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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Zur Vorgeschichte des Arieges von !^8?0

Heeren, die sich gegenüberstehen, das schwächere rasch angrisssweise vorgeht.
Haben wir aber, wie hier, zwei Heere vor uns, die gleich stark an Zahl und
gleich kriegsbereit sind, so ist nicht mit Notwendigkeit voranszusngen, daß der
Sieg demjenigen zu teil werden müsse, der zuerst zuschlägt. Sicher kann ein
erster Erfolg, der erfahrungsgemäß in einigen Fällen errungen wurde, wo der
Feldherr, seinen Vorteil erhebend, schnell entschlossen die Initiative ergriff,
denen, die ihn zu benutzen verstehen, schon als moralischer Vorteil von großem
Werte sein, und ein solcher Erfolg waren die Schlachten bei Wörth und Saar¬
brücken, insofern sie dazu beitrugen, Österreich und Italien von der Beteiligung
am Kampfe gegen Deutschland absehen zu lassen. Niemand jedoch wird be¬
haupten wollen, daß diese ersten, verhältnismäßig kleinen Siege der deutschen
Heere den Ausgang des Feldzuges entschieden hätten. Es giebt sogar Leute,
die in den Worten, die der Kaiser nach der großen Niederlage äußerte: tout
xsur so rot^our, den Ausdruck eiuer Hoffnung erblickten, während sie sicher
nur die Verzweiflung eingab, und die des Glaubens lebten, unter einem fähigen
Führer würden die Geschicke Frankreichs sich wieder besser gestalten lassen.
Sicherlich war es nicht die Schuld des französischen Soldaten, wenn diese
Hoffnung sich nicht erfüllte. Keine andre Truppe schlug sich besser als er,
das müssen selbst wir, die Gegner, ihm nachrühmen, und wenn die Führung
der französischen Heere, die bei Metz und Sedan bluteten, ihrer Tapferkeit
gleichgekommen wäre, so würde der Ausgang des Feldzuges wahrscheinlich ein
andrer gewesen sein. Unser Werk sagt in dieser Hinsicht nichts, wie es denn
löblicherweise auch die einst beliebte Behauptung, es sei bei den Niederlagen
Verrat im Spiele gewesen, nicht einmal in Form von Andeutungen enthält,
und wenn der Verfassrr es unterläßt, auf die Thatsache hinzuweisen, daß die
Generale und die militärischen Einrichtungen der Franzosen 1870 mancherlei
zu wünschen übrig ließen, so hat das die Wirkung, daß es seine Erklärung
so zu sagen gar zu vollständig erscheinen läßt. Hatte die französische Armee
im Sommer 1870 so tüchtige Offiziere, wie sie tüchtige Soldaten hatte, war
die Strategie und Taktik ihrer Befehlshaber so wenig mangelhaft als ihre
Gliederung, Ausrüstung und Ausbildung, wie kam es dann, daß sie nicht
siegte? Oder wenigstens, wie konnte es geschehen, daß sie so vollständig ge¬
schlagen wurde, eine solche Reihenfolge der furchtbarsten Schlappen erlitt, die
zusammen einer beinahe gänzlichen Vernichtung gleichkamen? Die von Ollivier
gerügte Zeitvergeudung in den Wochen unmittelbar vor dem Kampfe mag alle
Aussichten auf Verwirklichung des Programms vernichtet haben, das mit den
Worten ^ Lsrlw! in Paris ausgeschrieen wurde, aber sie sür sich allein konnte
nicht hinreichen, die deutsche Armee bis nach Paris gelangen zu lassen. Was
führte aber dazu? Herr Ollivier antwortet darauf nicht zu unsrer vollen Zu¬
friedenheit, ja er umgeht die Sache beinahe ganz. Aber wir finden nicht, daß
die Welt schlimmer dabei fährt, wenn er der Frage ausweichen zu müssen


