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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die bedingte Verurteilung

Grad von Affekt annimmt und dieses gute Zntrnnen nicht hat, so wissen wir
nicht, ob er mit seiner Entscheidung das Nichtige getroffen hat; soviel wissen
wir aber gewiß, daß der Angeklagte B ihn der Parteilichkeit beschuldigen wird,
und wer will ihm beweisen, daß er im Fall bedingter Begnadigung sich nicht
auch die vorgeschriebene Zeit über straflos gehalten hätte? Der Vorwurf der
Parteilichkeit wird noch viel lauter erschallen, wenn man nach dem Vorschlag
unsrer Philanthropen mit der bedingten Verurteilung noch die Erfindung der
Friedensbürgschaft verbindet, die der Richter auch wieder verlangen kann, aber
nicht verlangen muß. Es wird nicht nu Richtern und Justizverwaltungen
fehlen, die diese schone Erfindung auch finanziell auszubeuten versuchen, und
das Ergebnis wird in den Angen des Volkes eine neue Anwendung des Satzes
sein: die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen, d. h. die
Armen werden unbedingt, die Reichen nur bedingt verurteilt.

Wir wiederholen: die bedingte Verurteilung ist bedingte Begnadigung und
als solche, vom Richter geübt, ein Eingriff in das Recht des Regenten, ein
Eingriff, der sich am Staat und am Richter rächt. Der Richter soll der
Wächter des Gesetzes, der Regent soll die Verkörperung der Gerechtigkeit sein,
und ein Teil der Gerechtigkeit ist die Gnade:


Sie ist ein Attribut der Gottheit selbst,
Und irdsche Macht kommt göttlicher am nächsten,
Wenn Gnade bei dem Recht steht.

Die Gnade, anch wenn sie von keinem Zwange weiß, ist darum uicht Willkür,
sie soll es jedenfalls nicht sein. In Italien heißt der Justizminister "Minister
der Gerechtigkeit und der Gnade." schön ist damit sein Beruf und seine
Verantwortlichkeit bezeichnet; nicht dadurch erfüllt er seineu Berief, daß er
seiner oder seines Herrn Abneigung, Blut zu scheu, nachgiebt und jeden
Meuchelmörder der Gnade des Regenten empfiehlt, auch nicht dadurch, daß
er bei freudigen Ereignissen im Regentenhause die Thore der Gefängnisse und
Zuchthäuser öffnet, sondern dadurch, daß er eingreift, wo im Großen oder
im Kleinen das Gesetz, das geschriebne Recht mit der Idee der Gerechtigkeit,
Mit dem göttlichen Recht in Widerspruch gerät.

In jedem, auch dem verkehrtesten Vorschlage, wenn er nicht von einem
Verrückten ausgeht, liegt ein gesunder Kern; so anch in dem Vorschlage der
bedingten Verurteilung, den ja hochangesehene Männer befürworte"!. Der
gesunde Kern ist der Gedanke, daß es im Interesse der Gerechtigkeit keineswegs
immer nötig sei, eine erkannte Strafe zu vollstrecken; in vielen Fällen ist der
Thäter durch die sonstigen Folgen seiner That schon schwer gestraft, und hier
ist der vernünftig geübten Gnade ein weites Feld geöffnet, namentlich da, wo
die gesetzwidrige That nicht das Recht eines Einzelnen verletzt hat. Freilich
eine bedingte Begnadigung stünde dem Regenten übel an: "Ein König sagt


Die bedingte Verurteilung

Grad von Affekt annimmt und dieses gute Zntrnnen nicht hat, so wissen wir
nicht, ob er mit seiner Entscheidung das Nichtige getroffen hat; soviel wissen
wir aber gewiß, daß der Angeklagte B ihn der Parteilichkeit beschuldigen wird,
und wer will ihm beweisen, daß er im Fall bedingter Begnadigung sich nicht
auch die vorgeschriebene Zeit über straflos gehalten hätte? Der Vorwurf der
Parteilichkeit wird noch viel lauter erschallen, wenn man nach dem Vorschlag
unsrer Philanthropen mit der bedingten Verurteilung noch die Erfindung der
Friedensbürgschaft verbindet, die der Richter auch wieder verlangen kann, aber
nicht verlangen muß. Es wird nicht nu Richtern und Justizverwaltungen
fehlen, die diese schone Erfindung auch finanziell auszubeuten versuchen, und
das Ergebnis wird in den Angen des Volkes eine neue Anwendung des Satzes
sein: die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen, d. h. die
Armen werden unbedingt, die Reichen nur bedingt verurteilt.

Wir wiederholen: die bedingte Verurteilung ist bedingte Begnadigung und
als solche, vom Richter geübt, ein Eingriff in das Recht des Regenten, ein
Eingriff, der sich am Staat und am Richter rächt. Der Richter soll der
Wächter des Gesetzes, der Regent soll die Verkörperung der Gerechtigkeit sein,
und ein Teil der Gerechtigkeit ist die Gnade:


Sie ist ein Attribut der Gottheit selbst,
Und irdsche Macht kommt göttlicher am nächsten,
Wenn Gnade bei dem Recht steht.

