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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Kronprinz friedlich Milhelin

Vorliebe trüben Gedanken und pessimistischen Stimmungen hin, er trug sich
zuweilen mit der Idee, im Fall eines Thronwechsels dem Throne zu entsagen
und dem Sohne die Regierung zu überlassein Sogar die Zureden der Kron¬
prinzessin vermochten diesen Trübsinn nicht auf die Dauer zu bannen. Er
kümmerte sich noch in seiner Weise um Staatsangelegenheiten, er sah zuweilen
zu vertraulichem Gespräche Mitglieder der freisinnigen Partei und sprach dann
wohl seine Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Negierung ans, aber die
Zunahme der Ermattung in feinem Wesen wurde solchen, die ihn in seiner
Jugend gekannt hatten, zu bitterm Leide bemerkbar. Er begann an Geist und
Leib zu altern, und schon lange bevor die furchtbare Krankheit um ihm zu
Tage kam, durfte mau trauernd sagen, daß sein Lebensmut nicht mehr der
eines Mannes war, welcher demnächst für seine Nation die Kaiserkrone tragen
sollte. Solchem Schicksal gegenüber ist es, sagt Freytag, vermessen, zu streiten,
wie er als Herrscher geworden wäre. Die auf ihn hofften, wollten an ihm
sehen, was sie am meisten begehrten, und die besorgt sein Wesen abschätzten,
vermochten nicht zu beurteilen, was das Amt nud die Herrschaft in einem ge
Sünden Herrn an Kräften und Neigungen entwickelt hätte. Er war ein warmer
Protestant, in allen religiösen Fragen von einziger Duldsamkeit, und zu seinen
stärksten Abneigungen gehörte die gegen engherzige Pfaffen, In der Staats¬
verwaltung widerstrebten ihm Pvlizeiwirtschaft und Bevormundung, deu Ge¬
meinden wünschte er ausgedehntes Selbstregimeut, jeder ehrlichen Thätigkeit
die freieste Bewegung. Das aber waren bei ihm Stimmungen, denen die
Kenntnis der Zustände im Volke nicht ganz entsprach, und es wäre ihm schwer
geworden, seinen Willen gegenüber gewandten Einwürfen aufrecht zu erhalten.
Denn er war kein Geschäftsmann, sein Urteil war in großen Angelegenheiten
nicht . geprüft, nud auch um er einmal lebhaft wollte, war er in der Aus¬
führung abhängig und unsicher. Nach dieser Richtung war er mehr gemacht,
geleitet zu werden als andre zu führen."

Andre, die Gelegenheit gehabt haben, dem Kronprinzen im Leben näher
zu treten, werden diesen Urteilen nur beipflichten können; aber es war ein
Verdienst, sie öffentlich auszusprechen.




Der Kronprinz friedlich Milhelin

Vorliebe trüben Gedanken und pessimistischen Stimmungen hin, er trug sich
zuweilen mit der Idee, im Fall eines Thronwechsels dem Throne zu entsagen
und dem Sohne die Regierung zu überlassein Sogar die Zureden der Kron¬
prinzessin vermochten diesen Trübsinn nicht auf die Dauer zu bannen. Er
kümmerte sich noch in seiner Weise um Staatsangelegenheiten, er sah zuweilen
zu vertraulichem Gespräche Mitglieder der freisinnigen Partei und sprach dann
wohl seine Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Negierung ans, aber die
Zunahme der Ermattung in feinem Wesen wurde solchen, die ihn in seiner
Jugend gekannt hatten, zu bitterm Leide bemerkbar. Er begann an Geist und
Leib zu altern, und schon lange bevor die furchtbare Krankheit um ihm zu
Tage kam, durfte mau trauernd sagen, daß sein Lebensmut nicht mehr der
eines Mannes war, welcher demnächst für seine Nation die Kaiserkrone tragen
sollte. Solchem Schicksal gegenüber ist es, sagt Freytag, vermessen, zu streiten,
wie er als Herrscher geworden wäre. Die auf ihn hofften, wollten an ihm
sehen, was sie am meisten begehrten, und die besorgt sein Wesen abschätzten,
vermochten nicht zu beurteilen, was das Amt nud die Herrschaft in einem ge
Sünden Herrn an Kräften und Neigungen entwickelt hätte. Er war ein warmer
Protestant, in allen religiösen Fragen von einziger Duldsamkeit, und zu seinen
stärksten Abneigungen gehörte die gegen engherzige Pfaffen, In der Staats¬
verwaltung widerstrebten ihm Pvlizeiwirtschaft und Bevormundung, deu Ge¬
meinden wünschte er ausgedehntes Selbstregimeut, jeder ehrlichen Thätigkeit
die freieste Bewegung. Das aber waren bei ihm Stimmungen, denen die
Kenntnis der Zustände im Volke nicht ganz entsprach, und es wäre ihm schwer
geworden, seinen Willen gegenüber gewandten Einwürfen aufrecht zu erhalten.
Denn er war kein Geschäftsmann, sein Urteil war in großen Angelegenheiten
nicht . geprüft, nud auch um er einmal lebhaft wollte, war er in der Aus¬
führung abhängig und unsicher. Nach dieser Richtung war er mehr gemacht,
geleitet zu werden als andre zu führen."

