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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

hoher Hügel und großer Wälder liegt, die ihn von allen Seiten umschließen.
Die Bäume drängen sich wie eifersüchtige Liebhaber dicht neben einander und
entziehen das Gewässer sorgfältig den Blicken des Nahenden; und manchen
fremden Wanderer, der nichts von ihm ahnte, durchzuckte es wie ein elektrischer
Schlag, wenn er bei einer plötzlichen Biegung des Waldpfades vom Gipfel des
Königshügels herab auf einmal die weitgestrecktc, sonnenbeschienene Fläche sah,
die sich dort unten zwischen den dunkeln, leise säuselnden Waldmassen aus¬
breitete und wie mit großem, geheimnisvoll blinkendem Auge zu ihm herauf¬
sah. Geborgen vor allen Winden, sanft lächelnd, seiner Schönheit sich wohl-
bewußt, ruht er dort unten in ungestörtem Frieden. Der Wald breitet seine
langen, durstigen Zweige zu ihm herab und senkt seine grünlichen Schatten in
seine Tiefe. Und wie ein mächtiges, schwellendes Blättermeer, Woge aus
Woge von gewölbten Buchenkronen, umgürtet von Birken und dunkel", sausenden
Tannen, erheben sich die Hügel hoch und ernst von seinen Ufern und schließen
allen Erdenlürm aus.

Es hat etwas Sinnbedrückendes, in später Nachmittagsstunde an diesem
See zu stehen, wenn die Schatten länger werden. Kein Laut als das ewige
Rauschen dieses Lanbmeeres dringt ans Ohr. Der einsame Vogel, der mit
seinem Gesang über dem Wasser schwebt, verstummt, als ob ihn der Klang
seiner eignen kleinen Stimme erschreckte inmitten dieses tiefen Schweigens. Es
wird einem zuletzt ganz wunderlich zu Mute in diesem ungeheuern Grabe, wo
nur die segelnden Wolken über unserm Haupte uns mit der lebenden Welt
verbinden, die da draußen liegt. Der dumpfige Geruch von faulendem Holz
legt sich auf unsre Brust, das Herz beginnt zu klopfen, und gleich einem
gefangenen Adler schweift der Blick suchend bald hierhin, bald dahin, über
die unendlichen Waldwvgen, die zu dem blauen Himmel empvrschwellen und
alle Auswege versperren.

Nur an einer Stelle, im Osten, dort, no die Hügel am niedrigsten,
wo die Wälder am wenigsten dicht sind, wird die Einförmigkeit der Landschaft
von einer mächtigen, wilden Kluft unterbrochen, die wie mit verzweifelter Kraft den
Ring sprengt, um sich Luft zu schaffen. Ihre steilen, weißen Wände schimmern
durch das Grün hindurch, das den See von allen Seiten umgiebt. Nähert
man sich ihr aber, so weitet sie sich aus, und man sieht zwischen den jähen,
zerrissenen Felsabhängen hindurch das große, flache, helle Kiistenland meilen¬
weit draußen liegen.

Prachtvolles, saftig grünes Ackerland drangt sich in die Kluft herein bis
hart an den See, der seinerseits einen breiten, wasserreichen Bach quer durch
das Land entsendet. Von der getheerten Pfahlbrücke aus, die ein wenig weiter¬
hin die schilfbewachsenen Ufer des Baches miteinander verbindet, kann man seinen
gewundenen Lauf verfolgen, der an roten Dörfern mit weißgetünchten Kirchen
vorüberführt, durch üppige Felder mit Scharen schwarzgescheckten Viehes und


Junge Liebe

hoher Hügel und großer Wälder liegt, die ihn von allen Seiten umschließen.
Die Bäume drängen sich wie eifersüchtige Liebhaber dicht neben einander und
entziehen das Gewässer sorgfältig den Blicken des Nahenden; und manchen
fremden Wanderer, der nichts von ihm ahnte, durchzuckte es wie ein elektrischer
Schlag, wenn er bei einer plötzlichen Biegung des Waldpfades vom Gipfel des
Königshügels herab auf einmal die weitgestrecktc, sonnenbeschienene Fläche sah,
die sich dort unten zwischen den dunkeln, leise säuselnden Waldmassen aus¬
breitete und wie mit großem, geheimnisvoll blinkendem Auge zu ihm herauf¬
sah. Geborgen vor allen Winden, sanft lächelnd, seiner Schönheit sich wohl-
bewußt, ruht er dort unten in ungestörtem Frieden. Der Wald breitet seine
langen, durstigen Zweige zu ihm herab und senkt seine grünlichen Schatten in
seine Tiefe. Und wie ein mächtiges, schwellendes Blättermeer, Woge aus
Woge von gewölbten Buchenkronen, umgürtet von Birken und dunkel», sausenden
Tannen, erheben sich die Hügel hoch und ernst von seinen Ufern und schließen
allen Erdenlürm aus.

