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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die bedingte Verurteilung

nicht beeinflussen sollte"; eine schwere Widersetzung gegen die Staatsgewalt
wird nicht hinterher dadurch zu einer leichten, daß der Widerstandleistende auf
der Anklagebank heulend sein Verschulden gesteht, es muß ihn von Rechts
wegen die Strafe der schweren Widersetzung treffen, wenn auch wegen seiner
Reue etwas milder bemessen, als wenn er hartnäckig und frech leugnet; jetzt
aber ist es keineswegs unerhört, daß ein Vorsitzender dein Angeklagten ver¬
blümt oder unverblümt zu verstehen giebt, daß die Zubilligung mildernder
Umstände davon abhänge, ob er die That gestehe und zwar so gestehe, wie
es der Vorsitzende haben will, ob er also diesem sein Geschäft erleichtere oder
erschwere. Das ist eine Korruption der Rechtspflege, und wenn eine solche um
einem Punkte besteht, so liegt darin wahrlich kein Grund, sie auch an einem
zweiten Punkt zuzulassen.

Anders verhält es sich mit der freien Veweiswürdigung und der Straf-
bemessnng; zwar oarauf wollen und dürfen wir kein Gewicht legen, daß der
Richter auch hier nicht nach Willkür, sondern nach wohlerwogenen Grlludeu
entscheiden soll, denn die internationalen Philanthropen würden uns auf diesen
Einwand mit Recht antworten, auch die bedingte Verurteilung solle der Richter
tiur nach reiflicher Erwägung aller Umstände nussprecheu. Ihre Berufung
anf diese Einrichtungen trifft aus einem andern Grunde nicht zu; die freie
Beweiswürdigung und die relative Freiheit der Strafbemessuug sind notwendige
Übel, d. h. sie sind Übel eben wegen der damit verbundnen Gefahr der Willkür,
aber sie sind notwendig, weil man sie nur gegen größere Übel eintauschen
könnte; bei der formellen Beweistheorie kommen noch schlimmere Ergebnisse zu
Tage als bei der freie" BeweiSwürdignng, und für die verschiednen Stufen
eines Verbrechens auch nur annähernd die richtige Strafe anzudrohen, liegt
außerhalb der vernünftigen Möglichkeit. Die bedingte Verurteilung dagegen
ist zwar, wie wir nachgewiesen zu haben glauben, auch ein Übel und zwar
ein recht großes, aber sie ist in keiner Weise notwendig oder auch nur nützlich.
Auch ist immer noch ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Fall, daß
dem Richter die Wahl gelassen wird, ob er gegen den Angeklagten auf acht
Tage oder auf acht Wochen oder auf acht Monate Gefängnis erkennen will,
und dem Fall, daß ihm die Wahl gelassen wird, ob er den Schuldigen strafen
oder straflos lassen will. Die strenge oder die milde Strafe verhängt er je
uach der Gestaltung des Vergehens, insbesondre nach der Schwere der objek¬
tiven Rechtsverletzung; die bedingte Verurteilung oder Begnadigung ist von
rein subjektiven Erwägungen abhängig. Wenn der Richter heute den An¬
geklagten A bedingt begnadigt, weil er glaubt, daß der Angeklagte die ihm
zur Last gelegte Körperverletzung in hohem Affekt verübt habe, und daß schon
das über ihm hängende Damoklesschwert der bedingten Strafe ihn von einem
Niickfall abhalten werde, und wenn er morgen den wegen gleichen Ver¬
gehens angeklagten B unbedingt verurteilt, weil er bei ihm einen geringern


Die bedingte Verurteilung

nicht beeinflussen sollte»; eine schwere Widersetzung gegen die Staatsgewalt
wird nicht hinterher dadurch zu einer leichten, daß der Widerstandleistende auf
der Anklagebank heulend sein Verschulden gesteht, es muß ihn von Rechts
wegen die Strafe der schweren Widersetzung treffen, wenn auch wegen seiner
Reue etwas milder bemessen, als wenn er hartnäckig und frech leugnet; jetzt
aber ist es keineswegs unerhört, daß ein Vorsitzender dein Angeklagten ver¬
blümt oder unverblümt zu verstehen giebt, daß die Zubilligung mildernder
Umstände davon abhänge, ob er die That gestehe und zwar so gestehe, wie
es der Vorsitzende haben will, ob er also diesem sein Geschäft erleichtere oder
erschwere. Das ist eine Korruption der Rechtspflege, und wenn eine solche um
einem Punkte besteht, so liegt darin wahrlich kein Grund, sie auch an einem
zweiten Punkt zuzulassen.

