Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Recht ringern Grade, die bis jetzt in der Gesellschaft haltbar waren, dem Gesetze Jene beiden Beispiele zeigen uns zugleich, daß wir mit unserm Stand¬ Ich will zum Schluß meine Ausführungen in wenigen kurzen Sätzen zu¬ Die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Recht ringern Grade, die bis jetzt in der Gesellschaft haltbar waren, dem Gesetze Jene beiden Beispiele zeigen uns zugleich, daß wir mit unserm Stand¬ Ich will zum Schluß meine Ausführungen in wenigen kurzen Sätzen zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206377"/> <fw type="header" place="top"> Die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Recht</fw><lb/> <p xml:id="ID_1314" prev="#ID_1313"> ringern Grade, die bis jetzt in der Gesellschaft haltbar waren, dem Gesetze<lb/> verfallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1315"> Jene beiden Beispiele zeigen uns zugleich, daß wir mit unserm Stand¬<lb/> punkte, dessen Anwendbarkeit wir dargethan zu haben glauben, auch den An¬<lb/> forderungen der Zweckmäßigkeit gerecht werden. Nach meiner irrenärztlichen<lb/> Erfahrung wäre es nicht möglich gewesen, den Schwachsinnigen, der einen<lb/> Mord begangen hatte, dauernd im Irrenhause eingesperrt zu halten. Im<lb/> Rahmen der Anstalt hätte er sich voraussichtlich gut geführt und sich so wenig<lb/> gemeingefährlich gezeigt, daß er binnen Jahresfrist entlassen worden wäre, weil<lb/> Schwachsinnige viel höhern Grades, die folglich auch viel gemeingefährlicher<lb/> sind, einen größern Anspruch auf den vorhandenen Platz gehabt hätten. Man<lb/> muß sich nur darüber klar sein, daß auch die beste Jrrenpflegc es niemals<lb/> so weit bringe« kann, daß alle Schwachsinnigen in Anstalten gehalten werden<lb/> können. Denn ein bedeutender Bruchteil der Bevölkerung müßte dann in die<lb/> Anstalten wandern. Daß der Thäter nicht in die Gesellschaft gehörte, war<lb/> augenscheinlich, es war deshalb gewiß zweckmäßig, daß er auf andre Weise<lb/> unschädlich gemacht wurde. Im zweiten Falle, wo ein Widerstand gegen die<lb/> Staatsgewalt vorlag, bot die leicht ausführbare Entmündigung das Mittel,<lb/> den Sohn wieder unter die väterliche Gewalt zu stellen. Soweit es nötig<lb/> war, war die Familie willens und in der Lage, für eine Anstaltsbehandlnng<lb/> des Verbrechers zu sorgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1316"> Ich will zum Schluß meine Ausführungen in wenigen kurzen Sätzen zu¬<lb/> sammenfassen. 1. Mit Rücksicht auf 8 51 des Deutschen Strafgesetzbuches ist<lb/> es nötig, zwischen Schwachsinn hohen Grades und niedern Grades zu unter¬<lb/> scheiden. Nur der Schwachsinn hohen Grades kann im Sinne des Z 51 von<lb/> Schuld befreien. 2. Schwachsinn hohen Grades wird jedesmal dann anzu¬<lb/> nehmen sein, wenn die gesetzliche Entmündigung nach 27 des Allgemeinen<lb/> Landrechts möglich ist. 3. Die innere Berechtigung dieser Unterscheidung be¬<lb/> ruht daraus, daß dem, der die Folgen seiner Handlungen zu überlegen außer<lb/> stände ist, damit vou selbst auch die zur Erkenntnis der Strafbarkeit einer<lb/> Handlung erforderliche Einsicht abgesprochen werden muß. Letztere aber ist<lb/> die allgemeine Vorbedingung jeder Verschuldung.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0387]
Die Zurechnungsfähigkeit nach geltendem Recht
ringern Grade, die bis jetzt in der Gesellschaft haltbar waren, dem Gesetze
verfallen.
Jene beiden Beispiele zeigen uns zugleich, daß wir mit unserm Stand¬
punkte, dessen Anwendbarkeit wir dargethan zu haben glauben, auch den An¬
forderungen der Zweckmäßigkeit gerecht werden. Nach meiner irrenärztlichen
Erfahrung wäre es nicht möglich gewesen, den Schwachsinnigen, der einen
Mord begangen hatte, dauernd im Irrenhause eingesperrt zu halten. Im
Rahmen der Anstalt hätte er sich voraussichtlich gut geführt und sich so wenig
gemeingefährlich gezeigt, daß er binnen Jahresfrist entlassen worden wäre, weil
Schwachsinnige viel höhern Grades, die folglich auch viel gemeingefährlicher
sind, einen größern Anspruch auf den vorhandenen Platz gehabt hätten. Man
muß sich nur darüber klar sein, daß auch die beste Jrrenpflegc es niemals
so weit bringe« kann, daß alle Schwachsinnigen in Anstalten gehalten werden
können. Denn ein bedeutender Bruchteil der Bevölkerung müßte dann in die
Anstalten wandern. Daß der Thäter nicht in die Gesellschaft gehörte, war
augenscheinlich, es war deshalb gewiß zweckmäßig, daß er auf andre Weise
unschädlich gemacht wurde. Im zweiten Falle, wo ein Widerstand gegen die
Staatsgewalt vorlag, bot die leicht ausführbare Entmündigung das Mittel,
den Sohn wieder unter die väterliche Gewalt zu stellen. Soweit es nötig
war, war die Familie willens und in der Lage, für eine Anstaltsbehandlnng
des Verbrechers zu sorgen.
Ich will zum Schluß meine Ausführungen in wenigen kurzen Sätzen zu¬
sammenfassen. 1. Mit Rücksicht auf 8 51 des Deutschen Strafgesetzbuches ist
es nötig, zwischen Schwachsinn hohen Grades und niedern Grades zu unter¬
scheiden. Nur der Schwachsinn hohen Grades kann im Sinne des Z 51 von
Schuld befreien. 2. Schwachsinn hohen Grades wird jedesmal dann anzu¬
nehmen sein, wenn die gesetzliche Entmündigung nach 27 des Allgemeinen
Landrechts möglich ist. 3. Die innere Berechtigung dieser Unterscheidung be¬
ruht daraus, daß dem, der die Folgen seiner Handlungen zu überlegen außer
stände ist, damit vou selbst auch die zur Erkenntnis der Strafbarkeit einer
Handlung erforderliche Einsicht abgesprochen werden muß. Letztere aber ist
die allgemeine Vorbedingung jeder Verschuldung.
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