigem Schritt
ein junges, schönes Weib, völlig nackt (wenigstens behauptet das der Prediger),
ein Johanniswürmchen im dunkeln Haar. Ängstlich beugt sie sich vor, blickt
spähend umher, wendet sich dann plötzlich um und legt den Finger auf ihren
roten Mund. Denn hinter ihr tauchen andre auf, aus den Büsche", von den
Abhängen -- vier, acht, zehn --, alle nackt wie sie, Johanniswürmchen im
Haur. Errötend unter ängstlichem Schweigen schleichen sie sich hin zum Silber¬
bade. Zu zweien oder in Gruppen zu vieren und sechsen, das lange,, dunkle
Haar über den glänzenden Rücken herabwallend, gleiten sie zögernd und vor¬
sichtig über den auf dein Grnnde des Sees liegenden Sand dahin; sie schaudern


Junge Liebe

dunkelsten Dickicht. Die Wälder hüllen sich in einen bläulichen, gespenstischen
Dunst, und in deu Weißen Nebeln deS Sees beginnen die Fledermäuse ihren
Hexentanz, dahiutaumelnd, indem sie den steifen Schwanz wie einen kleinen
Besenstiel nnter den ausgebreiteten Flügeln vorstrecken. In wildem Fluge
streifen sie über die Wasserfläche dahin und tummeln sich zwischen den wilden
Felsschluchten oder umkreisen much das Haupt des einsamen, unglücklichen
Wandrers, der sich im Dunkel der Nacht auf deu Waldpfaden verirrt hat
und jetzt klopfenden Herzens zwischen den Baumstämmen umhertastet, angstvoll
des Augenblickes harrend, wo die Sichel des Mondes über dem Waldeskamm
hervorlngen wird.

Denn zu dieser Stunde beginnt — so sagt mau — ein wunderbares
Gaukelspiel. Dn erklingt aus der tiefsten Tiefe des Waldes ein kläglicher Ruf:
Zu Hilfe! Zu Hilfe! Hastige Schritte und der Schall kränkender Zweige klingen
vom Füsze des tannenbckleideten Hügels herauf, dort, wo der See seinen ver¬
borgensten Winkel bildet. Ein Boot wird hinausgeschoben, mau vernimmt
deutlich seinen schurrenden Laut und das Plätschern der Nuder im Wasser,
und dann verschwindet alles.

Zu andern Zeiten erklingen in der Ferne Hundegekläff und Jägerhorn.
Und draußen vom See her vernimmt man schwache, klagende Mädchenstimmen,
die von den Wellen ans Ufer getragen werden, Stimmen — so erzählt man
sich —, die aus alten, längst entschwundnen Jahrhunderten herüberklingen, wo
Wegelagerer und Geächtete in diesen Wäldern hausten und' ihre Höhlen unter
den Eichen bauten, wo stolze Herren mit schimmernden Federbüschen und stolze
Damen ans milchweißen Zeltern in prunkenden Auszügen das wilde Getier
zwischen diesen Stämmen jagten, wo sich die schönen Töchter aus den roten
Dörfern in dunkeln Nächten zwischen den Klüften hindurch bis an dies Ge¬
wässer schlichen, um in seiner kühlen Tiefe für immer die Liebkosungen der
adlichen Herren abzuwaschen.

Wenn aber zur Johanniszeit der Vollmond über dem See steht und sein
Silber über den Wald ausgießt, dann lacht es seltsam drinnen unter den
Bäumen. Nach dem Wasser zu wird ein Zweig zur Seite gebogen, ein Kopf
guckt hervor, und in das Mondlicht hinaus schreitet mit vorsichtigem Schritt
ein junges, schönes Weib, völlig nackt (wenigstens behauptet das der Prediger),
ein Johanniswürmchen im dunkeln Haar. Ängstlich beugt sie sich vor, blickt
spähend umher, wendet sich dann plötzlich um und legt den Finger auf ihren
roten Mund. Denn hinter ihr tauchen andre auf, aus den Büsche», von den
Abhängen — vier, acht, zehn —, alle nackt wie sie, Johanniswürmchen im
Haur. Errötend unter ängstlichem Schweigen schleichen sie sich hin zum Silber¬
bade. Zu zweien oder in Gruppen zu vieren und sechsen, das lange,, dunkle
Haar über den glänzenden Rücken herabwallend, gleiten sie zögernd und vor¬
sichtig über den auf dein Grnnde des Sees liegenden Sand dahin; sie schaudern


