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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachduinmhviie"

Aber was halfs? Heute schwatzen nicht bloß de>' Ladendiener und die Laden¬
mamsell in der llnterhaltnng uuallfhörlich: ich frug ihn, er frug mich,
wir frugen sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer, der Pro¬
fessor, alle schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und Romane Schreibens,
das Richtige bekommt man kaum uoch irgendwo zu hören oder zu lesen. Es
fehlte nnr, daß mich noch gesagt und geschrieben würde: Ich habe gefragen,
er hat mich gefragen u. s. w. Das kommt schon auch uoch. Und dabei
bezeichnet Grimm im Deutschen Wörterbuche die Formen frug und frägt als
"höchst unorganisch," und noch in der neuesten (elften) Auflage von Hoffmanns
"Neuhochdeutscher Elementargrammatik" (1885) Seite 73 ist das Zeitwort
fragen als Beispiel für die schwache Konjugation vollständig ausgeführt, lind
Seite 83 steht kurz und bündig zu lesein ,,Fragen geht schwach; frug ist
falsch; ebenso fragst und frägt."

Hier sieht man einmal an einem einzelnen Beispiel, was dabei heraus¬
kommt, daß es ans unsern höhern Schulen, aus denen die gebildeter" Kreise
hervorgehen, nirgends einen ordentlichen Unterricht in der deutschen Grammatik
giebt. Ich frage: Wie stellt sich die Schule zu einem solchen Sprachvvrgange?
Wird etwa bereits gelehrt: fragen ist ein "unregelmäßiges" Verbum, das
teils nach der schwachem, teils nach der starken Konjugation geht? Wenn man
vor zwanzig Jahren beim Lesen unsrer .Klassiker in der Schule auf die Form
frug stieß, so stutzte der Schüler, und man mußte die Form als eine Be¬
sonderheit besprechen und entschuldigen. Wie stehts heute? Wenn Lessing,
Goethe, Schiller gelesen wird, wird vielleicht schon gelehrt, die hätten sich der
"veralteten" Form fragte bedient? Und wenn der Junge im deutschen Auf¬
satze schreibt: Ich fragte, wird das vielleicht schon als ,,ganzer Fehler" an¬
gerechnet? O heilige Einfalt! Wenn zu Gottscheds Zeiten innerhalb weniger
Jahrzehnte ähnliche Sprachverirrungen vor sich gingen, so wars kein Wunder.
Damals wucherte die Sprache völlig wild, auf den Lateinschulen wurde Latein
getrieben, und der Vvlksschnlunterricht wurde in elenden Winkelschnlen erteilt,
die die Behörden notdürftig überwachten. Daß aber die stolze deutsche Schule
der Gegenwart nicht imstande gewesen ist, die Verbreitung einer solchen Dumm¬
heit zu verhüten, wie dieses frägt und frug, ist einfach eine Schande für sie.

(Schluß folgt)




Allerhand Sprachduinmhviie»

Aber was halfs? Heute schwatzen nicht bloß de>' Ladendiener und die Laden¬
mamsell in der llnterhaltnng uuallfhörlich: ich frug ihn, er frug mich,
wir frugen sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer, der Pro¬
fessor, alle schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und Romane Schreibens,
das Richtige bekommt man kaum uoch irgendwo zu hören oder zu lesen. Es
fehlte nnr, daß mich noch gesagt und geschrieben würde: Ich habe gefragen,
er hat mich gefragen u. s. w. Das kommt schon auch uoch. Und dabei
bezeichnet Grimm im Deutschen Wörterbuche die Formen frug und frägt als
„höchst unorganisch," und noch in der neuesten (elften) Auflage von Hoffmanns
„Neuhochdeutscher Elementargrammatik" (1885) Seite 73 ist das Zeitwort
fragen als Beispiel für die schwache Konjugation vollständig ausgeführt, lind
Seite 83 steht kurz und bündig zu lesein ,,Fragen geht schwach; frug ist
falsch; ebenso fragst und frägt."

