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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Immermaims Tbeaterleitnng

den Verfall der Schauspielkunst zu klagen, sondern was mehr als alles das
wiegt: er stand über dem Publikum, er stellte sich zur Aufgabe, dieses wetter¬
wendische Volk zum Genuß hoher Kunst zu erziehen, er war nicht gewillt, mit
dein Strome zu schwimmen, es sollte nicht bloß für die Füllung der Kassen
um jeden Preis gespielt werden, und sein Theater war doch von der Teilnahme
dieses seines nun einmal nicht anders gebildeten Publikums abhängig, um
bestehen zu können. Wie sich nun Immermann zum Publikum stellte, wie er
zwischen den beiden Forderungen des Ideals und der Wirklichkeit sich während
der fünf Jahre seiner Theaterleitung mit täglich wechselnden Stimmungen,
bald fluchend, bald fröhlich und zufrieden hindurcharbeitet, das ist Wohl das
merkwürdigste Schauspiel in der ganzen Geschichte derselben. Denn diese Auf¬
gabe wurde ihm schwerer als irgend einem spätern berühmt gewordenen Bühnen¬
leiter gemacht. Zwar lebte in Düsseldorf eine begeisterungsfähige Künstler¬
jugend, doch sie konnte nicht die täglichen Gäste für ein Theater liefern. Die
Stadt selbst war aber zu klein, um ein ausreichendes Stammpublikum empfäng¬
licher und urteilsfähiger Menschen zu stellen. So war denn Immermann fort
und fort gezwungen, mit dem herrschenden Geschmack für AnsstattnngSwerke,
für triviale, hausbackene Lustspiele, für Opern, die ihm gründlich gleichgiltig
waren, zu palliren. Er mußte die Presse zu Hilfe nehmen, um durch gute
Rezensionen der Vorstellungen, durch die den geplanten Neuaufführungen voraus¬
geschickten litterarischen Abhandlungen über klassische Werke die Aufmerksamkeit
und Achtung von vornherein zu bestimmen; ja sogar Rezensionen seiner Vor-
stellungen selbst zu schreibe" nahm er keinen Anstand, und Freund Grnbbe,
der nach Mendelssohns Abgang als Bettelmann von Detmold nach Düsseldorf
herübergekommen war, stellte sich voller Begeisterung als Kritiker in Immer-
manns Dienst. Alle diese Handlungen waren ebenso loyal als gerechtfertigt;
es hats mancher Theaterleiter nachher ebenso gemacht, und alle Staatsmänner
machen es jetzt gerade so. Nicht absichtslos erinnern wir an die stantsmännische
Thätigkeit, denn in der That liefert die Arbeit eines Theaterdirektors das
Abbild einer solchen im kleinen. Als Immermann 1832 endlich das auf eine
Aktiengesellschaft gegründete Stadttheater in selbständige Leitung übernahm,
offenbarte sich, wieviel Arbeitskraft und wieviel tüchtiger politischer Sinn in
diesem deutschen Dichter steckte. Von seinem Amt am Landesgericht nahm er
auf ein Jahr Urlaub, um sich nun Tag und Nacht den Theatergeschäften zu
widmen. Von da ab schien es, als ob er sich vervielfältigt hätte. Er selbst
prüfte und mietete die Schauspieler und Schauspielerinnen, er entwarf die
Theaterordnung, die Programme, die für das Publikum bestimmten Aufsätze.
Er selbst studirte den Schauspielern in vielfachen Lese-, sprech-, Zimmer-,
Theater-, Kostüm- und Dekorationsproben die aufzuführenden Stücke ein, und
die Arbeit dabei war um so größer, als Immermann von Grund aus das
künstlerische Spiel vorbereiten mußte. Er mußte seine Schauspieler erst zum