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[0054] Junge Liebe dunkelsten Dickicht. Die Wälder hüllen sich in einen bläulichen, gespenstischen Dunst, und in deu Weißen Nebeln deS Sees beginnen die Fledermäuse ihren Hexentanz, dahiutaumelnd, indem sie den steifen Schwanz wie einen kleinen Besenstiel nnter den ausgebreiteten Flügeln vorstrecken. In wildem Fluge streifen sie über die Wasserfläche dahin und tummeln sich zwischen den wilden Felsschluchten oder umkreisen much das Haupt des einsamen, unglücklichen Wandrers, der sich im Dunkel der Nacht auf deu Waldpfaden verirrt hat und jetzt klopfenden Herzens zwischen den Baumstämmen umhertastet, angstvoll des Augenblickes harrend, wo die Sichel des Mondes über dem Waldeskamm hervorlngen wird. Denn zu dieser Stunde beginnt — so sagt mau — ein wunderbares Gaukelspiel. Dn erklingt aus der tiefsten Tiefe des Waldes ein kläglicher Ruf: Zu Hilfe! Zu Hilfe! Hastige Schritte und der Schall kränkender Zweige klingen vom Füsze des tannenbckleideten Hügels herauf, dort, wo der See seinen ver¬ borgensten Winkel bildet. Ein Boot wird hinausgeschoben, mau vernimmt deutlich seinen schurrenden Laut und das Plätschern der Nuder im Wasser, und dann verschwindet alles. Zu andern Zeiten erklingen in der Ferne Hundegekläff und Jägerhorn. Und draußen vom See her vernimmt man schwache, klagende Mädchenstimmen, die von den Wellen ans Ufer getragen werden, Stimmen — so erzählt man sich —, die aus alten, längst entschwundnen Jahrhunderten herüberklingen, wo Wegelagerer und Geächtete in diesen Wäldern hausten und' ihre Höhlen unter den Eichen bauten, wo stolze Herren mit schimmernden Federbüschen und stolze Damen ans milchweißen Zeltern in prunkenden Auszügen das wilde Getier zwischen diesen Stämmen jagten, wo sich die schönen Töchter aus den roten Dörfern in dunkeln Nächten zwischen den Klüften hindurch bis an dies Ge¬ wässer schlichen, um in seiner kühlen Tiefe für immer die Liebkosungen der adlichen Herren abzuwaschen. Wenn aber zur Johanniszeit der Vollmond über dem See steht und sein Silber über den Wald ausgießt, dann lacht es seltsam drinnen unter den Bäumen. Nach dem Wasser zu wird ein Zweig zur Seite gebogen, ein Kopf guckt hervor, und in das Mondlicht hinaus schreitet mit vorsichtigem Schritt ein junges, schönes Weib, völlig nackt (wenigstens behauptet das der Prediger), ein Johanniswürmchen im dunkeln Haar. Ängstlich beugt sie sich vor, blickt spähend umher, wendet sich dann plötzlich um und legt den Finger auf ihren roten Mund. Denn hinter ihr tauchen andre auf, aus den Büsche», von den Abhängen — vier, acht, zehn —, alle nackt wie sie, Johanniswürmchen im Haur. Errötend unter ängstlichem Schweigen schleichen sie sich hin zum Silber¬ bade. Zu zweien oder in Gruppen zu vieren und sechsen, das lange,, dunkle Haar über den glänzenden Rücken herabwallend, gleiten sie zögernd und vor¬ sichtig über den auf dein Grnnde des Sees liegenden Sand dahin; sie schaudern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/54>, abgerufen am 22.12.2024.