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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Aus Ueuösterreich

dem sich ein Kopfschmerz gesellte, der mich mit mathematischer Regelmäßigkeit
von neun Uhr bis Mittag ans Bett fesselte und so matt machte, daß ich nicht
einmal die gewohnten Pürschgange unternehmen konnte. Vom Chinin war
ich beinahe taub, vom Arsenik ganz appetitlos geworden, mit Sehnsucht sah
ich der Ankunft unsers Arztes entgegen, dein ich ausführlich über meinen Zustand
berichtet und den ich um schleunige Hilfe gebeten hatte. Im Zimmer war es
schon seit fünf Uhr früh nicht auszuhalten, die Hitze und die Fliegen verscheuchten
den Schlaf, schon stellten sich die Vorboten des Fieberanfalles ein. Ich ließ
mein Bett hinaustragen, lagerte mich im Schatten einer riesigen Fichte, und
vertieft in einen alten Schmöker, erwartete ich gefaßt meine Qualen, Da, als
ich die müden Augen erhebe und über die Umgebung schweife" lasse, erblicke
ich aus der laugen Thalwiese zwei Reiter, die sich in gestrecktem Galopp dem
Blvckhcmse nähern. Ein Blick durchs Glas belehrt mich, daß es keine Türken
sind; bald unterscheide ich Uniformen, europäisch gesattelte Pferde, es fehlen
aber die schwarz-gelben Binden des Streifkorps, es muß also entweder eine
Inspektion oder der heißersehnte Doktor sein. Und er war es wirklich! Voran
die vier Hunde, seine steten Begleiter, die mich auf ihre Art begrüßten, dann
er selbst auf seiner kleinen feurigen Halbblutstute, die wegen ihrer unliebens-
würdigen Charaktereigenschaften am Korton nnter dein Namen "Krawallfanny"
bekannt war; dann der wackere Bursche Jstwan, die Perle aller Osfiziers-
bnrschen. Mit einer Flasche in der Hand trat der Doktor zu mir heran und
trank mir lustig zu. "Mensch, rief ich, ich kann nicht, die Anfälle werden
dann noch heftiger!" -- "Nur keine Faxen, mein Lieber, Alkohol ist auch ein
Medikament." Damit nahm er an meinem Schmerzenslngcr Platz, untersuchte
mich sorgfältig und sagte schließlich: "Deinen Brief habe ich richtig erhalten,
ein kostbares Aktenstück zur Krankheitsgeschichte eines Melancholikers, und
nachdem ich meine Wissenschaft zu Rate gezogen habe, habe ich ein treffliches,
anch für dich wirksames Heilmittel ersonnen, das, nicht so bitter wie Chinin,
nicht so widerwärtig wie Arsenik, dir doch gute Dienste leisten wird. Ich
habe mit unserm Alten ^respektswidrige Benennung für unsern Bataillons-
kommandanten^ Rücksprache genommen und bringe dir einen fünftägigen Ur¬
laub, den ich auch mir unter dem Vorwande, meine Handelskenntnisse zu er¬
weitern, erwirkt habe, wir wollen jagen, ohne Plan und Ziel umherstreifen,
bei Waldnachtquartiereu und bei selbstbereiteter Küche wollen wir fröhlich leben
und ans diese Weise das verwünschte Fieber verjagen." "Wenns nur was
nützen wollte," stöhnte ich trübselig, "ich wäre gern von der Partie, aber hente
hilf mir erst um alles in der Welt." , Der Anfall war da, der Doktor nahm
aus seiner Diensttasche ein Flnschchen, mit dessen Inhalt er meine Stirn ein¬
rieb, was mir Erleichterung verschaffte, dann plauderte er weiter und nötigte
mich dabei zum Weintrinken. "Was meinst du, wie wäre es, wenn wir nach
Montenegro durchgingen? Den Dormitor hat noch keiner bestiegen, vielleicht