Immermaims Tbeaterleitnng

den Verfall der Schauspielkunst zu klagen, sondern was mehr als alles das
wiegt: er stand über dem Publikum, er stellte sich zur Aufgabe, dieses wetter¬
wendische Volk zum Genuß hoher Kunst zu erziehen, er war nicht gewillt, mit
dein Strome zu schwimmen, es sollte nicht bloß für die Füllung der Kassen
um jeden Preis gespielt werden, und sein Theater war doch von der Teilnahme
dieses seines nun einmal nicht anders gebildeten Publikums abhängig, um
bestehen zu können. Wie sich nun Immermann zum Publikum stellte, wie er
zwischen den beiden Forderungen des Ideals und der Wirklichkeit sich während
der fünf Jahre seiner Theaterleitung mit täglich wechselnden Stimmungen,
bald fluchend, bald fröhlich und zufrieden hindurcharbeitet, das ist Wohl das
merkwürdigste Schauspiel in der ganzen Geschichte derselben. Denn diese Auf¬
gabe wurde ihm schwerer als irgend einem spätern berühmt gewordenen Bühnen¬
leiter gemacht. Zwar lebte in Düsseldorf eine begeisterungsfähige Künstler¬
jugend, doch sie konnte nicht die täglichen Gäste für ein Theater liefern. Die
Stadt selbst war aber zu klein, um ein ausreichendes Stammpublikum empfäng¬
licher und urteilsfähiger Menschen zu stellen. So war denn Immermann fort
und fort gezwungen, mit dem herrschenden Geschmack für AnsstattnngSwerke,
für triviale, hausbackene Lustspiele, für Opern, die ihm gründlich gleichgiltig
waren, zu palliren. Er mußte die Presse zu Hilfe nehmen, um durch gute
Rezensionen der Vorstellungen, durch die den geplanten Neuaufführungen voraus¬
geschickten litterarischen Abhandlungen über klassische Werke die Aufmerksamkeit
und Achtung von vornherein zu bestimmen; ja sogar Rezensionen seiner Vor-
stellungen selbst zu schreibe» nahm er keinen Anstand, und Freund Grnbbe,
der nach Mendelssohns Abgang als Bettelmann von Detmold nach Düsseldorf
herübergekommen war, stellte sich voller Begeisterung als Kritiker in Immer-
manns Dienst. Alle diese Handlungen waren ebenso loyal als gerechtfertigt;
es hats mancher Theaterleiter nachher ebenso gemacht, und alle Staatsmänner
machen es jetzt gerade so. Nicht absichtslos erinnern wir an die stantsmännische
Thätigkeit, denn in der That liefert die Arbeit eines Theaterdirektors das
Abbild einer solchen im kleinen. Als Immermann 1832 endlich das auf eine
Aktiengesellschaft gegründete Stadttheater in selbständige Leitung übernahm,
offenbarte sich, wieviel Arbeitskraft und wieviel tüchtiger politischer Sinn in
diesem deutschen Dichter steckte. Von seinem Amt am Landesgericht nahm er
auf ein Jahr Urlaub, um sich nun Tag und Nacht den Theatergeschäften zu
widmen. Von da ab schien es, als ob er sich vervielfältigt hätte. Er selbst
prüfte und mietete die Schauspieler und Schauspielerinnen, er entwarf die
Theaterordnung, die Programme, die für das Publikum bestimmten Aufsätze.
Er selbst studirte den Schauspielern in vielfachen Lese-, sprech-, Zimmer-,
Theater-, Kostüm- und Dekorationsproben die aufzuführenden Stücke ein, und
die Arbeit dabei war um so größer, als Immermann von Grund aus das
künstlerische Spiel vorbereiten mußte. Er mußte seine Schauspieler erst zum


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[0331] Immermaims Tbeaterleitnng den Verfall der Schauspielkunst zu klagen, sondern was mehr als alles das wiegt: er stand über dem Publikum, er stellte sich zur Aufgabe, dieses wetter¬ wendische Volk zum Genuß hoher Kunst zu erziehen, er war nicht gewillt, mit dein Strome zu schwimmen, es sollte nicht bloß für die Füllung der Kassen um jeden Preis gespielt werden, und sein Theater war doch von der Teilnahme dieses seines nun einmal nicht anders gebildeten Publikums abhängig, um bestehen zu können. Wie sich nun Immermann zum Publikum stellte, wie er zwischen den beiden Forderungen des Ideals und der Wirklichkeit sich während der fünf Jahre seiner Theaterleitung mit täglich wechselnden Stimmungen, bald fluchend, bald fröhlich und zufrieden hindurcharbeitet, das ist Wohl das merkwürdigste Schauspiel in der ganzen Geschichte derselben. Denn diese Auf¬ gabe wurde ihm schwerer als irgend einem spätern berühmt gewordenen Bühnen¬ leiter gemacht. Zwar lebte in Düsseldorf eine begeisterungsfähige Künstler¬ jugend, doch sie konnte nicht die täglichen Gäste für ein Theater liefern. Die Stadt selbst war aber zu klein, um ein ausreichendes Stammpublikum empfäng¬ licher und urteilsfähiger Menschen zu stellen. So war denn Immermann fort und fort gezwungen, mit dem herrschenden Geschmack für AnsstattnngSwerke, für triviale, hausbackene Lustspiele, für Opern, die ihm gründlich gleichgiltig waren, zu palliren. Er mußte die Presse zu Hilfe nehmen, um durch gute Rezensionen der Vorstellungen, durch die den geplanten Neuaufführungen voraus¬ geschickten litterarischen Abhandlungen über klassische Werke die Aufmerksamkeit und Achtung von vornherein zu bestimmen; ja sogar Rezensionen seiner Vor- stellungen selbst zu schreibe» nahm er keinen Anstand, und Freund Grnbbe, der nach Mendelssohns Abgang als Bettelmann von Detmold nach Düsseldorf herübergekommen war, stellte sich voller Begeisterung als Kritiker in Immer- manns Dienst. Alle diese Handlungen waren ebenso loyal als gerechtfertigt; es hats mancher Theaterleiter nachher ebenso gemacht, und alle Staatsmänner machen es jetzt gerade so. Nicht absichtslos erinnern wir an die stantsmännische Thätigkeit, denn in der That liefert die Arbeit eines Theaterdirektors das Abbild einer solchen im kleinen. Als Immermann 1832 endlich das auf eine Aktiengesellschaft gegründete Stadttheater in selbständige Leitung übernahm, offenbarte sich, wieviel Arbeitskraft und wieviel tüchtiger politischer Sinn in diesem deutschen Dichter steckte. Von seinem Amt am Landesgericht nahm er auf ein Jahr Urlaub, um sich nun Tag und Nacht den Theatergeschäften zu widmen. Von da ab schien es, als ob er sich vervielfältigt hätte. Er selbst prüfte und mietete die Schauspieler und Schauspielerinnen, er entwarf die Theaterordnung, die Programme, die für das Publikum bestimmten Aufsätze. Er selbst studirte den Schauspielern in vielfachen Lese-, sprech-, Zimmer-, Theater-, Kostüm- und Dekorationsproben die aufzuführenden Stücke ein, und die Arbeit dabei war um so größer, als Immermann von Grund aus das künstlerische Spiel vorbereiten mußte. Er mußte seine Schauspieler erst zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/331>, abgerufen am 02.07.2024.