Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Junge Rede Aber um erhob sich die Mutter langsam und mit ungewöhnlicher Wem bist dn neulich im Walde begegnet? Martha erbleichte. Sie wollte sich losreißen. Das geht niemand etwas Aber die Mutter gab nicht nach. Martha! Nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht! Ich rate es dir! Hast Laß meine Hand los! rief sie. ^aß meine Hand los! Oder, bei Gott! Entsetzt über die plötzliche Leidenschaft im Blick der Tochter taumelte Hier saß sie noch, als der Weber Zacharias und der alte Violinspieler Martha blickte vorsichtig durch die Thür, nud als sie sah, daß sie Aus der Schublade der großen Kommode nahm sie ein Helles, frisch¬ Junge Rede Aber um erhob sich die Mutter langsam und mit ungewöhnlicher Wem bist dn neulich im Walde begegnet? Martha erbleichte. Sie wollte sich losreißen. Das geht niemand etwas Aber die Mutter gab nicht nach. Martha! Nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht! Ich rate es dir! Hast Laß meine Hand los! rief sie. ^aß meine Hand los! Oder, bei Gott! Entsetzt über die plötzliche Leidenschaft im Blick der Tochter taumelte Hier saß sie noch, als der Weber Zacharias und der alte Violinspieler Martha blickte vorsichtig durch die Thür, nud als sie sah, daß sie Aus der Schublade der großen Kommode nahm sie ein Helles, frisch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206299"/> <fw type="header" place="top"> Junge Rede</fw><lb/> <p xml:id="ID_1008"> Aber um erhob sich die Mutter langsam und mit ungewöhnlicher<lb/> Sicherheit von ihrem. Stuhl und trat dicht vor sie hin. Mit raschem Griff<lb/> umfaßte sie ihre Hand, sodaß sie zitterte und blickte ihr fest in die Augen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1009"> Wem bist dn neulich im Walde begegnet?</p><lb/> <p xml:id="ID_1010"> Martha erbleichte. Sie wollte sich losreißen. Das geht niemand etwas<lb/> an — Laß mich los!</p><lb/> <p xml:id="ID_1011"> Aber die Mutter gab nicht nach.</p><lb/> <p xml:id="ID_1012"> Martha! Nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht! Ich rate es dir! Hast<lb/> du dir ein Unglück angethan? Was in aller Welt hast dn vor?</p><lb/> <p xml:id="ID_1013"> Laß meine Hand los! rief sie. ^aß meine Hand los! Oder, bei Gott!<lb/> ich schlage dich ins Gesicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_1014"> Entsetzt über die plötzliche Leidenschaft im Blick der Tochter taumelte<lb/> Ellen zurück. Abwehrend hielt sie die Hand vor sich hin wie in einem letzten,<lb/> verzweifelten Flehen. Als aber Martha hinauslief und die Thür lant hinter<lb/> sich zuschlug, sank sie schwer und stöhnend auf einen Stuhl.</p><lb/> <p xml:id="ID_1015"> Hier saß sie noch, als der Weber Zacharias und der alte Violinspieler<lb/> - beide in bester Stimmung und festlichen Gewändern — kamen, um sie ab¬<lb/> zuholen. Erst weigerte sie sich aufs bestimmteste, mitzugehen, ja sie wollte<lb/> sich uicht einmal vom Stuhl erheben, obwohl die beiden Alten sie unter den<lb/> Arm faßten; auch redete sie so merkwürdiges, verwirrtes Zeug, daß die beiden<lb/> ganz besorgt über ihren Verstand wurden. Und als sie endlich mit ihnen von<lb/> dannen wankte, indem sie sich schwer auf den Regenschirm stützte und das<lb/> zierlich gefaltete Taschentuch krampfhaft vor den Leib hielt, flüsterten die beiden<lb/> Freunde hinter ihre,» Nücken einander mit bedenklicher Miene zu, daß der<lb/> — dabei sahen sie sich verständnisvoll an — im. Grunde sehr früh am<lb/> Tage genommen sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1016"> Martha blickte vorsichtig durch die Thür, nud als sie sah, daß sie<lb/> allein war, ging sie dnrch die Stuben und schloß sorgfältig die Hintere Küchen¬<lb/> thür und ein Fenster im Schlafzimmer der Mutter, dann kleidete sie sich<lb/> schnell um.