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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Lprachdummheiten

jene Spracherscheiuung einmal flüchtig gestreift. Aber was find das für
dürftige Brocken! Nicht der zehnte Teil der Spracherscheinungen, die dem
jungen Manne später im Leben gegen übertreten, nicht der zehnte Teil der
Verstöße, die später von allen Seiten ans ihn einstürmen, wird auf der Schule
Planmäßig behandelt. Wenn es der Junge halbwegs geschickt anfängt, kann
er in feinen Aufsätzen gröbere grammatische Fehler recht wohl vermeiden.
Wörtern und Wendungen, über die er nicht sicher ist, geht er aus dem Wege.
Tappelt er ja einmal hinein, nun, so wird der Fehler -- vielleicht berichtigt,
wenn der Lehrer selber so viel Kenntnis hat, daß er den Fehler merkt und
berichtigen kann. Aber nötig ist es nicht. Bei weitem die "leisten Lehrer des
Deutschen sind jn selber Laien. Sie haben sich nie, weder in ihrer eignen
Schulzeit, noch auf der Universität, noch seit sie Lehrer geworden sind, plan¬
mäßig mit dem Studium der deutschen Sprache, der deutschen Grammatik und
Stilistik beschäftigt. Daß der eine Lehrer als Fehler anrechnet, was der andre
durchläßt, kommt wohl vereinzelt auch in den fremden Sprachen vor, aber im
ganzen beherrscht doch da die feste Regel Lehrer und Schiller gemeinschaftlich;
jeder Lehrer weiß: so ist es, so heißt es, das muß ich wissen, und das mußt
du wissen. Im deutschen Unterricht bleibt fast alles dem Belieben und der
zufälligen Kenntnis des Lehrers überlassen. Im Lateinischen oder Griechischen
gilt ein Verstoß gegen eine Elementarregel für ein Kapitalverbrechen, das dem
Jungen unter Umständen ein Lebensjahr kosten kann; im Deutschen darf der
Lehrer scherzend seine eigne Unwissenheit bekennen, und die Jungen sollen
das womöglich für geistreich halten. Jn einem Kollegium von etwa zwanzig
Lehrern wurde einmal darüber gestritten, was richtig sei: Wir Deutschen oder
Wir Deutsche. Ein Drittel war aus dunkelm Gefühl für das eine, ein zweites
Drittel aus ebenso dunkelm Gefühl für das andre, das dritte Drittel suchte
schnell nach Gründen für das eine oder das andre; zu einer Entscheidung kam
^ nicht, denn etwas ordentliches wußte keiner. So stehts, wenn es sich
um die ganz gemeine grammatische Korrektheit handelt! Wenn vollends Ge¬
schmacksfragen ins Spiel kommen, kann es geschehen, daß der Junge, wenn er
l^eißig gute Prosa aus der Klassikerzeit gelesen hat, mehr Geschmack hat als
der Lehrer. Daß der Junge ein gutes, einfaches, natürliches ihm hinschreibt,
d^r Lehrer ihm ein langweiliges, steifbeiniges, papiernes demselben draus
macht, ist durchaus nichts unerhörtes. Ich habe Dutzende von Aufsätzen aus
der Feder von Deutschlehrern an höhern Schulen unter den Händen gehabt,
die zum Abdruck für eine Zeitschrift eingesandt worden waren: Kaiser- und
Königsgeburtstagsreden, Sedanfestreden und andre Aufsätze aller Art. Ich
habe es manchmal kaum für möglich gehalten, daß das von Deutschlehrern,
ja daß es überhaupt von Sprachlehrern geschrieben sei, so fehlerhaft war vieles
darin. Auch wenn man Schulprogrcimme in die Hände bekommt, ist man oft
erstaunt über das Deutsch, in dem die wissenschaftlichen Abhandlungen und


