Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reserveoffiziere- und Studenten

Weibisch eiteln Wesens unter unsrer akademischen Jugend seien eine Folge unsers
Militarismus, unsers Reserveoffiziertnms!

Die Gründe für diese stetig wachsenden krankhaften Zustände der Gegen¬
wart liegen denu doch etwas tiefer. Die Unnatur ist immer der Fluch des
Epigonentums, und unsre Jugend scheint leider Gottes zu schnell in diesen
Fluch hineingeraten zu sein. Nur im Erstrebe" liegt die Kraft. Wenn der
Strom sich durch die Felsenklüfte schäumend mit steigender Gewalt über alle
möglichen Hindernisse gestürzt hat und die weite, mühelose Ebene erreicht, dann
tritt die Gefahr der Ermattung, der Versumpfung ein. Nach den Jahren
1870 und 1871 sind wir in diese gefährliche Ebene geraten, in der wir uns
ein sicheres Bett auswählen oder aber bei Entkräftung im Sande verlaufen
werden, wie die Kontiuentalflüsse der asiatischen Steppen. Der Angreifer ist
immer in sittlicher Beziehung stärker als der Verteidiger. Während jener
nach wohlbedachten Plane und in selbständiger Kraftentfaltung vorwärts geht,
besteht die Eigentümlichkeit des Verteidigers im Warten, und dieses erschlaffende,
unselbständige Warten ist auch der charakteristische Zug unsrer Zeit. Der Knabe
wartet, bis er das Alntnricntenexamen gemacht hat, der Jüngling wartet auf
der Universität, bis die Staatsprüfung kommt, der junge Beamte wartet, bis
er seiue feste Anstellung erreicht, und hat er diese erlangt, so ist des Wartens
noch immer kein Ende: es wird gewartet auf Gehaltserhöhung, ans Beförderung,
auf Auszeichnung, Titel, Orden u. f. w.

Das Moralprinzip des Wartens hat gegenwärtig alle andern Grundsätze
des tiefer gehenden Interesses, der uneigennützigen Strebsamkeit, der redlichen
Arbeit, des thatkräftigen Erringens verdrängt; es wird nicht mehr gearbeitet,
wie es unsre Väter gethan haben, es wird gewartet und gerade nur so viel
gearbeitet, wie von den Prüfungskommissionen verlangt wird. Aber zu diesem
unverkennbaren Krebsschaden kommt noch der Übelstand, daß von unsrer Jugend
auch auf besondre unverdiente Bevorzugung gewartet wird; ja es ist thatsächlich
schon unter uusern Primanern die Ansicht verbreitet, wer "Karriere machen"
wolle, der müsse vor allen Dingen Korpsstudent werden. Ju den hohen
Ämtern säße" "alte Herren," die fast alle den Korps angehörten und die die
"unbedingte Ehrenpflicht" hätte", im Interesse der ganzen Verbindung jeden
jungen Korpsbrüder so hoch als möglich zu "poussiren." Weshalb also
arbeiten? Nur gleich von vvruherei" der zukünftigen hohen Staatsstellung
gemäß recht vornehm thun, recht "patent," "aristokratisch," "feudal"! immer
warten! Euch ,,Kameelen," die ihr eure Lasten durch die Wüsten der geistigen
Arbeit schleppt, legen wir Auserwühlten doch später die Zügel an! Es ist
unbegreiflich, wie die alten Herren, die vor dreißig, vierzig Jahre" den Ver¬
bindungen angehörten und eine ganz andre Auffassung vom akademischen Leben
gehabt haben, so thatenlos den vou den Grenzboten geschilderten Verirrungen
einiger ihrer jüngern Genossen zuschauen können.


Reserveoffiziere- und Studenten

Weibisch eiteln Wesens unter unsrer akademischen Jugend seien eine Folge unsers
Militarismus, unsers Reserveoffiziertnms!

Die Gründe für diese stetig wachsenden krankhaften Zustände der Gegen¬
wart liegen denu doch etwas tiefer. Die Unnatur ist immer der Fluch des
Epigonentums, und unsre Jugend scheint leider Gottes zu schnell in diesen
Fluch hineingeraten zu sein. Nur im Erstrebe» liegt die Kraft. Wenn der
Strom sich durch die Felsenklüfte schäumend mit steigender Gewalt über alle
möglichen Hindernisse gestürzt hat und die weite, mühelose Ebene erreicht, dann
tritt die Gefahr der Ermattung, der Versumpfung ein. Nach den Jahren
1870 und 1871 sind wir in diese gefährliche Ebene geraten, in der wir uns
ein sicheres Bett auswählen oder aber bei Entkräftung im Sande verlaufen
werden, wie die Kontiuentalflüsse der asiatischen Steppen. Der Angreifer ist
immer in sittlicher Beziehung stärker als der Verteidiger. Während jener
nach wohlbedachten Plane und in selbständiger Kraftentfaltung vorwärts geht,
besteht die Eigentümlichkeit des Verteidigers im Warten, und dieses erschlaffende,
unselbständige Warten ist auch der charakteristische Zug unsrer Zeit. Der Knabe
wartet, bis er das Alntnricntenexamen gemacht hat, der Jüngling wartet auf
der Universität, bis die Staatsprüfung kommt, der junge Beamte wartet, bis
er seiue feste Anstellung erreicht, und hat er diese erlangt, so ist des Wartens
noch immer kein Ende: es wird gewartet auf Gehaltserhöhung, ans Beförderung,
auf Auszeichnung, Titel, Orden u. f. w.

