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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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beiden genannten und sämtlich in demselben Sinn und Geiste geschaffen sind:
eine Sammlung von Vaterlandsliedern, ein Balladcubuch, eine Samm¬
lung geistlicher Lieder und einen Zitatenschatz. Alle vier schließen sich
in jeder Beziehung an die beiden frühern an: für jede ist der rechte Mann
gefunden worden, der seine Aufgabe mit Ernst und Liebe erfaßt, mit Sach¬
kenntnis und Geschmack gelöst hat, sür das äußere Gewnnd, das bei allen
gleichmüßig ist und doch bei aller Gleichmäßigkeit eine feine und charakteristische
Mannichfaltigkeit zeigt, hat eine Hand gesorgt, der -- das sieht man -- diese
Fürsorge eine wahre Frende gewesen ist, nud was das Beste und Wichtigste
ist: jedes dieser vier Bücher füllt eine wirkliche Lücke aus, ja es ist eigentlich
zu verwundern, daß sie in unsrer überproduktiven Zeit, die so viel Unnützes,
Gequältes, Totgebvrnes auf den Markt wirft, uicht längst von andrer Seite
geschaffen worden sind. Wenn mau es als das ganze Geheimnis geschäftlichen
Erfolges bezeichnen kann, niemals das zu machen, was andre machen -- eine
Regel, die der deutsche Buchhandel leider viel zu wenig beherzigt, denn in
keinem Geschäftszweige ist die garstige, gemeine Nnchmacherei so verbreitet wie
in unserm Buchhandel --, dagegen immer das zu machen, was andre nicht
machen und was doch' einmal gemacht werden muß, so darf man Wohl diesen
vier Büchern einen schönen Erfolg voraussagen.

An einer guten Sammlung von Vaterlandsliedern hat es uns bisher
vollständig gefehlt. Für Schulzwecke erschien vor ein paar Jahren eine, in
der Hauptsache aus den Dichtern der Freiheitskriege ausgewählt, um den Be¬
stimmungen gewisser Schulordnungen, die eine halbjährige Beschäftigung mit
diesen Dichtern im deutschen Unterricht anordnen, entgegenzukommen. Andre
Sammlungen sind aus den dichterischen Erzeugnissen der Jahre 1870 und
1871 versucht worden, wieder für Schulzwecke, um an Patriotischen Schulfesten
"Sedantag) zum Singen und Deklamiren Stoff und Auswahl zu bieten. Mit
solchen Büchern hat das vorliegende, in jahrelangem, liebevollem Sammeln von
Ednard Heyck in Stuttgart zusanunengebrachte nichts zu thun. Es hat einen
weit größer" Rahmen und einen viel allgemeinern Zweck. Der Titel "Vater¬
landslieder" ist nur gewählt worden, um dem Buche einen kurzen, bequemen
Namen zu geben. Deutlicher sagt schon der Untertitel, was es enthält: "die Dich¬
tung der deutschen Träume und Kämpfe deS neunzehnten Jahrhunderts," und noch
deutlicher spricht sich der Herausgeber im Vorwort über seine Absichten ans. Am
wenigsten -- sagt er -- war eine patriotische Liederharfe oder auch ein Buch
mit einseitiger Tendenz beabsichtigt. Vielmehr ist aus einer Anzahl objektiver
Gesichtspunkte eine Auswahl von Gedichten nationalen oder politischen Inhalts
hervorgegangen, die natürlich von selbst auch einen historischen Charakter trägt.
Aber durchaus nicht etwa als eine poetische Begleitung der deutscheu Ge¬
schichte im neunzehnten Jahrhundert. Diese ist ja zu dem großen Wende¬
punkte von l"7"> auf ganz andern Wegen gelangt, als wie sie der laute Ton


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beiden genannten und sämtlich in demselben Sinn und Geiste geschaffen sind:
eine Sammlung von Vaterlandsliedern, ein Balladcubuch, eine Samm¬
lung geistlicher Lieder und einen Zitatenschatz. Alle vier schließen sich
in jeder Beziehung an die beiden frühern an: für jede ist der rechte Mann
gefunden worden, der seine Aufgabe mit Ernst und Liebe erfaßt, mit Sach¬
kenntnis und Geschmack gelöst hat, sür das äußere Gewnnd, das bei allen
gleichmüßig ist und doch bei aller Gleichmäßigkeit eine feine und charakteristische
Mannichfaltigkeit zeigt, hat eine Hand gesorgt, der — das sieht man — diese
Fürsorge eine wahre Frende gewesen ist, nud was das Beste und Wichtigste
ist: jedes dieser vier Bücher füllt eine wirkliche Lücke aus, ja es ist eigentlich
zu verwundern, daß sie in unsrer überproduktiven Zeit, die so viel Unnützes,
Gequältes, Totgebvrnes auf den Markt wirft, uicht längst von andrer Seite
geschaffen worden sind. Wenn mau es als das ganze Geheimnis geschäftlichen
Erfolges bezeichnen kann, niemals das zu machen, was andre machen — eine
Regel, die der deutsche Buchhandel leider viel zu wenig beherzigt, denn in
keinem Geschäftszweige ist die garstige, gemeine Nnchmacherei so verbreitet wie
in unserm Buchhandel —, dagegen immer das zu machen, was andre nicht
machen und was doch' einmal gemacht werden muß, so darf man Wohl diesen
vier Büchern einen schönen Erfolg voraussagen.

