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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Reserveoffiziere und Studenten

Unsre Jugend -- das kaun nicht laut und oft genug gesagt werden --
bringt in der großen Mehrzahl von der Schulbank her einen wahren Wider¬
willen gegen alle tiefere geistige Arbeit mit. Es giebt kaum ungebildetere
Meuscheu, als die einseitigen Fachstudenteu -- gleichviel ob Juristen, Theologen,
Philologen oder Mediziner -- als diese bloßen Mechaniker des Gedächtnisses,
deren spätere Thätigkeit für unser ganzes nationales Leben im Gründe nicht
wertvoller ist als die eines Steiullvpfers. Einseitigkeit und Verbohrtheit haben
aber immer den Dünkel zum Begleiter; und kommt hierzu noch das feudale
Feinthuu, das steifleinene Frcitzentum, das von einigen holMpfigen Tonan¬
gebern als vorzüglicher Ersatz sür wissenschaftliche, litterarische oder künstlerische
Bestrebungen entdeckt worden ist, dann haben wir im allgemeinen die Knrri-
katur unsrer "Herren Studierenden/'

Es ist unglaublich, daß solche Menschen, die in ihrem ganzen Gebaren
eine völlig unreife Lebensanschauung verraten, von einer höhern Schule das
Zeugnis der "Reife" erhalten konnten. Die Universität soll doch eine Pfleg¬
stätte der Wissenschaft, des gesunden geistigen Lebens sein und keine Brutanstalt
nationaler Schäden.

Ich frage nun, was in aller Welt hat der Reserve- oder Landwchroffizier
mit krankhaften Erscheinungen zu thun, die ihre einzige Quelle in unserm
zerfnhrnen Familienleben haben, in unsern auf Examendresfur angelegten höhern
Schulen, in unsern oberflächlichen, geistlosen gesellschaftlichen Zuständen, denn eine
Gesellschaft, die solche Unnatur des Studententums in ihrer Mitte "originell"
findet, muß unzweifelhaft ihrer würdig sein! Was hat der Student mit dem Re¬
serveoffizier zu thun? Sie stehen beide weit auseinander: der Student muß nach
seiner militärischen Dienstzeit das akademische Studium beendigt und eine
bürgerliche Stellung erreicht haben, um zu dieser Auszeichnung zu gelangen.
Wenn man unter der akademischen Jugend eine alberne Sprachziererei und
untre Lächerlichkeiten findet, so kann sie also nicht der Reserveoffizier hinein¬
getragen haben; sie sind lediglich Nachahmungen und Übertreibungen des soge¬
nannten "feudalen" Tones, der unter der Mnrizssiz clorss noch als besonders
vornehm gepflegt wird. Die Reserveoffiziere, die ihren bürgerlichen Beruf aus¬
füllen müssen, und die an Jahren schon ziemlich weit vorgeschritten sind, ehe
sie zum Offizier gewählt werden, haben besseres und wichtigeres zu thun, als
sich mit jenen Albernheiten zu befassen. "Der heutige Dienst, sagt die Militär-
Zeitnng sehr richtig, die scharfe Zugluft, die in unsern Offizierskreisen weht,
machen Ausschreitungen wie die geschilderten einfach unmöglich."

Es ist ein wahrer Segen, daß jene junge Herren, die vor Feinheit kaum
wehr lachen können, ein Jahr -- "das fütäle Jahr" -- auf dem Kasernenhof
oder in der Mannschaftsstnbe zubringen müssen, wo ihnen wenigstens ziemlich
deutlich beigebracht wird, daß die Welt nicht ihretwegen da ist. So lange
sie dienen, pflegt auch ihre "Patentthuerei" zu ruhen; leider bricht sie später


Reserveoffiziere und Studenten

Unsre Jugend — das kaun nicht laut und oft genug gesagt werden —
bringt in der großen Mehrzahl von der Schulbank her einen wahren Wider¬
willen gegen alle tiefere geistige Arbeit mit. Es giebt kaum ungebildetere
Meuscheu, als die einseitigen Fachstudenteu — gleichviel ob Juristen, Theologen,
Philologen oder Mediziner — als diese bloßen Mechaniker des Gedächtnisses,
deren spätere Thätigkeit für unser ganzes nationales Leben im Gründe nicht
wertvoller ist als die eines Steiullvpfers. Einseitigkeit und Verbohrtheit haben
aber immer den Dünkel zum Begleiter; und kommt hierzu noch das feudale
Feinthuu, das steifleinene Frcitzentum, das von einigen holMpfigen Tonan¬
gebern als vorzüglicher Ersatz sür wissenschaftliche, litterarische oder künstlerische
Bestrebungen entdeckt worden ist, dann haben wir im allgemeinen die Knrri-
katur unsrer „Herren Studierenden/'

Es ist unglaublich, daß solche Menschen, die in ihrem ganzen Gebaren
eine völlig unreife Lebensanschauung verraten, von einer höhern Schule das
Zeugnis der „Reife" erhalten konnten. Die Universität soll doch eine Pfleg¬
stätte der Wissenschaft, des gesunden geistigen Lebens sein und keine Brutanstalt
nationaler Schäden.