Anders verhält es sich mit der freien Veweiswürdigung und der Straf-
bemessnng; zwar oarauf wollen und dürfen wir kein Gewicht legen, daß der
Richter auch hier nicht nach Willkür, sondern nach wohlerwogenen Grlludeu
entscheiden soll, denn die internationalen Philanthropen würden uns auf diesen
Einwand mit Recht antworten, auch die bedingte Verurteilung solle der Richter
tiur nach reiflicher Erwägung aller Umstände nussprecheu. Ihre Berufung
anf diese Einrichtungen trifft aus einem andern Grunde nicht zu; die freie
Beweiswürdigung und die relative Freiheit der Strafbemessuug sind notwendige
Übel, d. h. sie sind Übel eben wegen der damit verbundnen Gefahr der Willkür,
aber sie sind notwendig, weil man sie nur gegen größere Übel eintauschen
könnte; bei der formellen Beweistheorie kommen noch schlimmere Ergebnisse zu
Tage als bei der freie» BeweiSwürdignng, und für die verschiednen Stufen
eines Verbrechens auch nur annähernd die richtige Strafe anzudrohen, liegt
außerhalb der vernünftigen Möglichkeit. Die bedingte Verurteilung dagegen
ist zwar, wie wir nachgewiesen zu haben glauben, auch ein Übel und zwar
ein recht großes, aber sie ist in keiner Weise notwendig oder auch nur nützlich.
Auch ist immer noch ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Fall, daß
dem Richter die Wahl gelassen wird, ob er gegen den Angeklagten auf acht
Tage oder auf acht Wochen oder auf acht Monate Gefängnis erkennen will,
und dem Fall, daß ihm die Wahl gelassen wird, ob er den Schuldigen strafen
oder straflos lassen will. Die strenge oder die milde Strafe verhängt er je
uach der Gestaltung des Vergehens, insbesondre nach der Schwere der objek¬
tiven Rechtsverletzung; die bedingte Verurteilung oder Begnadigung ist von
rein subjektiven Erwägungen abhängig. Wenn der Richter heute den An¬
geklagten A bedingt begnadigt, weil er glaubt, daß der Angeklagte die ihm
zur Last gelegte Körperverletzung in hohem Affekt verübt habe, und daß schon
das über ihm hängende Damoklesschwert der bedingten Strafe ihn von einem
Niickfall abhalten werde, und wenn er morgen den wegen gleichen Ver¬
gehens angeklagten B unbedingt verurteilt, weil er bei ihm einen geringern


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[0411] Die bedingte Verurteilung nicht beeinflussen sollte»; eine schwere Widersetzung gegen die Staatsgewalt wird nicht hinterher dadurch zu einer leichten, daß der Widerstandleistende auf der Anklagebank heulend sein Verschulden gesteht, es muß ihn von Rechts wegen die Strafe der schweren Widersetzung treffen, wenn auch wegen seiner Reue etwas milder bemessen, als wenn er hartnäckig und frech leugnet; jetzt aber ist es keineswegs unerhört, daß ein Vorsitzender dein Angeklagten ver¬ blümt oder unverblümt zu verstehen giebt, daß die Zubilligung mildernder Umstände davon abhänge, ob er die That gestehe und zwar so gestehe, wie es der Vorsitzende haben will, ob er also diesem sein Geschäft erleichtere oder erschwere. Das ist eine Korruption der Rechtspflege, und wenn eine solche um einem Punkte besteht, so liegt darin wahrlich kein Grund, sie auch an einem zweiten Punkt zuzulassen. Anders verhält es sich mit der freien Veweiswürdigung und der Straf- bemessnng; zwar oarauf wollen und dürfen wir kein Gewicht legen, daß der Richter auch hier nicht nach Willkür, sondern nach wohlerwogenen Grlludeu entscheiden soll, denn die internationalen Philanthropen würden uns auf diesen Einwand mit Recht antworten, auch die bedingte Verurteilung solle der Richter tiur nach reiflicher Erwägung aller Umstände nussprecheu. Ihre Berufung anf diese Einrichtungen trifft aus einem andern Grunde nicht zu; die freie Beweiswürdigung und die relative Freiheit der Strafbemessuug sind notwendige Übel, d. h. sie sind Übel eben wegen der damit verbundnen Gefahr der Willkür, aber sie sind notwendig, weil man sie nur gegen größere Übel eintauschen könnte; bei der formellen Beweistheorie kommen noch schlimmere Ergebnisse zu Tage als bei der freie» BeweiSwürdignng, und für die verschiednen Stufen eines Verbrechens auch nur annähernd die richtige Strafe anzudrohen, liegt außerhalb der vernünftigen Möglichkeit. Die bedingte Verurteilung dagegen ist zwar, wie wir nachgewiesen zu haben glauben, auch ein Übel und zwar ein recht großes, aber sie ist in keiner Weise notwendig oder auch nur nützlich. Auch ist immer noch ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Fall, daß dem Richter die Wahl gelassen wird, ob er gegen den Angeklagten auf acht Tage oder auf acht Wochen oder auf acht Monate Gefängnis erkennen will, und dem Fall, daß ihm die Wahl gelassen wird, ob er den Schuldigen strafen oder straflos lassen will. Die strenge oder die milde Strafe verhängt er je uach der Gestaltung des Vergehens, insbesondre nach der Schwere der objek¬ tiven Rechtsverletzung; die bedingte Verurteilung oder Begnadigung ist von rein subjektiven Erwägungen abhängig. Wenn der Richter heute den An¬ geklagten A bedingt begnadigt, weil er glaubt, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Körperverletzung in hohem Affekt verübt habe, und daß schon das über ihm hängende Damoklesschwert der bedingten Strafe ihn von einem Niickfall abhalten werde, und wenn er morgen den wegen gleichen Ver¬ gehens angeklagten B unbedingt verurteilt, weil er bei ihm einen geringern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/411>, abgerufen am 30.06.2024.