</p><lb/> <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Aus der Schublade der großen Kommode nahm sie ein Helles, frisch¬<lb/> geplättetes Sommerkleid, reine Wäsche, Strümpfe, ein Sammetband mit einer<lb/> Bernsteinperle und ein paar andre Kleinigkeiten und trug alles auf den Stuhl<lb/> neben dein Spiegel. Ihr Antlitz war noch finster. Aber bald nahm das<lb/> Ankleiden sie darart in Anspruch, daß sie die Mutter wie ihre eigne Erregung<lb/> vergaß. Ein eigenartiger, fast schwärmerischer Glanz leuchtete wieder aus ihren<lb/> Augen. Und ohne es selber zu. wissen, summte sie hin und wieder ein Lied<lb/> vor sich hin, während sie ihr Haar im Nacken aussteckte, die Strumpfbänder<lb/> befestigte nud die Schuhe zuschnürte. Mit besondrer Sorgfalt strich sie die<lb/> schweren, krausen Stirnlocken über die Schläfen und hinter das Ohr. Hier<lb/> versuchte sie auch eine Rosenknospe nuzubriugen, aber sie warf sie wieder weg.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
Junge Rede
Aber um erhob sich die Mutter langsam und mit ungewöhnlicher
Sicherheit von ihrem. Stuhl und trat dicht vor sie hin. Mit raschem Griff
umfaßte sie ihre Hand, sodaß sie zitterte und blickte ihr fest in die Augen.
Wem bist dn neulich im Walde begegnet?
Martha erbleichte. Sie wollte sich losreißen. Das geht niemand etwas
an — Laß mich los!
Aber die Mutter gab nicht nach.
Martha! Nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht! Ich rate es dir! Hast
du dir ein Unglück angethan? Was in aller Welt hast dn vor?
Laß meine Hand los! rief sie. ^aß meine Hand los! Oder, bei Gott!
ich schlage dich ins Gesicht!
Entsetzt über die plötzliche Leidenschaft im Blick der Tochter taumelte
Ellen zurück. Abwehrend hielt sie die Hand vor sich hin wie in einem letzten,
verzweifelten Flehen. Als aber Martha hinauslief und die Thür lant hinter
sich zuschlug, sank sie schwer und stöhnend auf einen Stuhl.
Hier saß sie noch, als der Weber Zacharias und der alte Violinspieler
- beide in bester Stimmung und festlichen Gewändern — kamen, um sie ab¬
zuholen. Erst weigerte sie sich aufs bestimmteste, mitzugehen, ja sie wollte
sich uicht einmal vom Stuhl erheben, obwohl die beiden Alten sie unter den
Arm faßten; auch redete sie so merkwürdiges, verwirrtes Zeug, daß die beiden
ganz besorgt über ihren Verstand wurden. Und als sie endlich mit ihnen von
dannen wankte, indem sie sich schwer auf den Regenschirm stützte und das
zierlich gefaltete Taschentuch krampfhaft vor den Leib hielt, flüsterten die beiden
Freunde hinter ihre,» Nücken einander mit bedenklicher Miene zu, daß der
— dabei sahen sie sich verständnisvoll an — im. Grunde sehr früh am
Tage genommen sei.
Martha blickte vorsichtig durch die Thür, nud als sie sah, daß sie
allein war, ging sie dnrch die Stuben und schloß sorgfältig die Hintere Küchen¬
thür und ein Fenster im Schlafzimmer der Mutter, dann kleidete sie sich
schnell um.
Aus der Schublade der großen Kommode nahm sie ein Helles, frisch¬
geplättetes Sommerkleid, reine Wäsche, Strümpfe, ein Sammetband mit einer
Bernsteinperle und ein paar andre Kleinigkeiten und trug alles auf den Stuhl
neben dein Spiegel. Ihr Antlitz war noch finster. Aber bald nahm das
Ankleiden sie darart in Anspruch, daß sie die Mutter wie ihre eigne Erregung
vergaß. Ein eigenartiger, fast schwärmerischer Glanz leuchtete wieder aus ihren
Augen. Und ohne es selber zu. wissen, summte sie hin und wieder ein Lied
vor sich hin, während sie ihr Haar im Nacken aussteckte, die Strumpfbänder
befestigte nud die Schuhe zuschnürte. Mit besondrer Sorgfalt strich sie die
schweren, krausen Stirnlocken über die Schläfen und hinter das Ohr. Hier
versuchte sie auch eine Rosenknospe nuzubriugen, aber sie warf sie wieder weg.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |