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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Immermanns Theaterleitung

kann ich wieder zu Hause sitzen und lese"; das Orntorün" wird mir immer
mehr zu Dank; ein paar neue Lieder habe ich auch gemacht; im Singverein
geht es hübsch, wir führen bald die Jahreszeiten mit ganzem Orchester auf;
nächstens will ich sechs Präludien und Fugen ^ herausgeben, wovon du erst
zwei kennst; das ist so ein Leben, wie ich es führen kann, aber das Jnten-
dantenleben nicht."

Diesen für die Beurteilung Mendelssohns im vorliegenden Falle sehr
wichtigen Brief haben nur mit Absicht angeführt, denn aus ihm wird klar,
daß sich der große Komponist in berechtigter Notwehr von der Mitarbeiter¬
schaft am Jmmermannschen Theater lossagte, obgleich er sich der Gesellschaft
gegenüber mit seinem Versprechen gebunden hatte. Das Versprechen war eben
voreilig, unvorsichtig, und man kann dem jungen Komponisten wegen des Ab-
falles keine schwere Anklage ans den Hals laden, denn Mendelssohn konnte
nicht alles so klar voraussehen, er mußte seine, vom Dichter so gänzlich ver-
schiedne Natur und deren Untauglichkeit zum Direktionsberuf praktisch erproben,
an sich selbst erleben, um einzusehen, daß hier sein ganzer und einziger Lebens¬
beruf, gute Musik zu schassen, gefährdet war. Jedenfalls war es wichtiger,
daß sich Mendelssohn seiner Kunst widmen konnte, als daß er länger beim
Theater geblieben wäre, wo er in unangenehmen Geschäften Laune und Arbeits¬
lust vielleicht sür Jahre hinaus verloren hätte. In diesem Sinne muß der
gerechte Geschichtschreiber den Streit zwischen beiden Männern auffassen; so
hat es auch Putlitz gethan. Fellner aber, der überhaupt starke Worte liebt,
findet Mendelssohns Betragen "uuqualifizirbar" und schließt seine Darstellung
des Konflikts mit Worten, die Immermann in sehr verdrossener Laune ans-
sprnch: "Mendelssohn hat sich wie ein Schuft gegen mich benommen." Das
geht doch über die Grenze der Gerechtigkeit hinaus. Fellner ist voller Ge¬
hässigkeit gegen Mendelssohn, wohl deswegen, weil er sich zu Richard Wagner
bekennt. Er hat aber übersehen, daß er die Menschen mit verschiedenen Maßen
mißt. Mendelssohn macht er den Prozeß, weil er sein Versprechen gebrochen
hat; Immermann aber, der ein noch weit zwingenderes Versprechen gegeben
hatte, sucht Fellner so gut eS geht, zu rechtfertigen. Er teilt nämlich indis¬
kret mit: "Die Gräfin Ahlefeldt hatte vor der Übersiedlung jvon Münsters
nach Düsseldorf dem Dichter das Wort abverlangt, sich niemals anderweitig
zu vermählen. Es wurde ihm vielfach zum Vorwurf gemacht, daß er das
gebrochen habe. Nach seinen Selbstbekenntnissen erscheint er jedoch als völlig
gerechtfertigt. Ein Ehrenwort, welches auf ebenso unsittlicher wie unsinniger
Grundlage beruht, kaun keinem Vernünftigen bindend erscheinen." Die
Logik des letzten Satzes, die einem Jesuiten Ehre machen würde, wollen wir
weiter nicht kritisiren, wir wollen uns mit der Thatsache begnügen, daß



*) Briefe von Felix Mendelssohn-Bartyoldy. Leipzig 1870, Seite 312--314.
Immermanns Theaterleitung

kann ich wieder zu Hause sitzen und lese»; das Orntorün» wird mir immer
mehr zu Dank; ein paar neue Lieder habe ich auch gemacht; im Singverein
geht es hübsch, wir führen bald die Jahreszeiten mit ganzem Orchester auf;
nächstens will ich sechs Präludien und Fugen ^ herausgeben, wovon du erst
zwei kennst; das ist so ein Leben, wie ich es führen kann, aber das Jnten-
dantenleben nicht."