Das Moralprinzip des Wartens hat gegenwärtig alle andern Grundsätze
des tiefer gehenden Interesses, der uneigennützigen Strebsamkeit, der redlichen
Arbeit, des thatkräftigen Erringens verdrängt; es wird nicht mehr gearbeitet,
wie es unsre Väter gethan haben, es wird gewartet und gerade nur so viel
gearbeitet, wie von den Prüfungskommissionen verlangt wird. Aber zu diesem
unverkennbaren Krebsschaden kommt noch der Übelstand, daß von unsrer Jugend
auch auf besondre unverdiente Bevorzugung gewartet wird; ja es ist thatsächlich
schon unter uusern Primanern die Ansicht verbreitet, wer „Karriere machen"
wolle, der müsse vor allen Dingen Korpsstudent werden. Ju den hohen
Ämtern säße» „alte Herren," die fast alle den Korps angehörten und die die
„unbedingte Ehrenpflicht" hätte», im Interesse der ganzen Verbindung jeden
jungen Korpsbrüder so hoch als möglich zu „poussiren." Weshalb also
arbeiten? Nur gleich von vvruherei» der zukünftigen hohen Staatsstellung
gemäß recht vornehm thun, recht „patent," „aristokratisch," „feudal"! immer
warten! Euch ,,Kameelen," die ihr eure Lasten durch die Wüsten der geistigen
Arbeit schleppt, legen wir Auserwühlten doch später die Zügel an! Es ist
unbegreiflich, wie die alten Herren, die vor dreißig, vierzig Jahre» den Ver¬
bindungen angehörten und eine ganz andre Auffassung vom akademischen Leben
gehabt haben, so thatenlos den vou den Grenzboten geschilderten Verirrungen
einiger ihrer jüngern Genossen zuschauen können.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206497"/>
          <fw type="header" place="top"> Reserveoffiziere- und Studenten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1711" prev="#ID_1710"> Weibisch eiteln Wesens unter unsrer akademischen Jugend seien eine Folge unsers<lb/>
Militarismus, unsers Reserveoffiziertnms!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1712"> Die Gründe für diese stetig wachsenden krankhaften Zustände der Gegen¬<lb/>
wart liegen denu doch etwas tiefer. Die Unnatur ist immer der Fluch des<lb/>
Epigonentums, und unsre Jugend scheint leider Gottes zu schnell in diesen<lb/>
Fluch hineingeraten zu sein. Nur im Erstrebe» liegt die Kraft. Wenn der<lb/>
Strom sich durch die Felsenklüfte schäumend mit steigender Gewalt über alle<lb/>
möglichen Hindernisse gestürzt hat und die weite, mühelose Ebene erreicht, dann<lb/>
tritt die Gefahr der Ermattung, der Versumpfung ein. Nach den Jahren<lb/>
1870 und 1871 sind wir in diese gefährliche Ebene geraten, in der wir uns<lb/>
ein sicheres Bett auswählen oder aber bei Entkräftung im Sande verlaufen<lb/>
werden, wie die Kontiuentalflüsse der asiatischen Steppen. Der Angreifer ist<lb/>
immer in sittlicher Beziehung stärker als der Verteidiger. Während jener<lb/>
nach wohlbedachten Plane und in selbständiger Kraftentfaltung vorwärts geht,<lb/>
besteht die Eigentümlichkeit des Verteidigers im Warten, und dieses erschlaffende,<lb/>
unselbständige Warten ist auch der charakteristische Zug unsrer Zeit. Der Knabe<lb/>
wartet, bis er das Alntnricntenexamen gemacht hat, der Jüngling wartet auf<lb/>
der Universität, bis die Staatsprüfung kommt, der junge Beamte wartet, bis<lb/>
er seiue feste Anstellung erreicht, und hat er diese erlangt, so ist des Wartens<lb/>
noch immer kein Ende: es wird gewartet auf Gehaltserhöhung, ans Beförderung,<lb/>
auf Auszeichnung, Titel, Orden u. f. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1713"> Das Moralprinzip des Wartens hat gegenwärtig alle andern Grundsätze<lb/>
des tiefer gehenden Interesses, der uneigennützigen Strebsamkeit, der redlichen<lb/>
Arbeit, des thatkräftigen Erringens verdrängt; es wird nicht mehr gearbeitet,<lb/>
wie es unsre Väter gethan haben, es wird gewartet und gerade nur so viel<lb/>
gearbeitet, wie von den Prüfungskommissionen verlangt wird. Aber zu diesem<lb/>
unverkennbaren Krebsschaden kommt noch der Übelstand, daß von unsrer Jugend<lb/>
auch auf besondre unverdiente Bevorzugung gewartet wird; ja es ist thatsächlich<lb/>
schon unter uusern Primanern die Ansicht verbreitet, wer &#x201E;Karriere machen"<lb/>
