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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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England und Frankreich am Nil

zum Vorteile der Ägypter, zur Sicherstellung seines Verbindungsweges nach
Indien und mit der Zustimmung Europas. Die Franzosen haben mehrmals
an das Versprechen der britischen Regierung erinnert, Ägypten zu geeigneter
Zeit zu räumen, die Pforte teilt diesen Wunsch, und das theoretische Recht
steht allerdings hinter beiden und läßt sich mit der Versicherung, Englands
Verwaltung habe dem Lande zum Segen gereicht, nicht ohne weiteres abweisen.
Aber nicht die Theorie giebt in der Politik den Ausschlag, sondern die Praxis,
nur der Satz Lsiiti posLnImiws hat hier Bedeutung. England hat schon Wege"
des Suezknnals das höchste Interesse, die Erfüllung seiner Zusage möglichst
lange hinauszuschieben, und es wird die Frage der "Thunlichkeit," über die
es in erster Reihe zu entscheiden berufen ist, noch lange verneinen können, weil
die Ruhe und Sicherheit Ägyptens voraussichtlich noch lange vom obern Nil
her gefährdet sein wird. Es hat am untern Nil festen Fuß gefaßt und wird
sicherlich nicht eher abziehen, als bis ein Stärkerer es dazu nötigt; der Drei¬
bund aber hat nicht das geringste Interesse, Frankreich zu diesem Stärkern
werden zu sehen. Frankreich wird sich daher weiter gedulden müssen. Es hat
früher als Fürsprecher in Rechtsfragen, die eigentlich Fragen seines eignen
Ansehens und Bedürfnisses waren, eine Rolle gespielt. Aber diese Rolle ist
bis auf weiteres vorüber, die Zeiten haben sich geändert, lind auch anderwärts
als in Ägypten werden die Dinge ohne den leitenden Beistand Frankreichs
fortgeführt und entschieden. Wenn es unvermeidlich war, daß es einen wesent¬
lichen Teil seiner Aufmerksamkeit den ägyptischen Angelegenheiten zuwendete,
so ist es doch arg, daß die Franzosen klagen und schelten, weil England seine
Stellung am Nil noch nicht zu räumen Miene macht, wo doch sie selber das Haupt¬
hindernis für die Herstellung von Verhältnissen bilden, die die Räumung recht¬
fertigen und erlauben könnten. Sie sollten doch nicht so verblendet sein, sich
dem Wahne zu überlassen, die übrige Welt könne die klare Thatsache über¬
sehen, daß sie nicht sowohl das Recht der Pforte, nicht die Unabhängigkeit
Ägyptens unter deren Oberherrlichkeit wollen, als vielmehr ihren ausschlie߬
lichen Einfluß, ihre Obmacht dort an Stelle der britischen zur Geltung zu
bringen beabsichtigen. Ohne Zweifel ist man in den neusten auswärtigen
Ämtern Europas überzeugt, daß, wenn Ägypten in französische Hände geriete,
es weniger vorteilhaft für andre Mächte und weit unbequemer und lästiger
werden würde, als es jetzt sich erweist. Während sich der deutsche Einfluß
am Hofe des Sultans mehr und mehr geltend macht und der Dreibund sich
dadurch stärkt, unterliegt es sehr ernsthaften Bedenken, ob nicht eine energischere
Einmischung Frankreichs in Ägypten schleunig zu sehr unerwünschten Ver¬
wicklungen führen und den Frieden stören würde, dessen Erhaltung der Bund
vor allem bezweckt. Schließlich sind die Franzosen am Nil gegen früher doch
eigentlich gar nicht übel daran und könnten sich, wenn sie es nur glauben
wollten, Glück wünschen, daß ihre materiellen Interessen in Ägypten, z. B. die


