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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

eines bestehenden Gesetzes, um die Darlegung geltenden Rechts handelt. Hier
fragt es sich nur: Worin besteht dieser Inhalt, was ist wirklich Rechtens?
Hier arbeitet die Theorie lediglich für die Praxis, und die Praxis muß die
Ergebnisse der Theorie anerkennen, sofern sie sie für richtig, d. h. mit dem
Inhalt des Gesetzes übereinstimmend findet, weil sie eben an den wahren Inhalt
des Gesetzes ohne jede andre Rücksicht gebunden ist. Nur solche Aufstellungen
der Theorie, die dieser Übereinstimmung mit dem Gesetze entbehren, sind von
der Praxis zu verwerfen; sie sind dann aber auch theoretisch wertlos. Was ä<z
lkgv liitÄ theoretisch richtig ist, muß es auch praktisch sein; eine zwiefache
Wahrheit, eine für die Theorie und eine für die Praxis, ist hier ein Unding.

Deu Gegenstand meiner Untersuchungen hat nun aber allein das geltende
Recht und sein Inhalt gebildet; eine Kritik ist an ihm nur auf Grund seiner
eignen Prinzipien und Einrichtungen geübt; die Bedürfnisse der Praxis sind
insoweit herangezogen, als der Gesetzgeber selbst darauf Rücksicht genommen
hat. Hieraus folgt schon, daß die oben daraus angeführten Äußerungen nicht
gegen das Gesetz selbst gerichtet sein können. In der That wird denn auch
nicht von diesem behauptet, daß es einen Nachklang mittelalterlicher Haftpflicht
für dritte Personen enthalte, sondern vielmehr von dem französischen, in
Deutschland endlich überwundenen System der unterschiedslosen und für alle
Fälle gleichen Gerantenhaftung. Nicht dem Reichspreßgesetz wird der Vorwurf
einer schroffen Verletzung der allgemeinen Grundsätze des Strafrechts, einer
Kränkung des Rechtsgefühls und einer Entwertung der Reichsgesetzgebung ge¬
macht, sondern der Handhabung dieses Gesetzes durch das Reichsgericht, die
einerseits auf Unklarheit über die dem Gesetz zu Grunde liegenden rechtlichen
Gedanken beruht, anderseits zu jenen in der That unerträglichen Folgen
führt, die wir oben angedeutet haben. Gegen diese das Gesetz entstellende
Praxis des Reichsgerichts, die in der That bestrebt ist, "uns unter Hintan¬
setzung der durch die neuere Gesetzgebung errungenen Fortschritte um beinahe
vierzig Jahre in unserm Rechtszustande zurückzuwerfen," richtet sich die Spitze
meines Buches, gegen diese ist es geschrieben, nicht gegen das Neichsgesetz.
Den wahren Inhalt und die wahren Gedanken dieses Gesetzes einer immer
weiter um sich greifenden Verdunkelung gegenüber durch eingehende historische
und dogmatische Begründung fest- und sicherzustellen, darauf ging mein Bestreben.

Eine Widerlegung meiner Ansichten über das Reichspreßgesetz kann daher
auch nur aus diesem selbst, nicht aber, wie Gerland es versucht hat, durch
allgemeine Betrachtungen über die Verhältnisse der Presse und die Bedürfnisse
der Praxis ihr gegenüber erbracht werden. Wenn aber dabei zugleich anerkannt
wird, daß meine Ansichten "nach den Grundsätzen der reinen Theorie gewiß
unanfechtbar" seien, so scheint mir damit nach dem Obigen auch die Notwendig¬
keit ihrer Befolgung durch die Praxis bis auf weiteres gegeben zu sein.




Nochmals die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Redakteurs

eines bestehenden Gesetzes, um die Darlegung geltenden Rechts handelt. Hier
fragt es sich nur: Worin besteht dieser Inhalt, was ist wirklich Rechtens?
Hier arbeitet die Theorie lediglich für die Praxis, und die Praxis muß die
Ergebnisse der Theorie anerkennen, sofern sie sie für richtig, d. h. mit dem
Inhalt des Gesetzes übereinstimmend findet, weil sie eben an den wahren Inhalt
des Gesetzes ohne jede andre Rücksicht gebunden ist. Nur solche Aufstellungen
der Theorie, die dieser Übereinstimmung mit dem Gesetze entbehren, sind von
der Praxis zu verwerfen; sie sind dann aber auch theoretisch wertlos. Was ä<z
lkgv liitÄ theoretisch richtig ist, muß es auch praktisch sein; eine zwiefache
Wahrheit, eine für die Theorie und eine für die Praxis, ist hier ein Unding.

Deu Gegenstand meiner Untersuchungen hat nun aber allein das geltende
Recht und sein Inhalt gebildet; eine Kritik ist an ihm nur auf Grund seiner
eignen Prinzipien und Einrichtungen geübt; die Bedürfnisse der Praxis sind
insoweit herangezogen, als der Gesetzgeber selbst darauf Rücksicht genommen
hat. Hieraus folgt schon, daß die oben daraus angeführten Äußerungen nicht
gegen das Gesetz selbst gerichtet sein können. In der That wird denn auch
nicht von diesem behauptet, daß es einen Nachklang mittelalterlicher Haftpflicht
für dritte Personen enthalte, sondern vielmehr von dem französischen, in
Deutschland endlich überwundenen System der unterschiedslosen und für alle
Fälle gleichen Gerantenhaftung. Nicht dem Reichspreßgesetz wird der Vorwurf
einer schroffen Verletzung der allgemeinen Grundsätze des Strafrechts, einer
Kränkung des Rechtsgefühls und einer Entwertung der Reichsgesetzgebung ge¬
macht, sondern der Handhabung dieses Gesetzes durch das Reichsgericht, die
einerseits auf Unklarheit über die dem Gesetz zu Grunde liegenden rechtlichen
Gedanken beruht, anderseits zu jenen in der That unerträglichen Folgen
führt, die wir oben angedeutet haben. Gegen diese das Gesetz entstellende
Praxis des Reichsgerichts, die in der That bestrebt ist, „uns unter Hintan¬
setzung der durch die neuere Gesetzgebung errungenen Fortschritte um beinahe
vierzig Jahre in unserm Rechtszustande zurückzuwerfen," richtet sich die Spitze
meines Buches, gegen diese ist es geschrieben, nicht gegen das Neichsgesetz.
Den wahren Inhalt und die wahren Gedanken dieses Gesetzes einer immer
weiter um sich greifenden Verdunkelung gegenüber durch eingehende historische
und dogmatische Begründung fest- und sicherzustellen, darauf ging mein Bestreben.

Eine Widerlegung meiner Ansichten über das Reichspreßgesetz kann daher
auch nur aus diesem selbst, nicht aber, wie Gerland es versucht hat, durch
allgemeine Betrachtungen über die Verhältnisse der Presse und die Bedürfnisse
der Praxis ihr gegenüber erbracht werden. Wenn aber dabei zugleich anerkannt
wird, daß meine Ansichten „nach den Grundsätzen der reinen Theorie gewiß
unanfechtbar" seien, so scheint mir damit nach dem Obigen auch die Notwendig¬
keit ihrer Befolgung durch die Praxis bis auf weiteres gegeben zu sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/456>, abgerufen am 25.07.2024.