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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Verfassungsstreit in Vreußen

hierzu durchaus uicht die ^Zustincmung der Kammer" verlangt. Wenn aber
die Fortschrittspartei dieses unbestreitbare Recht des Königs illusorisch zu
machen und durch Bewilligung oder Versagung der Mittel zum Kriege die
endgiltige Entscheidung über diese hochwichtige Frage in die eigne Hand zu
bringen suchte, so war das unzweifelhaft ein Streben nach parlamentarischer
Machterweiterung, wie es dreister nicht gedacht werden konnte. Daß sie jemals
ein solches Bestreben gehabt habe, hat die Partei freilich damals und später
immer aufs lebhafteste bestritten, immer mit jenem Brusttöne der Überzeugung,
deu auch heute uoch die Biedermüuuer vom Freisinn so gut anzuschlagen ver¬
stehen, wenn es gilt, eine unbequeme geschichtliche Thatsache abzuleugnen. Sie
finden dabei auch fast immer gläubige Zuhörer; denn die Zahl derer, die solche
Dinge geuau kennen, ist natürlich gering, und sie rechnen immer mir uns
die große, unwissende Menge und mit dieser.

Die langwierigem Debatten über den Militär- und Marineetat führten bei
einer solchen Zusammensetzung des Hauses natürlich zu keiner Verständigung
und waren eigentlich völlig zwecklos. Sie führten aber am 11. Mui zu einem
heftigen Zusammenstoß zwischen dem Kriegsminister von Roon und dem Vize¬
präsidenten von Bockum-Dolffs. Der letztere nahm für sich wieder Disziplinar¬
gewalt über die Minister in Anspruch, Roon bestritt ihm diese; der Präsident
wollte sich bedecken; damit die Komik nicht fehlte, wurde ihm ein falscher Hut
gebracht, der ihm viel zu groß war; die Sitzung wurde ans eine Stunde ver¬
tagt. Das gesamte Staatsministerium richtete ans Grund dieses Vorganges
ein Schreiben an das Abgeordnetenhaus, worin erklärt wurde, daß die Minister
nicht eher wieder im Hause erscheinen würden, als bis durch eine förmliche
Erklärung auf jenes angemaßte Recht Verzicht geleistet würde (12. Mai).
Dagegen beschloß die Fortschrittspartei (295 gegen 20 Stimmen) am 15. Mai:
1. daß der Präsident jeden Redner, also anch die Minister unterbrechen könne;
2. daß durch eine solche Unterbrechung das verfassungsmäßige Recht der Mi¬
nister, jederzeit gehört zu werden, nicht beeinträchtigt werde; !!. daß es dagegen
verfassungswidrig sei, wenn die Minister ihre Gegenwart im Hause von Vor¬
bedingungen abhängig machten; 4. daß demnach das Haus sich uicht veranlaßt
sehe, auf das im Schreiben des Staatsministeriums vom 11. Mai ausgesprochene
Verlangen einzugehen.

Nachdem am 16. das Ministerium eine weitere Erklärung erlassen hatte,
erging am 20. eine allerhöchste Botschaft um das Abgeordnetenhaus, die von
sämtlichen Ministern gegengezeichnet war. Darin heißt es: "Ein solcher An¬
spruch entbehrt der gesetzmäßigen .Grundlage, und wir können es der Würde
unsrer Regierung uicht für entsprechend erachten, daß unsre Minister als Ver¬
treter der Krone den Verhandlungen des Hauses unter Verzichtleistung auf die
ihnen rechtlich zustehende und verfassungsmäßig verbriefte selbständige Stellung
gegenüber dein Hause der Abgeordneten und dem Präsidium desselben bei


Der Verfassungsstreit in Vreußen

hierzu durchaus uicht die ^Zustincmung der Kammer» verlangt. Wenn aber
die Fortschrittspartei dieses unbestreitbare Recht des Königs illusorisch zu
machen und durch Bewilligung oder Versagung der Mittel zum Kriege die
endgiltige Entscheidung über diese hochwichtige Frage in die eigne Hand zu
bringen suchte, so war das unzweifelhaft ein Streben nach parlamentarischer
Machterweiterung, wie es dreister nicht gedacht werden konnte. Daß sie jemals
ein solches Bestreben gehabt habe, hat die Partei freilich damals und später
immer aufs lebhafteste bestritten, immer mit jenem Brusttöne der Überzeugung,
deu auch heute uoch die Biedermüuuer vom Freisinn so gut anzuschlagen ver¬
stehen, wenn es gilt, eine unbequeme geschichtliche Thatsache abzuleugnen. Sie
finden dabei auch fast immer gläubige Zuhörer; denn die Zahl derer, die solche
Dinge geuau kennen, ist natürlich gering, und sie rechnen immer mir uns
die große, unwissende Menge und mit dieser.

Die langwierigem Debatten über den Militär- und Marineetat führten bei
einer solchen Zusammensetzung des Hauses natürlich zu keiner Verständigung
und waren eigentlich völlig zwecklos. Sie führten aber am 11. Mui zu einem
heftigen Zusammenstoß zwischen dem Kriegsminister von Roon und dem Vize¬
präsidenten von Bockum-Dolffs. Der letztere nahm für sich wieder Disziplinar¬
gewalt über die Minister in Anspruch, Roon bestritt ihm diese; der Präsident
wollte sich bedecken; damit die Komik nicht fehlte, wurde ihm ein falscher Hut
gebracht, der ihm viel zu groß war; die Sitzung wurde ans eine Stunde ver¬
tagt. Das gesamte Staatsministerium richtete ans Grund dieses Vorganges
ein Schreiben an das Abgeordnetenhaus, worin erklärt wurde, daß die Minister
nicht eher wieder im Hause erscheinen würden, als bis durch eine förmliche
Erklärung auf jenes angemaßte Recht Verzicht geleistet würde (12. Mai).
Dagegen beschloß die Fortschrittspartei (295 gegen 20 Stimmen) am 15. Mai:
1. daß der Präsident jeden Redner, also anch die Minister unterbrechen könne;
2. daß durch eine solche Unterbrechung das verfassungsmäßige Recht der Mi¬
nister, jederzeit gehört zu werden, nicht beeinträchtigt werde; !!. daß es dagegen
verfassungswidrig sei, wenn die Minister ihre Gegenwart im Hause von Vor¬
bedingungen abhängig machten; 4. daß demnach das Haus sich uicht veranlaßt
sehe, auf das im Schreiben des Staatsministeriums vom 11. Mai ausgesprochene
Verlangen einzugehen.

Nachdem am 16. das Ministerium eine weitere Erklärung erlassen hatte,
erging am 20. eine allerhöchste Botschaft um das Abgeordnetenhaus, die von
sämtlichen Ministern gegengezeichnet war. Darin heißt es: „Ein solcher An¬
spruch entbehrt der gesetzmäßigen .Grundlage, und wir können es der Würde
unsrer Regierung uicht für entsprechend erachten, daß unsre Minister als Ver¬
treter der Krone den Verhandlungen des Hauses unter Verzichtleistung auf die
ihnen rechtlich zustehende und verfassungsmäßig verbriefte selbständige Stellung
gegenüber dein Hause der Abgeordneten und dem Präsidium desselben bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/508>, abgerufen am 02.07.2024.