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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der veifcissungsstreit in Preußen

sofort die Präsidentenwahl: erster Borsitzende wurde der Abgeordnete Grabow,
und seine Stellvertreter wurden Behrend und von Bockum-Dolffs, alle drei
Anhänger des unbedingten Widerstandes. In die Kommission zur Prüfung
des Militäretats und der Militärvorlage wurden gewühlt sieben Mitglieder
der Fraktion Waldeck, sieben der Fraktion Bockum-Dvlffs, fünf der Fraktion
Grabow, eins der Fraktion Reichensperger, also neunzehn geschworne Gegner
der Regierung unter zwanzig Mitgliedern. Daß mit diesem Hause eine Ver¬
einbarung nicht herbeizuführen war, konnte jeder wissen, ohne gerade ein Seher
zu sein.

Die Verhandlungen schleppten sich hin bis in den Anfang des Monats
März, ohne daß etwas geschehen wäre, was sür die Gegenwart ein Interesse
haben könnte. Da führte unerwartet ein Antrag, der eigentlich gar keine so
weittragende Bedeutung hatte, den plötzlichen Schluß des Landtages herbei.
Es war gewissermaßen der Tropfen, der den bis an den Rand gefüllten Becher
zum Überlaufen brachte. Am 6. März stellten der Abgeordnete Hcigens und
31 Genossen deu Antrag: "Das Haus wolle beschließen, daß 1. der Stnats-
haushaltsetat in seinen Titeln durch Aufnahme der wesentlichen Einnahme- und
Ausgabepositionen aus deu demselben zu Grunde liegenden Verwaltungsetats
mehr zu spezialisiren, 2. diese Spezialisirung schou für 1862 zu bewirken sei."
Der Finanzminister von Patow trat dem Antrage zwar entschieden entgegen,
aber nicht gerade grundsätzlich, bezweifelte, daß die Maßregel sofort durchführbar
sei, verwies auf die folgenden Jahre, erklärte jedoch zum Schlüsse: "Es fragt
sich nur, ob nach Annahme der Vorschläge es noch möglich ist, zu regieren
und die Verantwortung für die Leitung der Geschäfte zu übernehmen, ob darin
nicht ein Eingriff in die Exekutive liegt." Der Antrag Hagens wurde mit
171 gegen 143 Stimmen angenommen. Am folgenden Tage, am 7. März, ver¬
langte der Minister von der Heydt die Suspension der Sitzungen des Hauses
auf einige Tage "wegen wichtiger Beratungen des Staatsministeriums." Am
8. reichte das Ministerium seine Entlassung ein, der König verwarf sie am 9.,
und am 11. erfolgte die Auflösung des Hauses. Die vou dem Minister von
der Heydt verlesene Botschaft schloß mit den Worten: "Das Ministerium ist
von der Überzeugung durchdrungen, daß nur ein einträchtiges und vertrauens¬
volles Zusammenwirken der Vertretung des Landes mit der Regierung des
.Königs dem Interesse der Monarchie entspricht. Indem es im vollen Bewußt¬
sein seiner Verantwortlichkeit und nach wiederholten Erwägungen sich zu der
Annahme berechtigt hält, daß die Vorgänge in der Sitzung vom 6. d. M.
den Beweis geliefert haben, daß diese Bedingung zur Zeit nicht zutrifft, hat
das Staatsministerium Sr. Majestät zunächst nur raten können, von dem im
Art. 51 der Verfassungsurkunde vorgesehenen Rechte der Krone Gebrauch zu
machen." Art. 51 der preußischen Verfassung lautet: "Der König beruft die
Kammern und schließt ihre Sitzungen. Er kann sie entweder beide zugleich


Der veifcissungsstreit in Preußen

sofort die Präsidentenwahl: erster Borsitzende wurde der Abgeordnete Grabow,
und seine Stellvertreter wurden Behrend und von Bockum-Dolffs, alle drei
Anhänger des unbedingten Widerstandes. In die Kommission zur Prüfung
des Militäretats und der Militärvorlage wurden gewühlt sieben Mitglieder
der Fraktion Waldeck, sieben der Fraktion Bockum-Dvlffs, fünf der Fraktion
Grabow, eins der Fraktion Reichensperger, also neunzehn geschworne Gegner
der Regierung unter zwanzig Mitgliedern. Daß mit diesem Hause eine Ver¬
einbarung nicht herbeizuführen war, konnte jeder wissen, ohne gerade ein Seher
zu sein.