England und Frankreich am Nil

zum Vorteile der Ägypter, zur Sicherstellung seines Verbindungsweges nach
Indien und mit der Zustimmung Europas. Die Franzosen haben mehrmals
an das Versprechen der britischen Regierung erinnert, Ägypten zu geeigneter
Zeit zu räumen, die Pforte teilt diesen Wunsch, und das theoretische Recht
steht allerdings hinter beiden und läßt sich mit der Versicherung, Englands
Verwaltung habe dem Lande zum Segen gereicht, nicht ohne weiteres abweisen.
Aber nicht die Theorie giebt in der Politik den Ausschlag, sondern die Praxis,
nur der Satz Lsiiti posLnImiws hat hier Bedeutung. England hat schon Wege»
des Suezknnals das höchste Interesse, die Erfüllung seiner Zusage möglichst
lange hinauszuschieben, und es wird die Frage der „Thunlichkeit," über die
es in erster Reihe zu entscheiden berufen ist, noch lange verneinen können, weil
die Ruhe und Sicherheit Ägyptens voraussichtlich noch lange vom obern Nil
her gefährdet sein wird. Es hat am untern Nil festen Fuß gefaßt und wird
sicherlich nicht eher abziehen, als bis ein Stärkerer es dazu nötigt; der Drei¬
bund aber hat nicht das geringste Interesse, Frankreich zu diesem Stärkern
werden zu sehen. Frankreich wird sich daher weiter gedulden müssen. Es hat
früher als Fürsprecher in Rechtsfragen, die eigentlich Fragen seines eignen
Ansehens und Bedürfnisses waren, eine Rolle gespielt. Aber diese Rolle ist
bis auf weiteres vorüber, die Zeiten haben sich geändert, lind auch anderwärts
als in Ägypten werden die Dinge ohne den leitenden Beistand Frankreichs
fortgeführt und entschieden. Wenn es unvermeidlich war, daß es einen wesent¬
lichen Teil seiner Aufmerksamkeit den ägyptischen Angelegenheiten zuwendete,
so ist es doch arg, daß die Franzosen klagen und schelten, weil England seine
Stellung am Nil noch nicht zu räumen Miene macht, wo doch sie selber das Haupt¬
hindernis für die Herstellung von Verhältnissen bilden, die die Räumung recht¬
fertigen und erlauben könnten. Sie sollten doch nicht so verblendet sein, sich
dem Wahne zu überlassen, die übrige Welt könne die klare Thatsache über¬
sehen, daß sie nicht sowohl das Recht der Pforte, nicht die Unabhängigkeit
Ägyptens unter deren Oberherrlichkeit wollen, als vielmehr ihren ausschlie߬
lichen Einfluß, ihre Obmacht dort an Stelle der britischen zur Geltung zu
bringen beabsichtigen. Ohne Zweifel ist man in den neusten auswärtigen
Ämtern Europas überzeugt, daß, wenn Ägypten in französische Hände geriete,
es weniger vorteilhaft für andre Mächte und weit unbequemer und lästiger
werden würde, als es jetzt sich erweist. Während sich der deutsche Einfluß
am Hofe des Sultans mehr und mehr geltend macht und der Dreibund sich
dadurch stärkt, unterliegt es sehr ernsthaften Bedenken, ob nicht eine energischere
Einmischung Frankreichs in Ägypten schleunig zu sehr unerwünschten Ver¬
wicklungen führen und den Frieden stören würde, dessen Erhaltung der Bund
vor allem bezweckt. Schließlich sind die Franzosen am Nil gegen früher doch
eigentlich gar nicht übel daran und könnten sich, wenn sie es nur glauben
wollten, Glück wünschen, daß ihre materiellen Interessen in Ägypten, z. B. die


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[0359] England und Frankreich am Nil zum Vorteile der Ägypter, zur Sicherstellung seines Verbindungsweges nach Indien und mit der Zustimmung Europas. Die Franzosen haben mehrmals an das Versprechen der britischen Regierung erinnert, Ägypten zu geeigneter Zeit zu räumen, die Pforte teilt diesen Wunsch, und das theoretische Recht steht allerdings hinter beiden und läßt sich mit der Versicherung, Englands Verwaltung habe dem Lande zum Segen gereicht, nicht ohne weiteres abweisen. Aber nicht die Theorie giebt in der Politik den Ausschlag, sondern die Praxis, nur der Satz Lsiiti posLnImiws hat hier Bedeutung. England hat schon Wege» des Suezknnals das höchste Interesse, die Erfüllung seiner Zusage möglichst lange hinauszuschieben, und es wird die Frage der „Thunlichkeit," über die es in erster Reihe zu entscheiden berufen ist, noch lange verneinen können, weil die Ruhe und Sicherheit Ägyptens voraussichtlich noch lange vom obern Nil her gefährdet sein wird. Es hat am untern Nil festen Fuß gefaßt und wird sicherlich nicht eher abziehen, als bis ein Stärkerer es dazu nötigt; der Drei¬ bund aber hat nicht das geringste Interesse, Frankreich zu diesem Stärkern werden zu sehen. Frankreich wird sich daher weiter gedulden müssen. Es hat früher als Fürsprecher in Rechtsfragen, die eigentlich Fragen seines eignen Ansehens und Bedürfnisses waren, eine Rolle gespielt. Aber diese Rolle ist bis auf weiteres vorüber, die Zeiten haben sich geändert, lind auch anderwärts als in Ägypten werden die Dinge ohne den leitenden Beistand Frankreichs fortgeführt und entschieden. Wenn es unvermeidlich war, daß es einen wesent¬ lichen Teil seiner Aufmerksamkeit den ägyptischen Angelegenheiten zuwendete, so ist es doch arg, daß die Franzosen klagen und schelten, weil England seine Stellung am Nil noch nicht zu räumen Miene macht, wo doch sie selber das Haupt¬ hindernis für die Herstellung von Verhältnissen bilden, die die Räumung recht¬ fertigen und erlauben könnten. Sie sollten doch nicht so verblendet sein, sich dem Wahne zu überlassen, die übrige Welt könne die klare Thatsache über¬ sehen, daß sie nicht sowohl das Recht der Pforte, nicht die Unabhängigkeit Ägyptens unter deren Oberherrlichkeit wollen, als vielmehr ihren ausschlie߬ lichen Einfluß, ihre Obmacht dort an Stelle der britischen zur Geltung zu bringen beabsichtigen. Ohne Zweifel ist man in den neusten auswärtigen Ämtern Europas überzeugt, daß, wenn Ägypten in französische Hände geriete, es weniger vorteilhaft für andre Mächte und weit unbequemer und lästiger werden würde, als es jetzt sich erweist. Während sich der deutsche Einfluß am Hofe des Sultans mehr und mehr geltend macht und der Dreibund sich dadurch stärkt, unterliegt es sehr ernsthaften Bedenken, ob nicht eine energischere Einmischung Frankreichs in Ägypten schleunig zu sehr unerwünschten Ver¬ wicklungen führen und den Frieden stören würde, dessen Erhaltung der Bund vor allem bezweckt. Schließlich sind die Franzosen am Nil gegen früher doch eigentlich gar nicht übel daran und könnten sich, wenn sie es nur glauben wollten, Glück wünschen, daß ihre materiellen Interessen in Ägypten, z. B. die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/359>, abgerufen am 22.12.2024.