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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachduinniheiten

brechcrisch. Hat an" denn alles Gefühl hierfür verloren, daß man gärt¬
nerisch, zeichnerisch, stecherisch bildet? Und denkt man gar nicht daran,
daß studentische Aufführung in Wahrheit etwas ganz andres bedeutet als
eine von Studenten veranstaltete Theatervorstellung, nämlich studentisches Be¬
tragen, und zwar im schlimmen Sinne? Und umgekehrt: fühlt man gar nicht, daß
bei der silbernen und der goldnen Hochzeit das silbern und golden nur
ein schönes Gleichnis ist, wie beim silbernen und beim goldnen Zeitalter?
und daß dieses schöne Gleichnis durch Silberhochzeit sofort zerstört und die
Vorstellung in plniuper Weise auf -- das Silber gelenkt wird, das das Jubel¬
paar in ' Gestalt von Bechern, Tafelaufsätzen und dergleichen als Geschenk
erwartet? Oder wollen wir vielleicht in Zukunft auch vom Gvldzeitalter
reden? Und endlich: hat man denn gar kein Ohr für den häßlichen Klang
vieler, ja der der meisten dieser neugeschaffenen Adjectiva?

Hie und da glaubt man wohl einen triftigen Grund für die Neubildung
zu entdecken. Der Chvrdirettvr oder der Rezensent, der zuerst von einem Terzett
für weibliche Stimmen anstatt von einem Terzett für Frauenstimmen ge¬
sprochen hat, hatte sich gewiß überlegt, daß unter den Sängerinnen auch junge
Mädchen sein könnten. Und der Ratsgärtner, der seiner Behörde zuerst einen
Plan zu gärtnerischen Anlagen am Theater vorlegte, hatte sich gesagt, daß
ein eigentlicher Garten, d. h. eine von einem Zaun oder Geländer umschlossene
Anpflanzung, nicht geschaffen werden solle. Aber bedeutet denn Frau, wo
es sich um die bloße Gegenüberstellung der Geschlechter handelt, nicht auch das
Mädchen mit? Kann sich ein junges Mädchen beleidigt fühlen, wenn mau
es einladet, einen Frauenchvr mitzusingen?^) Und können denn nicht Garten¬
anlagen auch Anlagen sein, wie sie in einem Garten sind? müssen sie immer
in einem Garten sein? Gärtnerische Anlage würde ich einem Jungen
wünschen, der Lust hätte, Gärtner zu werden, wiewohl mirs auch dann noch
lieber wäre, wenn er Anlage zum Gärtner hätte. Nein, diese Begrün¬
dungen sind ganz hinfällig. Wenn die große Masse gedankenlos an der Sprache
ändert, so werden schon Dummheiten genug fertig; wenn sie aber gar anfängt,
mit Nachdenken und ans Gründen zu ändern, dann wirds womöglich noch
schlimmer. Denn dazu sehlt der großen Masse in der Regel eins vollständig:
Kenntnis der Sprache lind ihrer Gesetze.



") Zu welchen Geschmacklosigkeiten im Ausdruck sich manche Leute verirren aus lauter
Angst, mißverstanden zu werden, dafür nur ein Beispiel. Ein Zeichenlehrer wollte einen Unter-
richtskursus für Damen ankündigen. Das Wort Damen wollte er aber als Fremdwort nicht
brauchen, und das war ja sehr löblich, Frauen auch nicht, deun dann wären am Ende die
Mädchen ausgeblieben, auf die ers ganz besonders abgesehen hatte, Frauen und Mädchen
aber much nicht, denn dann wären vielleicht Schulmädchen mitgekommen, die er uicht haben
wollte. Was kündigte er also an? Zeichenunterricht für erwachsene Personen weiblichen
Geschlechts! Thatsache, keine Erfindung.
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brechcrisch. Hat an» denn alles Gefühl hierfür verloren, daß man gärt¬
nerisch, zeichnerisch, stecherisch bildet? Und denkt man gar nicht daran,
daß studentische Aufführung in Wahrheit etwas ganz andres bedeutet als
eine von Studenten veranstaltete Theatervorstellung, nämlich studentisches Be¬
tragen, und zwar im schlimmen Sinne? Und umgekehrt: fühlt man gar nicht, daß
bei der silbernen und der goldnen Hochzeit das silbern und golden nur
ein schönes Gleichnis ist, wie beim silbernen und beim goldnen Zeitalter?
und daß dieses schöne Gleichnis durch Silberhochzeit sofort zerstört und die
Vorstellung in plniuper Weise auf — das Silber gelenkt wird, das das Jubel¬
paar in ' Gestalt von Bechern, Tafelaufsätzen und dergleichen als Geschenk
erwartet? Oder wollen wir vielleicht in Zukunft auch vom Gvldzeitalter
reden? Und endlich: hat man denn gar kein Ohr für den häßlichen Klang
vieler, ja der der meisten dieser neugeschaffenen Adjectiva?

Hie und da glaubt man wohl einen triftigen Grund für die Neubildung
zu entdecken. Der Chvrdirettvr oder der Rezensent, der zuerst von einem Terzett
für weibliche Stimmen anstatt von einem Terzett für Frauenstimmen ge¬
sprochen hat, hatte sich gewiß überlegt, daß unter den Sängerinnen auch junge
Mädchen sein könnten. Und der Ratsgärtner, der seiner Behörde zuerst einen
Plan zu gärtnerischen Anlagen am Theater vorlegte, hatte sich gesagt, daß
ein eigentlicher Garten, d. h. eine von einem Zaun oder Geländer umschlossene
Anpflanzung, nicht geschaffen werden solle. Aber bedeutet denn Frau, wo
es sich um die bloße Gegenüberstellung der Geschlechter handelt, nicht auch das
Mädchen mit? Kann sich ein junges Mädchen beleidigt fühlen, wenn mau
es einladet, einen Frauenchvr mitzusingen?^) Und können denn nicht Garten¬
anlagen auch Anlagen sein, wie sie in einem Garten sind? müssen sie immer
in einem Garten sein? Gärtnerische Anlage würde ich einem Jungen
wünschen, der Lust hätte, Gärtner zu werden, wiewohl mirs auch dann noch
lieber wäre, wenn er Anlage zum Gärtner hätte. Nein, diese Begrün¬
dungen sind ganz hinfällig. Wenn die große Masse gedankenlos an der Sprache
ändert, so werden schon Dummheiten genug fertig; wenn sie aber gar anfängt,
mit Nachdenken und ans Gründen zu ändern, dann wirds womöglich noch
schlimmer. Denn dazu sehlt der großen Masse in der Regel eins vollständig:
Kenntnis der Sprache lind ihrer Gesetze.



") Zu welchen Geschmacklosigkeiten im Ausdruck sich manche Leute verirren aus lauter
Angst, mißverstanden zu werden, dafür nur ein Beispiel. Ein Zeichenlehrer wollte einen Unter-
richtskursus für Damen ankündigen. Das Wort Damen wollte er aber als Fremdwort nicht
brauchen, und das war ja sehr löblich, Frauen auch nicht, deun dann wären am Ende die
Mädchen ausgeblieben, auf die ers ganz besonders abgesehen hatte, Frauen und Mädchen
aber much nicht, denn dann wären vielleicht Schulmädchen mitgekommen, die er uicht haben
wollte. Was kündigte er also an? Zeichenunterricht für erwachsene Personen weiblichen
Geschlechts! Thatsache, keine Erfindung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/426>, abgerufen am 02.07.2024.