An einer guten Sammlung von Vaterlandsliedern hat es uns bisher
vollständig gefehlt. Für Schulzwecke erschien vor ein paar Jahren eine, in
der Hauptsache aus den Dichtern der Freiheitskriege ausgewählt, um den Be¬
stimmungen gewisser Schulordnungen, die eine halbjährige Beschäftigung mit
diesen Dichtern im deutschen Unterricht anordnen, entgegenzukommen. Andre
Sammlungen sind aus den dichterischen Erzeugnissen der Jahre 1870 und
1871 versucht worden, wieder für Schulzwecke, um an Patriotischen Schulfesten
«Sedantag) zum Singen und Deklamiren Stoff und Auswahl zu bieten. Mit
solchen Büchern hat das vorliegende, in jahrelangem, liebevollem Sammeln von
Ednard Heyck in Stuttgart zusanunengebrachte nichts zu thun. Es hat einen
weit größer» Rahmen und einen viel allgemeinern Zweck. Der Titel „Vater¬
landslieder" ist nur gewählt worden, um dem Buche einen kurzen, bequemen
Namen zu geben. Deutlicher sagt schon der Untertitel, was es enthält: „die Dich¬
tung der deutschen Träume und Kämpfe deS neunzehnten Jahrhunderts," und noch
deutlicher spricht sich der Herausgeber im Vorwort über seine Absichten ans. Am
wenigsten — sagt er — war eine patriotische Liederharfe oder auch ein Buch
mit einseitiger Tendenz beabsichtigt. Vielmehr ist aus einer Anzahl objektiver
Gesichtspunkte eine Auswahl von Gedichten nationalen oder politischen Inhalts
hervorgegangen, die natürlich von selbst auch einen historischen Charakter trägt.
Aber durchaus nicht etwa als eine poetische Begleitung der deutscheu Ge¬
schichte im neunzehnten Jahrhundert. Diese ist ja zu dem großen Wende¬
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[0532] Neue Anthologieen beiden genannten und sämtlich in demselben Sinn und Geiste geschaffen sind: eine Sammlung von Vaterlandsliedern, ein Balladcubuch, eine Samm¬ lung geistlicher Lieder und einen Zitatenschatz. Alle vier schließen sich in jeder Beziehung an die beiden frühern an: für jede ist der rechte Mann gefunden worden, der seine Aufgabe mit Ernst und Liebe erfaßt, mit Sach¬ kenntnis und Geschmack gelöst hat, sür das äußere Gewnnd, das bei allen gleichmüßig ist und doch bei aller Gleichmäßigkeit eine feine und charakteristische Mannichfaltigkeit zeigt, hat eine Hand gesorgt, der — das sieht man — diese Fürsorge eine wahre Frende gewesen ist, nud was das Beste und Wichtigste ist: jedes dieser vier Bücher füllt eine wirkliche Lücke aus, ja es ist eigentlich zu verwundern, daß sie in unsrer überproduktiven Zeit, die so viel Unnützes, Gequältes, Totgebvrnes auf den Markt wirft, uicht längst von andrer Seite geschaffen worden sind. Wenn mau es als das ganze Geheimnis geschäftlichen Erfolges bezeichnen kann, niemals das zu machen, was andre machen — eine Regel, die der deutsche Buchhandel leider viel zu wenig beherzigt, denn in keinem Geschäftszweige ist die garstige, gemeine Nnchmacherei so verbreitet wie in unserm Buchhandel —, dagegen immer das zu machen, was andre nicht machen und was doch' einmal gemacht werden muß, so darf man Wohl diesen vier Büchern einen schönen Erfolg voraussagen. An einer guten Sammlung von Vaterlandsliedern hat es uns bisher vollständig gefehlt. Für Schulzwecke erschien vor ein paar Jahren eine, in der Hauptsache aus den Dichtern der Freiheitskriege ausgewählt, um den Be¬ stimmungen gewisser Schulordnungen, die eine halbjährige Beschäftigung mit diesen Dichtern im deutschen Unterricht anordnen, entgegenzukommen. Andre Sammlungen sind aus den dichterischen Erzeugnissen der Jahre 1870 und 1871 versucht worden, wieder für Schulzwecke, um an Patriotischen Schulfesten «Sedantag) zum Singen und Deklamiren Stoff und Auswahl zu bieten. Mit solchen Büchern hat das vorliegende, in jahrelangem, liebevollem Sammeln von Ednard Heyck in Stuttgart zusanunengebrachte nichts zu thun. Es hat einen weit größer» Rahmen und einen viel allgemeinern Zweck. Der Titel „Vater¬ landslieder" ist nur gewählt worden, um dem Buche einen kurzen, bequemen Namen zu geben. Deutlicher sagt schon der Untertitel, was es enthält: „die Dich¬ tung der deutschen Träume und Kämpfe deS neunzehnten Jahrhunderts," und noch deutlicher spricht sich der Herausgeber im Vorwort über seine Absichten ans. Am wenigsten — sagt er — war eine patriotische Liederharfe oder auch ein Buch mit einseitiger Tendenz beabsichtigt. Vielmehr ist aus einer Anzahl objektiver Gesichtspunkte eine Auswahl von Gedichten nationalen oder politischen Inhalts hervorgegangen, die natürlich von selbst auch einen historischen Charakter trägt. Aber durchaus nicht etwa als eine poetische Begleitung der deutscheu Ge¬ schichte im neunzehnten Jahrhundert. Diese ist ja zu dem großen Wende¬ punkte von l«7«> auf ganz andern Wegen gelangt, als wie sie der laute Ton

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/532>, abgerufen am 28.06.2024.