Zur Vorgeschichte des Arieges von !^8?0

Heeren, die sich gegenüberstehen, das schwächere rasch angrisssweise vorgeht.
Haben wir aber, wie hier, zwei Heere vor uns, die gleich stark an Zahl und
gleich kriegsbereit sind, so ist nicht mit Notwendigkeit voranszusngen, daß der
Sieg demjenigen zu teil werden müsse, der zuerst zuschlägt. Sicher kann ein
erster Erfolg, der erfahrungsgemäß in einigen Fällen errungen wurde, wo der
Feldherr, seinen Vorteil erhebend, schnell entschlossen die Initiative ergriff,
denen, die ihn zu benutzen verstehen, schon als moralischer Vorteil von großem
Werte sein, und ein solcher Erfolg waren die Schlachten bei Wörth und Saar¬
brücken, insofern sie dazu beitrugen, Österreich und Italien von der Beteiligung
am Kampfe gegen Deutschland absehen zu lassen. Niemand jedoch wird be¬
haupten wollen, daß diese ersten, verhältnismäßig kleinen Siege der deutschen
Heere den Ausgang des Feldzuges entschieden hätten. Es giebt sogar Leute,
die in den Worten, die der Kaiser nach der großen Niederlage äußerte: tout
xsur so rot^our, den Ausdruck eiuer Hoffnung erblickten, während sie sicher
nur die Verzweiflung eingab, und die des Glaubens lebten, unter einem fähigen
Führer würden die Geschicke Frankreichs sich wieder besser gestalten lassen.
Sicherlich war es nicht die Schuld des französischen Soldaten, wenn diese
Hoffnung sich nicht erfüllte. Keine andre Truppe schlug sich besser als er,
das müssen selbst wir, die Gegner, ihm nachrühmen, und wenn die Führung
der französischen Heere, die bei Metz und Sedan bluteten, ihrer Tapferkeit
gleichgekommen wäre, so würde der Ausgang des Feldzuges wahrscheinlich ein
andrer gewesen sein. Unser Werk sagt in dieser Hinsicht nichts, wie es denn
löblicherweise auch die einst beliebte Behauptung, es sei bei den Niederlagen
Verrat im Spiele gewesen, nicht einmal in Form von Andeutungen enthält,
und wenn der Verfassrr es unterläßt, auf die Thatsache hinzuweisen, daß die
Generale und die militärischen Einrichtungen der Franzosen 1870 mancherlei
zu wünschen übrig ließen, so hat das die Wirkung, daß es seine Erklärung
so zu sagen gar zu vollständig erscheinen läßt. Hatte die französische Armee
im Sommer 1870 so tüchtige Offiziere, wie sie tüchtige Soldaten hatte, war
die Strategie und Taktik ihrer Befehlshaber so wenig mangelhaft als ihre
Gliederung, Ausrüstung und Ausbildung, wie kam es dann, daß sie nicht
siegte? Oder wenigstens, wie konnte es geschehen, daß sie so vollständig ge¬
schlagen wurde, eine solche Reihenfolge der furchtbarsten Schlappen erlitt, die
zusammen einer beinahe gänzlichen Vernichtung gleichkamen? Die von Ollivier
gerügte Zeitvergeudung in den Wochen unmittelbar vor dem Kampfe mag alle
Aussichten auf Verwirklichung des Programms vernichtet haben, das mit den
Worten ^ Lsrlw! in Paris ausgeschrieen wurde, aber sie sür sich allein konnte
nicht hinreichen, die deutsche Armee bis nach Paris gelangen zu lassen. Was
führte aber dazu? Herr Ollivier antwortet darauf nicht zu unsrer vollen Zu¬
friedenheit, ja er umgeht die Sache beinahe ganz. Aber wir finden nicht, daß
die Welt schlimmer dabei fährt, wenn er der Frage ausweichen zu müssen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/514>, abgerufen am 28.06.2024.