Die Gnade, anch wenn sie von keinem Zwange weiß, ist darum uicht Willkür,
sie soll es jedenfalls nicht sein. In Italien heißt der Justizminister „Minister
der Gerechtigkeit und der Gnade." schön ist damit sein Beruf und seine
Verantwortlichkeit bezeichnet; nicht dadurch erfüllt er seineu Berief, daß er
seiner oder seines Herrn Abneigung, Blut zu scheu, nachgiebt und jeden
Meuchelmörder der Gnade des Regenten empfiehlt, auch nicht dadurch, daß
er bei freudigen Ereignissen im Regentenhause die Thore der Gefängnisse und
Zuchthäuser öffnet, sondern dadurch, daß er eingreift, wo im Großen oder
im Kleinen das Gesetz, das geschriebne Recht mit der Idee der Gerechtigkeit,
Mit dem göttlichen Recht in Widerspruch gerät.

In jedem, auch dem verkehrtesten Vorschlage, wenn er nicht von einem
Verrückten ausgeht, liegt ein gesunder Kern; so anch in dem Vorschlage der
bedingten Verurteilung, den ja hochangesehene Männer befürworte«!. Der
gesunde Kern ist der Gedanke, daß es im Interesse der Gerechtigkeit keineswegs
immer nötig sei, eine erkannte Strafe zu vollstrecken; in vielen Fällen ist der
Thäter durch die sonstigen Folgen seiner That schon schwer gestraft, und hier
ist der vernünftig geübten Gnade ein weites Feld geöffnet, namentlich da, wo
die gesetzwidrige That nicht das Recht eines Einzelnen verletzt hat. Freilich
eine bedingte Begnadigung stünde dem Regenten übel an: „Ein König sagt


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[0412] Die bedingte Verurteilung Grad von Affekt annimmt und dieses gute Zntrnnen nicht hat, so wissen wir nicht, ob er mit seiner Entscheidung das Nichtige getroffen hat; soviel wissen wir aber gewiß, daß der Angeklagte B ihn der Parteilichkeit beschuldigen wird, und wer will ihm beweisen, daß er im Fall bedingter Begnadigung sich nicht auch die vorgeschriebene Zeit über straflos gehalten hätte? Der Vorwurf der Parteilichkeit wird noch viel lauter erschallen, wenn man nach dem Vorschlag unsrer Philanthropen mit der bedingten Verurteilung noch die Erfindung der Friedensbürgschaft verbindet, die der Richter auch wieder verlangen kann, aber nicht verlangen muß. Es wird nicht nu Richtern und Justizverwaltungen fehlen, die diese schone Erfindung auch finanziell auszubeuten versuchen, und das Ergebnis wird in den Angen des Volkes eine neue Anwendung des Satzes sein: die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen, d. h. die Armen werden unbedingt, die Reichen nur bedingt verurteilt. Wir wiederholen: die bedingte Verurteilung ist bedingte Begnadigung und als solche, vom Richter geübt, ein Eingriff in das Recht des Regenten, ein Eingriff, der sich am Staat und am Richter rächt. Der Richter soll der Wächter des Gesetzes, der Regent soll die Verkörperung der Gerechtigkeit sein, und ein Teil der Gerechtigkeit ist die Gnade: Sie ist ein Attribut der Gottheit selbst, Und irdsche Macht kommt göttlicher am nächsten, Wenn Gnade bei dem Recht steht. Die Gnade, anch wenn sie von keinem Zwange weiß, ist darum uicht Willkür, sie soll es jedenfalls nicht sein. In Italien heißt der Justizminister „Minister der Gerechtigkeit und der Gnade." schön ist damit sein Beruf und seine Verantwortlichkeit bezeichnet; nicht dadurch erfüllt er seineu Berief, daß er seiner oder seines Herrn Abneigung, Blut zu scheu, nachgiebt und jeden Meuchelmörder der Gnade des Regenten empfiehlt, auch nicht dadurch, daß er bei freudigen Ereignissen im Regentenhause die Thore der Gefängnisse und Zuchthäuser öffnet, sondern dadurch, daß er eingreift, wo im Großen oder im Kleinen das Gesetz, das geschriebne Recht mit der Idee der Gerechtigkeit, Mit dem göttlichen Recht in Widerspruch gerät. In jedem, auch dem verkehrtesten Vorschlage, wenn er nicht von einem Verrückten ausgeht, liegt ein gesunder Kern; so anch in dem Vorschlage der bedingten Verurteilung, den ja hochangesehene Männer befürworte«!. Der gesunde Kern ist der Gedanke, daß es im Interesse der Gerechtigkeit keineswegs immer nötig sei, eine erkannte Strafe zu vollstrecken; in vielen Fällen ist der Thäter durch die sonstigen Folgen seiner That schon schwer gestraft, und hier ist der vernünftig geübten Gnade ein weites Feld geöffnet, namentlich da, wo die gesetzwidrige That nicht das Recht eines Einzelnen verletzt hat. Freilich eine bedingte Begnadigung stünde dem Regenten übel an: „Ein König sagt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/412>, abgerufen am 28.06.2024.