Hier sieht man einmal an einem einzelnen Beispiel, was dabei heraus¬
kommt, daß es ans unsern höhern Schulen, aus denen die gebildeter» Kreise
hervorgehen, nirgends einen ordentlichen Unterricht in der deutschen Grammatik
giebt. Ich frage: Wie stellt sich die Schule zu einem solchen Sprachvvrgange?
Wird etwa bereits gelehrt: fragen ist ein „unregelmäßiges" Verbum, das
teils nach der schwachem, teils nach der starken Konjugation geht? Wenn man
vor zwanzig Jahren beim Lesen unsrer .Klassiker in der Schule auf die Form
frug stieß, so stutzte der Schüler, und man mußte die Form als eine Be¬
sonderheit besprechen und entschuldigen. Wie stehts heute? Wenn Lessing,
Goethe, Schiller gelesen wird, wird vielleicht schon gelehrt, die hätten sich der
„veralteten" Form fragte bedient? Und wenn der Junge im deutschen Auf¬
satze schreibt: Ich fragte, wird das vielleicht schon als ,,ganzer Fehler" an¬
gerechnet? O heilige Einfalt! Wenn zu Gottscheds Zeiten innerhalb weniger
Jahrzehnte ähnliche Sprachverirrungen vor sich gingen, so wars kein Wunder.
Damals wucherte die Sprache völlig wild, auf den Lateinschulen wurde Latein
getrieben, und der Vvlksschnlunterricht wurde in elenden Winkelschnlen erteilt,
die die Behörden notdürftig überwachten. Daß aber die stolze deutsche Schule
der Gegenwart nicht imstande gewesen ist, die Verbreitung einer solchen Dumm¬
heit zu verhüten, wie dieses frägt und frug, ist einfach eine Schande für sie.

(Schluß folgt)




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[0530] Allerhand Sprachduinmhviie» Aber was halfs? Heute schwatzen nicht bloß de>' Ladendiener und die Laden¬ mamsell in der llnterhaltnng uuallfhörlich: ich frug ihn, er frug mich, wir frugen sie, sondern auch der Student, der Gymnasiallehrer, der Pro¬ fessor, alle schwatzens mit, alle Zeitungen, alle Novellen und Romane Schreibens, das Richtige bekommt man kaum uoch irgendwo zu hören oder zu lesen. Es fehlte nnr, daß mich noch gesagt und geschrieben würde: Ich habe gefragen, er hat mich gefragen u. s. w. Das kommt schon auch uoch. Und dabei bezeichnet Grimm im Deutschen Wörterbuche die Formen frug und frägt als „höchst unorganisch," und noch in der neuesten (elften) Auflage von Hoffmanns „Neuhochdeutscher Elementargrammatik" (1885) Seite 73 ist das Zeitwort fragen als Beispiel für die schwache Konjugation vollständig ausgeführt, lind Seite 83 steht kurz und bündig zu lesein ,,Fragen geht schwach; frug ist falsch; ebenso fragst und frägt." Hier sieht man einmal an einem einzelnen Beispiel, was dabei heraus¬ kommt, daß es ans unsern höhern Schulen, aus denen die gebildeter» Kreise hervorgehen, nirgends einen ordentlichen Unterricht in der deutschen Grammatik giebt. Ich frage: Wie stellt sich die Schule zu einem solchen Sprachvvrgange? Wird etwa bereits gelehrt: fragen ist ein „unregelmäßiges" Verbum, das teils nach der schwachem, teils nach der starken Konjugation geht? Wenn man vor zwanzig Jahren beim Lesen unsrer .Klassiker in der Schule auf die Form frug stieß, so stutzte der Schüler, und man mußte die Form als eine Be¬ sonderheit besprechen und entschuldigen. Wie stehts heute? Wenn Lessing, Goethe, Schiller gelesen wird, wird vielleicht schon gelehrt, die hätten sich der „veralteten" Form fragte bedient? Und wenn der Junge im deutschen Auf¬ satze schreibt: Ich fragte, wird das vielleicht schon als ,,ganzer Fehler" an¬ gerechnet? O heilige Einfalt! Wenn zu Gottscheds Zeiten innerhalb weniger Jahrzehnte ähnliche Sprachverirrungen vor sich gingen, so wars kein Wunder. Damals wucherte die Sprache völlig wild, auf den Lateinschulen wurde Latein getrieben, und der Vvlksschnlunterricht wurde in elenden Winkelschnlen erteilt, die die Behörden notdürftig überwachten. Daß aber die stolze deutsche Schule der Gegenwart nicht imstande gewesen ist, die Verbreitung einer solchen Dumm¬ heit zu verhüten, wie dieses frägt und frug, ist einfach eine Schande für sie. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/530>, abgerufen am 28.06.2024.