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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Flugschriften ans Österreich

alle die Apostel des abgethanen Schmierer, Aber wie er mit Recht meint,
daß die antisemitische Bewegung nicht ohne jede sittliche Grundlage sei, so
warnt er anch davor, dem Judentum in dieser neuen Vertretung einen be¬
deutenden Einfluß zu gestatten, da "die Pflicht der Erhaltung eigner Stammes¬
art mitten unter gewaltigen arischen Volksmassen das semitische Element viel¬
fach in unvermeidliche Kollisionen mit den Bestrebungen und Interessen des
Deutschtums bringen müsse." Sind einmal diese neuen Abgeordneten gewählt,
dann, wie gesagt, Kampf bis aufs Messer, ohne Rücksicht auf deu Staat, ohne
Rücksicht auf die Religion -- Hornung giebt zu überlegen, ob nicht ein Massen¬
übergang des deutsch-böhmischen Volkes zur evangelischen oder altkatholischen
Kirche zu veranstalte" wäre! Was wird aber der Ausgang dieses Kampfes
sein? Hornung sagt es nicht, aber er giebt es zu verstehen: lieber den Zerfall
Österreichs will er, als das Österreich der "Neuen Bahnen."

Fassen wir kurz vergleichend zusammen: beide Flugschriften sehen von der
Regierung die altösterreichischen Überlieferungen aufgegeben, beide finden, daß
die deutsche Partei dieser Veränderung nicht Rechnung getragen hat. Die
eine aber meint, daß die Deutschen sich mit dem neuen System abfinden könnten,
denn es schließe mir gewisse Zugeständnisse an die Slawen ein, keineswegs
aber eine Slawisirung des Staates; die andre sieht gerade darin den Kern
und das letzte Ziel der gegenwärtigen Kronpolitik, darum kann sie nur einen
bis zum Äußersten gehenden Widerstand raten, es handle sich nur Sein oder
Nichtsein. An Widersprüchen und Übertreibungen leiden beide, die letztere aber
in viel höherm Maße. Die "Neuen Bahnen" sind das Werk eines witzigen
Kopfes, keineswegs eines Offiziösen oder Jnspirirten, anch keines Partei¬
mannes, aber eines Deutschen, der zugleich österreichischer Patriot ist; "Nen-
österreich" stammt aus dein nationalen Lager, wohl aus Nordböhmen, und
druckt wirklich die Ansicht einer nicht unbedeutenden Gruppe von Deutschen
aus. Sollen wir sagen, was unserm Gefühle nach den Bedürfnissen der Gegen¬
wart mehr entspricht und die Lage der Dinge nüchterner auffaßt, fo müssen
wir die "Neuen Bahnen" nennen. Europa ist zu sehr voll Gärung, als daß
wir Ratschlägen folgen möchten, die einen großen Staat in seiner Mitte, der
schließlich doch unser Staat, der Staat unsrer Väter, der Staat unsers ange¬
stammten Kaiserhauses ist, aufs tiefste erschüttern und sein Bestehen aufs Spiel
setzen würden. Auch Deutschland konnte einem solchen Versuch keine Teilnahme
entgegenbringen. Und es wird zuletzt doch auch an den nötigen Elemente"
fehle,;: Staatsbewußtsein, Loyalität, Religion sind doch nicht wie Kleider, die
man nach Gutdünken ablegen kann. Unmöglich können wir auch die Gefahren,
die das Deutschtum bedrohen, so furchtbar finden, wie der Verfasser von "Neu¬
österreich" es will. Zustimmen können wir ihm nur in dem, was er über die
antisemitische Bewegung und den Einfluß des Judentums auf die deutsche
Partei sagt.


Flugschriften ans Österreich

alle die Apostel des abgethanen Schmierer, Aber wie er mit Recht meint,
daß die antisemitische Bewegung nicht ohne jede sittliche Grundlage sei, so
warnt er anch davor, dem Judentum in dieser neuen Vertretung einen be¬
deutenden Einfluß zu gestatten, da „die Pflicht der Erhaltung eigner Stammes¬
art mitten unter gewaltigen arischen Volksmassen das semitische Element viel¬
fach in unvermeidliche Kollisionen mit den Bestrebungen und Interessen des
Deutschtums bringen müsse." Sind einmal diese neuen Abgeordneten gewählt,
dann, wie gesagt, Kampf bis aufs Messer, ohne Rücksicht auf deu Staat, ohne
Rücksicht auf die Religion — Hornung giebt zu überlegen, ob nicht ein Massen¬
übergang des deutsch-böhmischen Volkes zur evangelischen oder altkatholischen
Kirche zu veranstalte» wäre! Was wird aber der Ausgang dieses Kampfes
sein? Hornung sagt es nicht, aber er giebt es zu verstehen: lieber den Zerfall
Österreichs will er, als das Österreich der „Neuen Bahnen."