Die Verhandlungen schleppten sich hin bis in den Anfang des Monats
März, ohne daß etwas geschehen wäre, was sür die Gegenwart ein Interesse
haben könnte. Da führte unerwartet ein Antrag, der eigentlich gar keine so
weittragende Bedeutung hatte, den plötzlichen Schluß des Landtages herbei.
Es war gewissermaßen der Tropfen, der den bis an den Rand gefüllten Becher
zum Überlaufen brachte. Am 6. März stellten der Abgeordnete Hcigens und
31 Genossen deu Antrag: „Das Haus wolle beschließen, daß 1. der Stnats-
haushaltsetat in seinen Titeln durch Aufnahme der wesentlichen Einnahme- und
Ausgabepositionen aus deu demselben zu Grunde liegenden Verwaltungsetats
mehr zu spezialisiren, 2. diese Spezialisirung schou für 1862 zu bewirken sei."
Der Finanzminister von Patow trat dem Antrage zwar entschieden entgegen,
aber nicht gerade grundsätzlich, bezweifelte, daß die Maßregel sofort durchführbar
sei, verwies auf die folgenden Jahre, erklärte jedoch zum Schlüsse: „Es fragt
sich nur, ob nach Annahme der Vorschläge es noch möglich ist, zu regieren
und die Verantwortung für die Leitung der Geschäfte zu übernehmen, ob darin
nicht ein Eingriff in die Exekutive liegt." Der Antrag Hagens wurde mit
171 gegen 143 Stimmen angenommen. Am folgenden Tage, am 7. März, ver¬
langte der Minister von der Heydt die Suspension der Sitzungen des Hauses
auf einige Tage „wegen wichtiger Beratungen des Staatsministeriums." Am
8. reichte das Ministerium seine Entlassung ein, der König verwarf sie am 9.,
und am 11. erfolgte die Auflösung des Hauses. Die vou dem Minister von
der Heydt verlesene Botschaft schloß mit den Worten: „Das Ministerium ist
von der Überzeugung durchdrungen, daß nur ein einträchtiges und vertrauens¬
volles Zusammenwirken der Vertretung des Landes mit der Regierung des
.Königs dem Interesse der Monarchie entspricht. Indem es im vollen Bewußt¬
sein seiner Verantwortlichkeit und nach wiederholten Erwägungen sich zu der
Annahme berechtigt hält, daß die Vorgänge in der Sitzung vom 6. d. M.
den Beweis geliefert haben, daß diese Bedingung zur Zeit nicht zutrifft, hat
das Staatsministerium Sr. Majestät zunächst nur raten können, von dem im
Art. 51 der Verfassungsurkunde vorgesehenen Rechte der Krone Gebrauch zu
machen." Art. 51 der preußischen Verfassung lautet: „Der König beruft die
Kammern und schließt ihre Sitzungen. Er kann sie entweder beide zugleich


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[0458] Der veifcissungsstreit in Preußen sofort die Präsidentenwahl: erster Borsitzende wurde der Abgeordnete Grabow, und seine Stellvertreter wurden Behrend und von Bockum-Dolffs, alle drei Anhänger des unbedingten Widerstandes. In die Kommission zur Prüfung des Militäretats und der Militärvorlage wurden gewühlt sieben Mitglieder der Fraktion Waldeck, sieben der Fraktion Bockum-Dvlffs, fünf der Fraktion Grabow, eins der Fraktion Reichensperger, also neunzehn geschworne Gegner der Regierung unter zwanzig Mitgliedern. Daß mit diesem Hause eine Ver¬ einbarung nicht herbeizuführen war, konnte jeder wissen, ohne gerade ein Seher zu sein. Die Verhandlungen schleppten sich hin bis in den Anfang des Monats März, ohne daß etwas geschehen wäre, was sür die Gegenwart ein Interesse haben könnte. Da führte unerwartet ein Antrag, der eigentlich gar keine so weittragende Bedeutung hatte, den plötzlichen Schluß des Landtages herbei. Es war gewissermaßen der Tropfen, der den bis an den Rand gefüllten Becher zum Überlaufen brachte. Am 6. März stellten der Abgeordnete Hcigens und 31 Genossen deu Antrag: „Das Haus wolle beschließen, daß 1. der Stnats- haushaltsetat in seinen Titeln durch Aufnahme der wesentlichen Einnahme- und Ausgabepositionen aus deu demselben zu Grunde liegenden Verwaltungsetats mehr zu spezialisiren, 2. diese Spezialisirung schou für 1862 zu bewirken sei." Der Finanzminister von Patow trat dem Antrage zwar entschieden entgegen, aber nicht gerade grundsätzlich, bezweifelte, daß die Maßregel sofort durchführbar sei, verwies auf die folgenden Jahre, erklärte jedoch zum Schlüsse: „Es fragt sich nur, ob nach Annahme der Vorschläge es noch möglich ist, zu regieren und die Verantwortung für die Leitung der Geschäfte zu übernehmen, ob darin nicht ein Eingriff in die Exekutive liegt." Der Antrag Hagens wurde mit 171 gegen 143 Stimmen angenommen. Am folgenden Tage, am 7. März, ver¬ langte der Minister von der Heydt die Suspension der Sitzungen des Hauses auf einige Tage „wegen wichtiger Beratungen des Staatsministeriums." Am 8. reichte das Ministerium seine Entlassung ein, der König verwarf sie am 9., und am 11. erfolgte die Auflösung des Hauses. Die vou dem Minister von der Heydt verlesene Botschaft schloß mit den Worten: „Das Ministerium ist von der Überzeugung durchdrungen, daß nur ein einträchtiges und vertrauens¬ volles Zusammenwirken der Vertretung des Landes mit der Regierung des .Königs dem Interesse der Monarchie entspricht. Indem es im vollen Bewußt¬ sein seiner Verantwortlichkeit und nach wiederholten Erwägungen sich zu der Annahme berechtigt hält, daß die Vorgänge in der Sitzung vom 6. d. M. den Beweis geliefert haben, daß diese Bedingung zur Zeit nicht zutrifft, hat das Staatsministerium Sr. Majestät zunächst nur raten können, von dem im Art. 51 der Verfassungsurkunde vorgesehenen Rechte der Krone Gebrauch zu machen." Art. 51 der preußischen Verfassung lautet: „Der König beruft die Kammern und schließt ihre Sitzungen. Er kann sie entweder beide zugleich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/458>, abgerufen am 25.07.2024.