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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Plötzlich erhob sie sich und begann in heftiger Erregung im Zimmer ans
und ab zu gehen. Sollte er etwa gar nicht kommen? War er vielleicht schon
abgereist? Als sie endlich seinen Schritt ans der Diele vernahm, blieb sie stehen
und hielt die Hand vor die Augen; ein leichter Schwindel überfiel sie.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Noch ein Wort für die Sprachreinigung. Sehr richtig sagt der Aufsatz
in Ur. 40 der Grenzboten, daß es sich bei den Bestrebungen des Sprachvereins
nur um die Ausmerzung der unnötigen fremden Sprachbrocken handele. Das ist
der Kern der ganzen Bewegung, der von der Mehrzahl der Menschen und, was
das schlimmste ist, von denen, die am erfolgreichsten dafür eintreten und wirken
könnten, entweder nicht verstanden oder, wenn dies der Fall ist, nicht gewürdigt
wird. Die Leiter und Schreiber der Tageblätter sind gemeint, die sich den in
dem betreffenden Artikel der Grenzboten bezeichneten, denen, die gar nicht wissen,
daß sie ein Fremdwort gebrauchen, würdig an die Seite stelle", Tag für Tag den
nrteils- und verstandesloseu Leuten die Wörter, die sie meiden sollen, vor Algen
führen, und sie so in ihrer Gedankenlosigkeit und Thorheit unterstützen, statt das
Gegenteil anzustreben mit unermüdlicher Festigkeit. Doch da heißt es stets: "Das
geht nicht so schnell, was sich so eingelebt hat, kann nur nach und nach wieder
schwinde"," und was dergleichen Reden mehr sind, um die eigne Bequemlichkeit
und Gedankenarmut zu bemänteln. Ist es denn aber wirklich eine Unerreichbarkeit
für den Besitzer einer Zeitung, es den Berichterstattern zur Pflicht zu machen, ihre
Aufsätze von französischen Brocken zu säubern? Erfordert es denn so gar viel
Geistesarbeit und Zeit, sich in dem Augenblick, wo das fremde Wort geschrieben
werden soll, zu sagen: du hast ja dafür ein gutes deutsches! Und wäre es schließlich
denn etwas so Undurchführbares, wenn die Blätter an ihrer Spitze die Einsender
ermunterten, in ihren Anzeigen deutsch zu reden, endlich den Chiffres und Dötails,
den Etagen und Parterres u. s. W. den Laufpaß zu geben? Unbegreiflich ist es,
wie Kritiker z. B., unberührt von allen Ermahnungen und trotz ihrer eignen Zu¬
stimmungen zu den Zielen der Neinigungsbewegung, sich von ihren Premiören und
TournüeS u. s. w. nicht losmachen können; eitel, wie ein junges Mädchen sich
hundertmal mit dem neuen Hut im Spiegel besieht, gefallen sich die Herren in
dem widerwärtigsten Prahlen mit völlig unnötigen französischen Bezeichnungen, und
oft hört man den Aufsätzen förmlich das Wohlbehagen an, womit der Verfasser in
den fremden Ausdrücken schwelgt. Nur sehr wenige Zeitungen und, was besonders
beklagenswert ist, nur sehr wenige deutsche Schriftsteller, die doch so unendlich viel
hier vermöge", fasse" die Sache unsrer Muttersprache mit dem Ernst und der Würde
ans, die sie beansprucht; denn abgesehen von der Gedaukeuträgheit, der die Unmasse


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Plötzlich erhob sie sich und begann in heftiger Erregung im Zimmer ans
und ab zu gehen. Sollte er etwa gar nicht kommen? War er vielleicht schon
abgereist? Als sie endlich seinen Schritt ans der Diele vernahm, blieb sie stehen
und hielt die Hand vor die Augen; ein leichter Schwindel überfiel sie.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Noch ein Wort für die Sprachreinigung. Sehr richtig sagt der Aufsatz
in Ur. 40 der Grenzboten, daß es sich bei den Bestrebungen des Sprachvereins
nur um die Ausmerzung der unnötigen fremden Sprachbrocken handele. Das ist
der Kern der ganzen Bewegung, der von der Mehrzahl der Menschen und, was
das schlimmste ist, von denen, die am erfolgreichsten dafür eintreten und wirken
könnten, entweder nicht verstanden oder, wenn dies der Fall ist, nicht gewürdigt
wird. Die Leiter und Schreiber der Tageblätter sind gemeint, die sich den in
dem betreffenden Artikel der Grenzboten bezeichneten, denen, die gar nicht wissen,
daß sie ein Fremdwort gebrauchen, würdig an die Seite stelle», Tag für Tag den
nrteils- und verstandesloseu Leuten die Wörter, die sie meiden sollen, vor Algen
führen, und sie so in ihrer Gedankenlosigkeit und Thorheit unterstützen, statt das
Gegenteil anzustreben mit unermüdlicher Festigkeit. Doch da heißt es stets: „Das
geht nicht so schnell, was sich so eingelebt hat, kann nur nach und nach wieder
schwinde«," und was dergleichen Reden mehr sind, um die eigne Bequemlichkeit