Es hat etwas Sinnbedrückendes, in später Nachmittagsstunde an diesem
See zu stehen, wenn die Schatten länger werden. Kein Laut als das ewige
Rauschen dieses Lanbmeeres dringt ans Ohr. Der einsame Vogel, der mit
seinem Gesang über dem Wasser schwebt, verstummt, als ob ihn der Klang
seiner eignen kleinen Stimme erschreckte inmitten dieses tiefen Schweigens. Es
wird einem zuletzt ganz wunderlich zu Mute in diesem ungeheuern Grabe, wo
nur die segelnden Wolken über unserm Haupte uns mit der lebenden Welt
verbinden, die da draußen liegt. Der dumpfige Geruch von faulendem Holz
legt sich auf unsre Brust, das Herz beginnt zu klopfen, und gleich einem
gefangenen Adler schweift der Blick suchend bald hierhin, bald dahin, über
die unendlichen Waldwvgen, die zu dem blauen Himmel empvrschwellen und
alle Auswege versperren.

Nur an einer Stelle, im Osten, dort, no die Hügel am niedrigsten,
wo die Wälder am wenigsten dicht sind, wird die Einförmigkeit der Landschaft
von einer mächtigen, wilden Kluft unterbrochen, die wie mit verzweifelter Kraft den
Ring sprengt, um sich Luft zu schaffen. Ihre steilen, weißen Wände schimmern
durch das Grün hindurch, das den See von allen Seiten umgiebt. Nähert
man sich ihr aber, so weitet sie sich aus, und man sieht zwischen den jähen,
zerrissenen Felsabhängen hindurch das große, flache, helle Kiistenland meilen¬
weit draußen liegen.

Prachtvolles, saftig grünes Ackerland drangt sich in die Kluft herein bis
hart an den See, der seinerseits einen breiten, wasserreichen Bach quer durch
das Land entsendet. Von der getheerten Pfahlbrücke aus, die ein wenig weiter¬
hin die schilfbewachsenen Ufer des Baches miteinander verbindet, kann man seinen
gewundenen Lauf verfolgen, der an roten Dörfern mit weißgetünchten Kirchen
vorüberführt, durch üppige Felder mit Scharen schwarzgescheckten Viehes und


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[0052] Junge Liebe hoher Hügel und großer Wälder liegt, die ihn von allen Seiten umschließen. Die Bäume drängen sich wie eifersüchtige Liebhaber dicht neben einander und entziehen das Gewässer sorgfältig den Blicken des Nahenden; und manchen fremden Wanderer, der nichts von ihm ahnte, durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag, wenn er bei einer plötzlichen Biegung des Waldpfades vom Gipfel des Königshügels herab auf einmal die weitgestrecktc, sonnenbeschienene Fläche sah, die sich dort unten zwischen den dunkeln, leise säuselnden Waldmassen aus¬ breitete und wie mit großem, geheimnisvoll blinkendem Auge zu ihm herauf¬ sah. Geborgen vor allen Winden, sanft lächelnd, seiner Schönheit sich wohl- bewußt, ruht er dort unten in ungestörtem Frieden. Der Wald breitet seine langen, durstigen Zweige zu ihm herab und senkt seine grünlichen Schatten in seine Tiefe. Und wie ein mächtiges, schwellendes Blättermeer, Woge aus Woge von gewölbten Buchenkronen, umgürtet von Birken und dunkel», sausenden Tannen, erheben sich die Hügel hoch und ernst von seinen Ufern und schließen allen Erdenlürm aus. Es hat etwas Sinnbedrückendes, in später Nachmittagsstunde an diesem See zu stehen, wenn die Schatten länger werden. Kein Laut als das ewige Rauschen dieses Lanbmeeres dringt ans Ohr. Der einsame Vogel, der mit seinem Gesang über dem Wasser schwebt, verstummt, als ob ihn der Klang seiner eignen kleinen Stimme erschreckte inmitten dieses tiefen Schweigens. Es wird einem zuletzt ganz wunderlich zu Mute in diesem ungeheuern Grabe, wo nur die segelnden Wolken über unserm Haupte uns mit der lebenden Welt verbinden, die da draußen liegt. Der dumpfige Geruch von faulendem Holz legt sich auf unsre Brust, das Herz beginnt zu klopfen, und gleich einem gefangenen Adler schweift der Blick suchend bald hierhin, bald dahin, über die unendlichen Waldwvgen, die zu dem blauen Himmel empvrschwellen und alle Auswege versperren. Nur an einer Stelle, im Osten, dort, no die Hügel am niedrigsten, wo die Wälder am wenigsten dicht sind, wird die Einförmigkeit der Landschaft von einer mächtigen, wilden Kluft unterbrochen, die wie mit verzweifelter Kraft den Ring sprengt, um sich Luft zu schaffen. Ihre steilen, weißen Wände schimmern durch das Grün hindurch, das den See von allen Seiten umgiebt. Nähert man sich ihr aber, so weitet sie sich aus, und man sieht zwischen den jähen, zerrissenen Felsabhängen hindurch das große, flache, helle Kiistenland meilen¬ weit draußen liegen. Prachtvolles, saftig grünes Ackerland drangt sich in die Kluft herein bis hart an den See, der seinerseits einen breiten, wasserreichen Bach quer durch das Land entsendet. Von der getheerten Pfahlbrücke aus, die ein wenig weiter¬ hin die schilfbewachsenen Ufer des Baches miteinander verbindet, kann man seinen gewundenen Lauf verfolgen, der an roten Dörfern mit weißgetünchten Kirchen vorüberführt, durch üppige Felder mit Scharen schwarzgescheckten Viehes und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/52>, abgerufen am 02.07.2024.