Andre, die Gelegenheit gehabt haben, dem Kronprinzen im Leben näher
zu treten, werden diesen Urteilen nur beipflichten können; aber es war ein
Verdienst, sie öffentlich auszusprechen.




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[0326] Der Kronprinz friedlich Milhelin Vorliebe trüben Gedanken und pessimistischen Stimmungen hin, er trug sich zuweilen mit der Idee, im Fall eines Thronwechsels dem Throne zu entsagen und dem Sohne die Regierung zu überlassein Sogar die Zureden der Kron¬ prinzessin vermochten diesen Trübsinn nicht auf die Dauer zu bannen. Er kümmerte sich noch in seiner Weise um Staatsangelegenheiten, er sah zuweilen zu vertraulichem Gespräche Mitglieder der freisinnigen Partei und sprach dann wohl seine Unzufriedenheit mit den Maßnahmen der Negierung ans, aber die Zunahme der Ermattung in feinem Wesen wurde solchen, die ihn in seiner Jugend gekannt hatten, zu bitterm Leide bemerkbar. Er begann an Geist und Leib zu altern, und schon lange bevor die furchtbare Krankheit um ihm zu Tage kam, durfte mau trauernd sagen, daß sein Lebensmut nicht mehr der eines Mannes war, welcher demnächst für seine Nation die Kaiserkrone tragen sollte. Solchem Schicksal gegenüber ist es, sagt Freytag, vermessen, zu streiten, wie er als Herrscher geworden wäre. Die auf ihn hofften, wollten an ihm sehen, was sie am meisten begehrten, und die besorgt sein Wesen abschätzten, vermochten nicht zu beurteilen, was das Amt nud die Herrschaft in einem ge Sünden Herrn an Kräften und Neigungen entwickelt hätte. Er war ein warmer Protestant, in allen religiösen Fragen von einziger Duldsamkeit, und zu seinen stärksten Abneigungen gehörte die gegen engherzige Pfaffen, In der Staats¬ verwaltung widerstrebten ihm Pvlizeiwirtschaft und Bevormundung, deu Ge¬ meinden wünschte er ausgedehntes Selbstregimeut, jeder ehrlichen Thätigkeit die freieste Bewegung. Das aber waren bei ihm Stimmungen, denen die Kenntnis der Zustände im Volke nicht ganz entsprach, und es wäre ihm schwer geworden, seinen Willen gegenüber gewandten Einwürfen aufrecht zu erhalten. Denn er war kein Geschäftsmann, sein Urteil war in großen Angelegenheiten nicht . geprüft, nud auch um er einmal lebhaft wollte, war er in der Aus¬ führung abhängig und unsicher. Nach dieser Richtung war er mehr gemacht, geleitet zu werden als andre zu führen." Andre, die Gelegenheit gehabt haben, dem Kronprinzen im Leben näher zu treten, werden diesen Urteilen nur beipflichten können; aber es war ein Verdienst, sie öffentlich auszusprechen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/326>, abgerufen am 28.06.2024.