und Gedankenarmut zu bemänteln. Ist es denn aber wirklich eine Unerreichbarkeit
für den Besitzer einer Zeitung, es den Berichterstattern zur Pflicht zu machen, ihre
Aufsätze von französischen Brocken zu säubern? Erfordert es denn so gar viel
Geistesarbeit und Zeit, sich in dem Augenblick, wo das fremde Wort geschrieben
werden soll, zu sagen: du hast ja dafür ein gutes deutsches! Und wäre es schließlich
denn etwas so Undurchführbares, wenn die Blätter an ihrer Spitze die Einsender
ermunterten, in ihren Anzeigen deutsch zu reden, endlich den Chiffres und Dötails,
den Etagen und Parterres u. s. W. den Laufpaß zu geben? Unbegreiflich ist es,
wie Kritiker z. B., unberührt von allen Ermahnungen und trotz ihrer eignen Zu¬
stimmungen zu den Zielen der Neinigungsbewegung, sich von ihren Premiören und
TournüeS u. s. w. nicht losmachen können; eitel, wie ein junges Mädchen sich
hundertmal mit dem neuen Hut im Spiegel besieht, gefallen sich die Herren in
dem widerwärtigsten Prahlen mit völlig unnötigen französischen Bezeichnungen, und
oft hört man den Aufsätzen förmlich das Wohlbehagen an, womit der Verfasser in
den fremden Ausdrücken schwelgt. Nur sehr wenige Zeitungen und, was besonders
beklagenswert ist, nur sehr wenige deutsche Schriftsteller, die doch so unendlich viel
hier vermöge», fasse» die Sache unsrer Muttersprache mit dem Ernst und der Würde
ans, die sie beansprucht; denn abgesehen von der Gedaukeuträgheit, der die Unmasse


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[0302] Maßgebliches und Unmaßgebliches Plötzlich erhob sie sich und begann in heftiger Erregung im Zimmer ans und ab zu gehen. Sollte er etwa gar nicht kommen? War er vielleicht schon abgereist? Als sie endlich seinen Schritt ans der Diele vernahm, blieb sie stehen und hielt die Hand vor die Augen; ein leichter Schwindel überfiel sie. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Noch ein Wort für die Sprachreinigung. Sehr richtig sagt der Aufsatz in Ur. 40 der Grenzboten, daß es sich bei den Bestrebungen des Sprachvereins nur um die Ausmerzung der unnötigen fremden Sprachbrocken handele. Das ist der Kern der ganzen Bewegung, der von der Mehrzahl der Menschen und, was das schlimmste ist, von denen, die am erfolgreichsten dafür eintreten und wirken könnten, entweder nicht verstanden oder, wenn dies der Fall ist, nicht gewürdigt wird. Die Leiter und Schreiber der Tageblätter sind gemeint, die sich den in dem betreffenden Artikel der Grenzboten bezeichneten, denen, die gar nicht wissen, daß sie ein Fremdwort gebrauchen, würdig an die Seite stelle», Tag für Tag den nrteils- und verstandesloseu Leuten die Wörter, die sie meiden sollen, vor Algen führen, und sie so in ihrer Gedankenlosigkeit und Thorheit unterstützen, statt das Gegenteil anzustreben mit unermüdlicher Festigkeit. Doch da heißt es stets: „Das geht nicht so schnell, was sich so eingelebt hat, kann nur nach und nach wieder schwinde«," und was dergleichen Reden mehr sind, um die eigne Bequemlichkeit und Gedankenarmut zu bemänteln. Ist es denn aber wirklich eine Unerreichbarkeit für den Besitzer einer Zeitung, es den Berichterstattern zur Pflicht zu machen, ihre Aufsätze von französischen Brocken zu säubern? Erfordert es denn so gar viel Geistesarbeit und Zeit, sich in dem Augenblick, wo das fremde Wort geschrieben werden soll, zu sagen: du hast ja dafür ein gutes deutsches! Und wäre es schließlich denn etwas so Undurchführbares, wenn die Blätter an ihrer Spitze die Einsender ermunterten, in ihren Anzeigen deutsch zu reden, endlich den Chiffres und Dötails, den Etagen und Parterres u. s. W. den Laufpaß zu geben? Unbegreiflich ist es, wie Kritiker z. B., unberührt von allen Ermahnungen und trotz ihrer eignen Zu¬ stimmungen zu den Zielen der Neinigungsbewegung, sich von ihren Premiören und TournüeS u. s. w. nicht losmachen können; eitel, wie ein junges Mädchen sich hundertmal mit dem neuen Hut im Spiegel besieht, gefallen sich die Herren in dem widerwärtigsten Prahlen mit völlig unnötigen französischen Bezeichnungen, und oft hört man den Aufsätzen förmlich das Wohlbehagen an, womit der Verfasser in den fremden Ausdrücken schwelgt. Nur sehr wenige Zeitungen und, was besonders beklagenswert ist, nur sehr wenige deutsche Schriftsteller, die doch so unendlich viel hier vermöge», fasse» die Sache unsrer Muttersprache mit dem Ernst und der Würde ans, die sie beansprucht; denn abgesehen von der Gedaukeuträgheit, der die Unmasse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/302>, abgerufen am 30.06.2024.