Diesen für die Beurteilung Mendelssohns im vorliegenden Falle sehr
wichtigen Brief haben nur mit Absicht angeführt, denn aus ihm wird klar,
daß sich der große Komponist in berechtigter Notwehr von der Mitarbeiter¬
schaft am Jmmermannschen Theater lossagte, obgleich er sich der Gesellschaft
gegenüber mit seinem Versprechen gebunden hatte. Das Versprechen war eben
voreilig, unvorsichtig, und man kann dem jungen Komponisten wegen des Ab-
falles keine schwere Anklage ans den Hals laden, denn Mendelssohn konnte
nicht alles so klar voraussehen, er mußte seine, vom Dichter so gänzlich ver-
schiedne Natur und deren Untauglichkeit zum Direktionsberuf praktisch erproben,
an sich selbst erleben, um einzusehen, daß hier sein ganzer und einziger Lebens¬
beruf, gute Musik zu schassen, gefährdet war. Jedenfalls war es wichtiger,
daß sich Mendelssohn seiner Kunst widmen konnte, als daß er länger beim
Theater geblieben wäre, wo er in unangenehmen Geschäften Laune und Arbeits¬
lust vielleicht sür Jahre hinaus verloren hätte. In diesem Sinne muß der
gerechte Geschichtschreiber den Streit zwischen beiden Männern auffassen; so
hat es auch Putlitz gethan. Fellner aber, der überhaupt starke Worte liebt,
findet Mendelssohns Betragen „uuqualifizirbar" und schließt seine Darstellung
des Konflikts mit Worten, die Immermann in sehr verdrossener Laune ans-
sprnch: „Mendelssohn hat sich wie ein Schuft gegen mich benommen." Das
geht doch über die Grenze der Gerechtigkeit hinaus. Fellner ist voller Ge¬
hässigkeit gegen Mendelssohn, wohl deswegen, weil er sich zu Richard Wagner
bekennt. Er hat aber übersehen, daß er die Menschen mit verschiedenen Maßen
mißt. Mendelssohn macht er den Prozeß, weil er sein Versprechen gebrochen
hat; Immermann aber, der ein noch weit zwingenderes Versprechen gegeben
hatte, sucht Fellner so gut eS geht, zu rechtfertigen. Er teilt nämlich indis¬
kret mit: „Die Gräfin Ahlefeldt hatte vor der Übersiedlung jvon Münsters
nach Düsseldorf dem Dichter das Wort abverlangt, sich niemals anderweitig
zu vermählen. Es wurde ihm vielfach zum Vorwurf gemacht, daß er das
gebrochen habe. Nach seinen Selbstbekenntnissen erscheint er jedoch als völlig
gerechtfertigt. Ein Ehrenwort, welches auf ebenso unsittlicher wie unsinniger
Grundlage beruht, kaun keinem Vernünftigen bindend erscheinen." Die
Logik des letzten Satzes, die einem Jesuiten Ehre machen würde, wollen wir
weiter nicht kritisiren, wir wollen uns mit der Thatsache begnügen, daß



*) Briefe von Felix Mendelssohn-Bartyoldy. Leipzig 1870, Seite 312—314.
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[0335] Immermanns Theaterleitung kann ich wieder zu Hause sitzen und lese»; das Orntorün» wird mir immer mehr zu Dank; ein paar neue Lieder habe ich auch gemacht; im Singverein geht es hübsch, wir führen bald die Jahreszeiten mit ganzem Orchester auf; nächstens will ich sechs Präludien und Fugen ^ herausgeben, wovon du erst zwei kennst; das ist so ein Leben, wie ich es führen kann, aber das Jnten- dantenleben nicht." Diesen für die Beurteilung Mendelssohns im vorliegenden Falle sehr wichtigen Brief haben nur mit Absicht angeführt, denn aus ihm wird klar, daß sich der große Komponist in berechtigter Notwehr von der Mitarbeiter¬ schaft am Jmmermannschen Theater lossagte, obgleich er sich der Gesellschaft gegenüber mit seinem Versprechen gebunden hatte. Das Versprechen war eben voreilig, unvorsichtig, und man kann dem jungen Komponisten wegen des Ab- falles keine schwere Anklage ans den Hals laden, denn Mendelssohn konnte nicht alles so klar voraussehen, er mußte seine, vom Dichter so gänzlich ver- schiedne Natur und deren Untauglichkeit zum Direktionsberuf praktisch erproben, an sich selbst erleben, um einzusehen, daß hier sein ganzer und einziger Lebens¬ beruf, gute Musik zu schassen, gefährdet war. Jedenfalls war es wichtiger, daß sich Mendelssohn seiner Kunst widmen konnte, als daß er länger beim Theater geblieben wäre, wo er in unangenehmen Geschäften Laune und Arbeits¬ lust vielleicht sür Jahre hinaus verloren hätte. In diesem Sinne muß der gerechte Geschichtschreiber den Streit zwischen beiden Männern auffassen; so hat es auch Putlitz gethan. Fellner aber, der überhaupt starke Worte liebt, findet Mendelssohns Betragen „uuqualifizirbar" und schließt seine Darstellung des Konflikts mit Worten, die Immermann in sehr verdrossener Laune ans- sprnch: „Mendelssohn hat sich wie ein Schuft gegen mich benommen." Das geht doch über die Grenze der Gerechtigkeit hinaus. Fellner ist voller Ge¬ hässigkeit gegen Mendelssohn, wohl deswegen, weil er sich zu Richard Wagner bekennt. Er hat aber übersehen, daß er die Menschen mit verschiedenen Maßen mißt. Mendelssohn macht er den Prozeß, weil er sein Versprechen gebrochen hat; Immermann aber, der ein noch weit zwingenderes Versprechen gegeben hatte, sucht Fellner so gut eS geht, zu rechtfertigen. Er teilt nämlich indis¬ kret mit: „Die Gräfin Ahlefeldt hatte vor der Übersiedlung jvon Münsters nach Düsseldorf dem Dichter das Wort abverlangt, sich niemals anderweitig zu vermählen. Es wurde ihm vielfach zum Vorwurf gemacht, daß er das gebrochen habe. Nach seinen Selbstbekenntnissen erscheint er jedoch als völlig gerechtfertigt. Ein Ehrenwort, welches auf ebenso unsittlicher wie unsinniger Grundlage beruht, kaun keinem Vernünftigen bindend erscheinen." Die Logik des letzten Satzes, die einem Jesuiten Ehre machen würde, wollen wir weiter nicht kritisiren, wir wollen uns mit der Thatsache begnügen, daß *) Briefe von Felix Mendelssohn-Bartyoldy. Leipzig 1870, Seite 312—314.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/335>, abgerufen am 22.12.2024.