Allerhand Lprachdummheiten

jene Spracherscheiuung einmal flüchtig gestreift. Aber was find das für
dürftige Brocken! Nicht der zehnte Teil der Spracherscheinungen, die dem
jungen Manne später im Leben gegen übertreten, nicht der zehnte Teil der
Verstöße, die später von allen Seiten ans ihn einstürmen, wird auf der Schule
Planmäßig behandelt. Wenn es der Junge halbwegs geschickt anfängt, kann
er in feinen Aufsätzen gröbere grammatische Fehler recht wohl vermeiden.
Wörtern und Wendungen, über die er nicht sicher ist, geht er aus dem Wege.
Tappelt er ja einmal hinein, nun, so wird der Fehler — vielleicht berichtigt,
wenn der Lehrer selber so viel Kenntnis hat, daß er den Fehler merkt und
berichtigen kann. Aber nötig ist es nicht. Bei weitem die «leisten Lehrer des
Deutschen sind jn selber Laien. Sie haben sich nie, weder in ihrer eignen
Schulzeit, noch auf der Universität, noch seit sie Lehrer geworden sind, plan¬
mäßig mit dem Studium der deutschen Sprache, der deutschen Grammatik und
Stilistik beschäftigt. Daß der eine Lehrer als Fehler anrechnet, was der andre
durchläßt, kommt wohl vereinzelt auch in den fremden Sprachen vor, aber im
ganzen beherrscht doch da die feste Regel Lehrer und Schiller gemeinschaftlich;
jeder Lehrer weiß: so ist es, so heißt es, das muß ich wissen, und das mußt
du wissen. Im deutschen Unterricht bleibt fast alles dem Belieben und der
zufälligen Kenntnis des Lehrers überlassen. Im Lateinischen oder Griechischen
gilt ein Verstoß gegen eine Elementarregel für ein Kapitalverbrechen, das dem
Jungen unter Umständen ein Lebensjahr kosten kann; im Deutschen darf der
Lehrer scherzend seine eigne Unwissenheit bekennen, und die Jungen sollen
das womöglich für geistreich halten. Jn einem Kollegium von etwa zwanzig
Lehrern wurde einmal darüber gestritten, was richtig sei: Wir Deutschen oder
Wir Deutsche. Ein Drittel war aus dunkelm Gefühl für das eine, ein zweites
Drittel aus ebenso dunkelm Gefühl für das andre, das dritte Drittel suchte
schnell nach Gründen für das eine oder das andre; zu einer Entscheidung kam
^ nicht, denn etwas ordentliches wußte keiner. So stehts, wenn es sich
um die ganz gemeine grammatische Korrektheit handelt! Wenn vollends Ge¬
schmacksfragen ins Spiel kommen, kann es geschehen, daß der Junge, wenn er
l^eißig gute Prosa aus der Klassikerzeit gelesen hat, mehr Geschmack hat als
der Lehrer. Daß der Junge ein gutes, einfaches, natürliches ihm hinschreibt,
d^r Lehrer ihm ein langweiliges, steifbeiniges, papiernes demselben draus
macht, ist durchaus nichts unerhörtes. Ich habe Dutzende von Aufsätzen aus
der Feder von Deutschlehrern an höhern Schulen unter den Händen gehabt,
die zum Abdruck für eine Zeitschrift eingesandt worden waren: Kaiser- und
Königsgeburtstagsreden, Sedanfestreden und andre Aufsätze aller Art. Ich
habe es manchmal kaum für möglich gehalten, daß das von Deutschlehrern,
ja daß es überhaupt von Sprachlehrern geschrieben sei, so fehlerhaft war vieles
darin. Auch wenn man Schulprogrcimme in die Hände bekommt, ist man oft
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[0479] Allerhand Lprachdummheiten jene Spracherscheiuung einmal flüchtig gestreift. Aber was find das für dürftige Brocken! Nicht der zehnte Teil der Spracherscheinungen, die dem jungen Manne später im Leben gegen übertreten, nicht der zehnte Teil der Verstöße, die später von allen Seiten ans ihn einstürmen, wird auf der Schule Planmäßig behandelt. Wenn es der Junge halbwegs geschickt anfängt, kann er in feinen Aufsätzen gröbere grammatische Fehler recht wohl vermeiden. Wörtern und Wendungen, über die er nicht sicher ist, geht er aus dem Wege. Tappelt er ja einmal hinein, nun, so wird der Fehler — vielleicht berichtigt, wenn der Lehrer selber so viel Kenntnis hat, daß er den Fehler merkt und berichtigen kann. Aber nötig ist es nicht. Bei weitem die «leisten Lehrer des Deutschen sind jn selber Laien. Sie haben sich nie, weder in ihrer eignen Schulzeit, noch auf der Universität, noch seit sie Lehrer geworden sind, plan¬ mäßig mit dem Studium der deutschen Sprache, der deutschen Grammatik und Stilistik beschäftigt. Daß der eine Lehrer als Fehler anrechnet, was der andre durchläßt, kommt wohl vereinzelt auch in den fremden Sprachen vor, aber im ganzen beherrscht doch da die feste Regel Lehrer und Schiller gemeinschaftlich; jeder Lehrer weiß: so ist es, so heißt es, das muß ich wissen, und das mußt du wissen. Im deutschen Unterricht bleibt fast alles dem Belieben und der zufälligen Kenntnis des Lehrers überlassen. Im Lateinischen oder Griechischen gilt ein Verstoß gegen eine Elementarregel für ein Kapitalverbrechen, das dem Jungen unter Umständen ein Lebensjahr kosten kann; im Deutschen darf der Lehrer scherzend seine eigne Unwissenheit bekennen, und die Jungen sollen das womöglich für geistreich halten. Jn einem Kollegium von etwa zwanzig Lehrern wurde einmal darüber gestritten, was richtig sei: Wir Deutschen oder Wir Deutsche. Ein Drittel war aus dunkelm Gefühl für das eine, ein zweites Drittel aus ebenso dunkelm Gefühl für das andre, das dritte Drittel suchte schnell nach Gründen für das eine oder das andre; zu einer Entscheidung kam ^ nicht, denn etwas ordentliches wußte keiner. So stehts, wenn es sich um die ganz gemeine grammatische Korrektheit handelt! Wenn vollends Ge¬ schmacksfragen ins Spiel kommen, kann es geschehen, daß der Junge, wenn er l^eißig gute Prosa aus der Klassikerzeit gelesen hat, mehr Geschmack hat als der Lehrer. Daß der Junge ein gutes, einfaches, natürliches ihm hinschreibt, d^r Lehrer ihm ein langweiliges, steifbeiniges, papiernes demselben draus macht, ist durchaus nichts unerhörtes. Ich habe Dutzende von Aufsätzen aus der Feder von Deutschlehrern an höhern Schulen unter den Händen gehabt, die zum Abdruck für eine Zeitschrift eingesandt worden waren: Kaiser- und Königsgeburtstagsreden, Sedanfestreden und andre Aufsätze aller Art. Ich habe es manchmal kaum für möglich gehalten, daß das von Deutschlehrern, ja daß es überhaupt von Sprachlehrern geschrieben sei, so fehlerhaft war vieles darin. Auch wenn man Schulprogrcimme in die Hände bekommt, ist man oft erstaunt über das Deutsch, in dem die wissenschaftlichen Abhandlungen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/479>, abgerufen am 02.07.2024.