wolle, der müsse vor allen Dingen Korpsstudent werden.  Ju den hohen<lb/>
Ämtern säße» &#x201E;alte Herren," die fast alle den Korps angehörten und die die<lb/>
&#x201E;unbedingte Ehrenpflicht" hätte», im Interesse der ganzen Verbindung jeden<lb/>
jungen Korpsbrüder so hoch als möglich zu &#x201E;poussiren."  Weshalb also<lb/>
arbeiten?  Nur gleich von vvruherei» der zukünftigen hohen Staatsstellung<lb/>
gemäß recht vornehm thun, recht &#x201E;patent," &#x201E;aristokratisch," &#x201E;feudal"! immer<lb/>
warten! Euch ,,Kameelen," die ihr eure Lasten durch die Wüsten der geistigen<lb/>
Arbeit schleppt, legen wir Auserwühlten doch später die Zügel an!  Es ist<lb/>
unbegreiflich, wie die alten Herren, die vor dreißig, vierzig Jahre» den Ver¬<lb/>
bindungen angehörten und eine ganz andre Auffassung vom akademischen Leben<lb/>
gehabt haben, so thatenlos den vou den Grenzboten geschilderten Verirrungen<lb/>
einiger ihrer jüngern Genossen zuschauen können.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Reserveoffiziere- und Studenten Weibisch eiteln Wesens unter unsrer akademischen Jugend seien eine Folge unsers Militarismus, unsers Reserveoffiziertnms! Die Gründe für diese stetig wachsenden krankhaften Zustände der Gegen¬ wart liegen denu doch etwas tiefer. Die Unnatur ist immer der Fluch des Epigonentums, und unsre Jugend scheint leider Gottes zu schnell in diesen Fluch hineingeraten zu sein. Nur im Erstrebe» liegt die Kraft. Wenn der Strom sich durch die Felsenklüfte schäumend mit steigender Gewalt über alle möglichen Hindernisse gestürzt hat und die weite, mühelose Ebene erreicht, dann tritt die Gefahr der Ermattung, der Versumpfung ein. Nach den Jahren 1870 und 1871 sind wir in diese gefährliche Ebene geraten, in der wir uns ein sicheres Bett auswählen oder aber bei Entkräftung im Sande verlaufen werden, wie die Kontiuentalflüsse der asiatischen Steppen. Der Angreifer ist immer in sittlicher Beziehung stärker als der Verteidiger. Während jener nach wohlbedachten Plane und in selbständiger Kraftentfaltung vorwärts geht, besteht die Eigentümlichkeit des Verteidigers im Warten, und dieses erschlaffende, unselbständige Warten ist auch der charakteristische Zug unsrer Zeit. Der Knabe wartet, bis er das Alntnricntenexamen gemacht hat, der Jüngling wartet auf der Universität, bis die Staatsprüfung kommt, der junge Beamte wartet, bis er seiue feste Anstellung erreicht, und hat er diese erlangt, so ist des Wartens noch immer kein Ende: es wird gewartet auf Gehaltserhöhung, ans Beförderung, auf Auszeichnung, Titel, Orden u. f. w. Das Moralprinzip des Wartens hat gegenwärtig alle andern Grundsätze des tiefer gehenden Interesses, der uneigennützigen Strebsamkeit, der redlichen Arbeit, des thatkräftigen Erringens verdrängt; es wird nicht mehr gearbeitet, wie es unsre Väter gethan haben, es wird gewartet und gerade nur so viel gearbeitet, wie von den Prüfungskommissionen verlangt wird. Aber zu diesem unverkennbaren Krebsschaden kommt noch der Übelstand, daß von unsrer Jugend auch auf besondre unverdiente Bevorzugung gewartet wird; ja es ist thatsächlich schon unter uusern Primanern die Ansicht verbreitet, wer „Karriere machen" wolle, der müsse vor allen Dingen Korpsstudent werden. Ju den hohen Ämtern säße» „alte Herren," die fast alle den Korps angehörten und die die „unbedingte Ehrenpflicht" hätte», im Interesse der ganzen Verbindung jeden jungen Korpsbrüder so hoch als möglich zu „poussiren." Weshalb also arbeiten? Nur gleich von vvruherei» der zukünftigen hohen Staatsstellung gemäß recht vornehm thun, recht „patent," „aristokratisch," „feudal"! immer warten! Euch ,,Kameelen," die ihr eure Lasten durch die Wüsten der geistigen Arbeit schleppt, legen wir Auserwühlten doch später die Zügel an! Es ist unbegreiflich, wie die alten Herren, die vor dreißig, vierzig Jahre» den Ver¬ bindungen angehörten und eine ganz andre Auffassung vom akademischen Leben gehabt haben, so thatenlos den vou den Grenzboten geschilderten Verirrungen einiger ihrer jüngern Genossen zuschauen können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/498>, abgerufen am 25.07.2024.