Fassen wir kurz vergleichend zusammen: beide Flugschriften sehen von der
Regierung die altösterreichischen Überlieferungen aufgegeben, beide finden, daß
die deutsche Partei dieser Veränderung nicht Rechnung getragen hat. Die
eine aber meint, daß die Deutschen sich mit dem neuen System abfinden könnten,
denn es schließe mir gewisse Zugeständnisse an die Slawen ein, keineswegs
aber eine Slawisirung des Staates; die andre sieht gerade darin den Kern
und das letzte Ziel der gegenwärtigen Kronpolitik, darum kann sie nur einen
bis zum Äußersten gehenden Widerstand raten, es handle sich nur Sein oder
Nichtsein. An Widersprüchen und Übertreibungen leiden beide, die letztere aber
in viel höherm Maße. Die „Neuen Bahnen" sind das Werk eines witzigen
Kopfes, keineswegs eines Offiziösen oder Jnspirirten, anch keines Partei¬
mannes, aber eines Deutschen, der zugleich österreichischer Patriot ist; „Nen-
österreich" stammt aus dein nationalen Lager, wohl aus Nordböhmen, und
druckt wirklich die Ansicht einer nicht unbedeutenden Gruppe von Deutschen
aus. Sollen wir sagen, was unserm Gefühle nach den Bedürfnissen der Gegen¬
wart mehr entspricht und die Lage der Dinge nüchterner auffaßt, fo müssen
wir die „Neuen Bahnen" nennen. Europa ist zu sehr voll Gärung, als daß
wir Ratschlägen folgen möchten, die einen großen Staat in seiner Mitte, der
schließlich doch unser Staat, der Staat unsrer Väter, der Staat unsers ange¬
stammten Kaiserhauses ist, aufs tiefste erschüttern und sein Bestehen aufs Spiel
setzen würden. Auch Deutschland konnte einem solchen Versuch keine Teilnahme
entgegenbringen. Und es wird zuletzt doch auch an den nötigen Elemente»
fehle,;: Staatsbewußtsein, Loyalität, Religion sind doch nicht wie Kleider, die
man nach Gutdünken ablegen kann. Unmöglich können wir auch die Gefahren,
die das Deutschtum bedrohen, so furchtbar finden, wie der Verfasser von „Neu¬
österreich" es will. Zustimmen können wir ihm nur in dem, was er über die
antisemitische Bewegung und den Einfluß des Judentums auf die deutsche
Partei sagt.


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[0368] Flugschriften ans Österreich alle die Apostel des abgethanen Schmierer, Aber wie er mit Recht meint, daß die antisemitische Bewegung nicht ohne jede sittliche Grundlage sei, so warnt er anch davor, dem Judentum in dieser neuen Vertretung einen be¬ deutenden Einfluß zu gestatten, da „die Pflicht der Erhaltung eigner Stammes¬ art mitten unter gewaltigen arischen Volksmassen das semitische Element viel¬ fach in unvermeidliche Kollisionen mit den Bestrebungen und Interessen des Deutschtums bringen müsse." Sind einmal diese neuen Abgeordneten gewählt, dann, wie gesagt, Kampf bis aufs Messer, ohne Rücksicht auf deu Staat, ohne Rücksicht auf die Religion — Hornung giebt zu überlegen, ob nicht ein Massen¬ übergang des deutsch-böhmischen Volkes zur evangelischen oder altkatholischen Kirche zu veranstalte» wäre! Was wird aber der Ausgang dieses Kampfes sein? Hornung sagt es nicht, aber er giebt es zu verstehen: lieber den Zerfall Österreichs will er, als das Österreich der „Neuen Bahnen." Fassen wir kurz vergleichend zusammen: beide Flugschriften sehen von der Regierung die altösterreichischen Überlieferungen aufgegeben, beide finden, daß die deutsche Partei dieser Veränderung nicht Rechnung getragen hat. Die eine aber meint, daß die Deutschen sich mit dem neuen System abfinden könnten, denn es schließe mir gewisse Zugeständnisse an die Slawen ein, keineswegs aber eine Slawisirung des Staates; die andre sieht gerade darin den Kern und das letzte Ziel der gegenwärtigen Kronpolitik, darum kann sie nur einen bis zum Äußersten gehenden Widerstand raten, es handle sich nur Sein oder Nichtsein. An Widersprüchen und Übertreibungen leiden beide, die letztere aber in viel höherm Maße. Die „Neuen Bahnen" sind das Werk eines witzigen Kopfes, keineswegs eines Offiziösen oder Jnspirirten, anch keines Partei¬ mannes, aber eines Deutschen, der zugleich österreichischer Patriot ist; „Nen- österreich" stammt aus dein nationalen Lager, wohl aus Nordböhmen, und druckt wirklich die Ansicht einer nicht unbedeutenden Gruppe von Deutschen aus. Sollen wir sagen, was unserm Gefühle nach den Bedürfnissen der Gegen¬ wart mehr entspricht und die Lage der Dinge nüchterner auffaßt, fo müssen wir die „Neuen Bahnen" nennen. Europa ist zu sehr voll Gärung, als daß wir Ratschlägen folgen möchten, die einen großen Staat in seiner Mitte, der schließlich doch unser Staat, der Staat unsrer Väter, der Staat unsers ange¬ stammten Kaiserhauses ist, aufs tiefste erschüttern und sein Bestehen aufs Spiel setzen würden. Auch Deutschland konnte einem solchen Versuch keine Teilnahme entgegenbringen. Und es wird zuletzt doch auch an den nötigen Elemente» fehle,;: Staatsbewußtsein, Loyalität, Religion sind doch nicht wie Kleider, die man nach Gutdünken ablegen kann. Unmöglich können wir auch die Gefahren, die das Deutschtum bedrohen, so furchtbar finden, wie der Verfasser von „Neu¬ österreich" es will. Zustimmen können wir ihm nur in dem, was er über die antisemitische Bewegung und den Einfluß des Judentums auf die deutsche Partei sagt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/368>, abgerufen am 02.07.2024.