Ich frage nun, was in aller Welt hat der Reserve- oder Landwchroffizier
mit krankhaften Erscheinungen zu thun, die ihre einzige Quelle in unserm
zerfnhrnen Familienleben haben, in unsern auf Examendresfur angelegten höhern
Schulen, in unsern oberflächlichen, geistlosen gesellschaftlichen Zuständen, denn eine
Gesellschaft, die solche Unnatur des Studententums in ihrer Mitte „originell"
findet, muß unzweifelhaft ihrer würdig sein! Was hat der Student mit dem Re¬
serveoffizier zu thun? Sie stehen beide weit auseinander: der Student muß nach
seiner militärischen Dienstzeit das akademische Studium beendigt und eine
bürgerliche Stellung erreicht haben, um zu dieser Auszeichnung zu gelangen.
Wenn man unter der akademischen Jugend eine alberne Sprachziererei und
untre Lächerlichkeiten findet, so kann sie also nicht der Reserveoffizier hinein¬
getragen haben; sie sind lediglich Nachahmungen und Übertreibungen des soge¬
nannten „feudalen" Tones, der unter der Mnrizssiz clorss noch als besonders
vornehm gepflegt wird. Die Reserveoffiziere, die ihren bürgerlichen Beruf aus¬
füllen müssen, und die an Jahren schon ziemlich weit vorgeschritten sind, ehe
sie zum Offizier gewählt werden, haben besseres und wichtigeres zu thun, als
sich mit jenen Albernheiten zu befassen. „Der heutige Dienst, sagt die Militär-
Zeitnng sehr richtig, die scharfe Zugluft, die in unsern Offizierskreisen weht,
machen Ausschreitungen wie die geschilderten einfach unmöglich."

Es ist ein wahrer Segen, daß jene junge Herren, die vor Feinheit kaum
wehr lachen können, ein Jahr — „das fütäle Jahr" — auf dem Kasernenhof
oder in der Mannschaftsstnbe zubringen müssen, wo ihnen wenigstens ziemlich
deutlich beigebracht wird, daß die Welt nicht ihretwegen da ist. So lange
sie dienen, pflegt auch ihre „Patentthuerei" zu ruhen; leider bricht sie später


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[0499] Reserveoffiziere und Studenten Unsre Jugend — das kaun nicht laut und oft genug gesagt werden — bringt in der großen Mehrzahl von der Schulbank her einen wahren Wider¬ willen gegen alle tiefere geistige Arbeit mit. Es giebt kaum ungebildetere Meuscheu, als die einseitigen Fachstudenteu — gleichviel ob Juristen, Theologen, Philologen oder Mediziner — als diese bloßen Mechaniker des Gedächtnisses, deren spätere Thätigkeit für unser ganzes nationales Leben im Gründe nicht wertvoller ist als die eines Steiullvpfers. Einseitigkeit und Verbohrtheit haben aber immer den Dünkel zum Begleiter; und kommt hierzu noch das feudale Feinthuu, das steifleinene Frcitzentum, das von einigen holMpfigen Tonan¬ gebern als vorzüglicher Ersatz sür wissenschaftliche, litterarische oder künstlerische Bestrebungen entdeckt worden ist, dann haben wir im allgemeinen die Knrri- katur unsrer „Herren Studierenden/' Es ist unglaublich, daß solche Menschen, die in ihrem ganzen Gebaren eine völlig unreife Lebensanschauung verraten, von einer höhern Schule das Zeugnis der „Reife" erhalten konnten. Die Universität soll doch eine Pfleg¬ stätte der Wissenschaft, des gesunden geistigen Lebens sein und keine Brutanstalt nationaler Schäden. Ich frage nun, was in aller Welt hat der Reserve- oder Landwchroffizier mit krankhaften Erscheinungen zu thun, die ihre einzige Quelle in unserm zerfnhrnen Familienleben haben, in unsern auf Examendresfur angelegten höhern Schulen, in unsern oberflächlichen, geistlosen gesellschaftlichen Zuständen, denn eine Gesellschaft, die solche Unnatur des Studententums in ihrer Mitte „originell" findet, muß unzweifelhaft ihrer würdig sein! Was hat der Student mit dem Re¬ serveoffizier zu thun? Sie stehen beide weit auseinander: der Student muß nach seiner militärischen Dienstzeit das akademische Studium beendigt und eine bürgerliche Stellung erreicht haben, um zu dieser Auszeichnung zu gelangen. Wenn man unter der akademischen Jugend eine alberne Sprachziererei und untre Lächerlichkeiten findet, so kann sie also nicht der Reserveoffizier hinein¬ getragen haben; sie sind lediglich Nachahmungen und Übertreibungen des soge¬ nannten „feudalen" Tones, der unter der Mnrizssiz clorss noch als besonders vornehm gepflegt wird. Die Reserveoffiziere, die ihren bürgerlichen Beruf aus¬ füllen müssen, und die an Jahren schon ziemlich weit vorgeschritten sind, ehe sie zum Offizier gewählt werden, haben besseres und wichtigeres zu thun, als sich mit jenen Albernheiten zu befassen. „Der heutige Dienst, sagt die Militär- Zeitnng sehr richtig, die scharfe Zugluft, die in unsern Offizierskreisen weht, machen Ausschreitungen wie die geschilderten einfach unmöglich." Es ist ein wahrer Segen, daß jene junge Herren, die vor Feinheit kaum wehr lachen können, ein Jahr — „das fütäle Jahr" — auf dem Kasernenhof oder in der Mannschaftsstnbe zubringen müssen, wo ihnen wenigstens ziemlich deutlich beigebracht wird, daß die Welt nicht ihretwegen da ist. So lange sie dienen, pflegt auch ihre „Patentthuerei" zu ruhen; leider bricht sie später

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/499>, abgerufen am 02.07.2024.