Aus Ueuösterreich

dem sich ein Kopfschmerz gesellte, der mich mit mathematischer Regelmäßigkeit
von neun Uhr bis Mittag ans Bett fesselte und so matt machte, daß ich nicht
einmal die gewohnten Pürschgange unternehmen konnte. Vom Chinin war
ich beinahe taub, vom Arsenik ganz appetitlos geworden, mit Sehnsucht sah
ich der Ankunft unsers Arztes entgegen, dein ich ausführlich über meinen Zustand
berichtet und den ich um schleunige Hilfe gebeten hatte. Im Zimmer war es
schon seit fünf Uhr früh nicht auszuhalten, die Hitze und die Fliegen verscheuchten
den Schlaf, schon stellten sich die Vorboten des Fieberanfalles ein. Ich ließ
mein Bett hinaustragen, lagerte mich im Schatten einer riesigen Fichte, und
vertieft in einen alten Schmöker, erwartete ich gefaßt meine Qualen, Da, als
ich die müden Augen erhebe und über die Umgebung schweife» lasse, erblicke
ich aus der laugen Thalwiese zwei Reiter, die sich in gestrecktem Galopp dem
Blvckhcmse nähern. Ein Blick durchs Glas belehrt mich, daß es keine Türken
sind; bald unterscheide ich Uniformen, europäisch gesattelte Pferde, es fehlen
aber die schwarz-gelben Binden des Streifkorps, es muß also entweder eine
Inspektion oder der heißersehnte Doktor sein. Und er war es wirklich! Voran
die vier Hunde, seine steten Begleiter, die mich auf ihre Art begrüßten, dann
er selbst auf seiner kleinen feurigen Halbblutstute, die wegen ihrer unliebens-
würdigen Charaktereigenschaften am Korton nnter dein Namen „Krawallfanny"
bekannt war; dann der wackere Bursche Jstwan, die Perle aller Osfiziers-
bnrschen. Mit einer Flasche in der Hand trat der Doktor zu mir heran und
trank mir lustig zu. „Mensch, rief ich, ich kann nicht, die Anfälle werden
dann noch heftiger!" — „Nur keine Faxen, mein Lieber, Alkohol ist auch ein
Medikament." Damit nahm er an meinem Schmerzenslngcr Platz, untersuchte
mich sorgfältig und sagte schließlich: „Deinen Brief habe ich richtig erhalten,
ein kostbares Aktenstück zur Krankheitsgeschichte eines Melancholikers, und
nachdem ich meine Wissenschaft zu Rate gezogen habe, habe ich ein treffliches,
anch für dich wirksames Heilmittel ersonnen, das, nicht so bitter wie Chinin,
nicht so widerwärtig wie Arsenik, dir doch gute Dienste leisten wird. Ich
habe mit unserm Alten ^respektswidrige Benennung für unsern Bataillons-
kommandanten^ Rücksprache genommen und bringe dir einen fünftägigen Ur¬
laub, den ich auch mir unter dem Vorwande, meine Handelskenntnisse zu er¬
weitern, erwirkt habe, wir wollen jagen, ohne Plan und Ziel umherstreifen,
bei Waldnachtquartiereu und bei selbstbereiteter Küche wollen wir fröhlich leben
und ans diese Weise das verwünschte Fieber verjagen." „Wenns nur was
nützen wollte," stöhnte ich trübselig, „ich wäre gern von der Partie, aber hente
hilf mir erst um alles in der Welt." , Der Anfall war da, der Doktor nahm
aus seiner Diensttasche ein Flnschchen, mit dessen Inhalt er meine Stirn ein¬
rieb, was mir Erleichterung verschaffte, dann plauderte er weiter und nötigte
mich dabei zum Weintrinken. „Was meinst du, wie wäre es, wenn wir nach
Montenegro durchgingen? Den Dormitor hat noch keiner bestiegen, vielleicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/536>, abgerufen am 22.12.2024.