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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Rede

Aber um erhob sich die Mutter langsam und mit ungewöhnlicher
Sicherheit von ihrem. Stuhl und trat dicht vor sie hin. Mit raschem Griff
umfaßte sie ihre Hand, sodaß sie zitterte und blickte ihr fest in die Augen.

Wem bist dn neulich im Walde begegnet?

Martha erbleichte. Sie wollte sich losreißen. Das geht niemand etwas
an -- Laß mich los!

Aber die Mutter gab nicht nach.

Martha! Nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht! Ich rate es dir! Hast
du dir ein Unglück angethan? Was in aller Welt hast dn vor?

Laß meine Hand los! rief sie. ^aß meine Hand los! Oder, bei Gott!
ich schlage dich ins Gesicht!

Entsetzt über die plötzliche Leidenschaft im Blick der Tochter taumelte
Ellen zurück. Abwehrend hielt sie die Hand vor sich hin wie in einem letzten,
verzweifelten Flehen. Als aber Martha hinauslief und die Thür lant hinter
sich zuschlug, sank sie schwer und stöhnend auf einen Stuhl.

Hier saß sie noch, als der Weber Zacharias und der alte Violinspieler
- beide in bester Stimmung und festlichen Gewändern -- kamen, um sie ab¬
zuholen. Erst weigerte sie sich aufs bestimmteste, mitzugehen, ja sie wollte
sich uicht einmal vom Stuhl erheben, obwohl die beiden Alten sie unter den
Arm faßten; auch redete sie so merkwürdiges, verwirrtes Zeug, daß die beiden
ganz besorgt über ihren Verstand wurden. Und als sie endlich mit ihnen von
dannen wankte, indem sie sich schwer auf den Regenschirm stützte und das
zierlich gefaltete Taschentuch krampfhaft vor den Leib hielt, flüsterten die beiden
Freunde hinter ihre," Nücken einander mit bedenklicher Miene zu, daß der
-- dabei sahen sie sich verständnisvoll an -- im. Grunde sehr früh am
Tage genommen sei.

Martha blickte vorsichtig durch die Thür, nud als sie sah, daß sie
allein war, ging sie dnrch die Stuben und schloß sorgfältig die Hintere Küchen¬
thür und ein Fenster im Schlafzimmer der Mutter, dann kleidete sie sich
schnell um.

Aus der Schublade der großen Kommode nahm sie ein Helles, frisch¬
geplättetes Sommerkleid, reine Wäsche, Strümpfe, ein Sammetband mit einer
Bernsteinperle und ein paar andre Kleinigkeiten und trug alles auf den Stuhl
neben dein Spiegel. Ihr Antlitz war noch finster. Aber bald nahm das
Ankleiden sie darart in Anspruch, daß sie die Mutter wie ihre eigne Erregung
vergaß. Ein eigenartiger, fast schwärmerischer Glanz leuchtete wieder aus ihren
Augen. Und ohne es selber zu. wissen, summte sie hin und wieder ein Lied
vor sich hin, während sie ihr Haar im Nacken aussteckte, die Strumpfbänder
befestigte nud die Schuhe zuschnürte. Mit besondrer Sorgfalt strich sie die
schweren, krausen Stirnlocken über die Schläfen und hinter das Ohr. Hier
versuchte sie auch eine Rosenknospe nuzubriugen, aber sie warf sie wieder weg.


Junge Rede

Aber um erhob sich die Mutter langsam und mit ungewöhnlicher
Sicherheit von ihrem. Stuhl und trat dicht vor sie hin. Mit raschem Griff
umfaßte sie ihre Hand, sodaß sie zitterte und blickte ihr fest in die Augen.

Wem bist dn neulich im Walde begegnet?

Martha erbleichte. Sie wollte sich losreißen. Das geht niemand etwas
an — Laß mich los!

Aber die Mutter gab nicht nach.

Martha! Nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht! Ich rate es dir! Hast
du dir ein Unglück angethan? Was in aller Welt hast dn vor?

Laß meine Hand los! rief sie. ^aß meine Hand los! Oder, bei Gott!
ich schlage dich ins Gesicht!

Entsetzt über die plötzliche Leidenschaft im Blick der Tochter taumelte
Ellen zurück. Abwehrend hielt sie die Hand vor sich hin wie in einem letzten,
verzweifelten Flehen. Als aber Martha hinauslief und die Thür lant hinter
sich zuschlug, sank sie schwer und stöhnend auf einen Stuhl.

Hier saß sie noch, als der Weber Zacharias und der alte Violinspieler
- beide in bester Stimmung und festlichen Gewändern — kamen, um sie ab¬
zuholen. Erst weigerte sie sich aufs bestimmteste, mitzugehen, ja sie wollte
sich uicht einmal vom Stuhl erheben, obwohl die beiden Alten sie unter den
Arm faßten; auch redete sie so merkwürdiges, verwirrtes Zeug, daß die beiden
ganz besorgt über ihren Verstand wurden. Und als sie endlich mit ihnen von
dannen wankte, indem sie sich schwer auf den Regenschirm stützte und das
zierlich gefaltete Taschentuch krampfhaft vor den Leib hielt, flüsterten die beiden
Freunde hinter ihre,» Nücken einander mit bedenklicher Miene zu, daß der
— dabei sahen sie sich verständnisvoll an — im. Grunde sehr früh am
Tage genommen sei.

Martha blickte vorsichtig durch die Thür, nud als sie sah, daß sie
allein war, ging sie dnrch die Stuben und schloß sorgfältig die Hintere Küchen¬
thür und ein Fenster im Schlafzimmer der Mutter, dann kleidete sie sich
schnell um.

Aus der Schublade der großen Kommode nahm sie ein Helles, frisch¬
geplättetes Sommerkleid, reine Wäsche, Strümpfe, ein Sammetband mit einer
Bernsteinperle und ein paar andre Kleinigkeiten und trug alles auf den Stuhl
neben dein Spiegel. Ihr Antlitz war noch finster. Aber bald nahm das
Ankleiden sie darart in Anspruch, daß sie die Mutter wie ihre eigne Erregung
vergaß. Ein eigenartiger, fast schwärmerischer Glanz leuchtete wieder aus ihren
Augen. Und ohne es selber zu. wissen, summte sie hin und wieder ein Lied
vor sich hin, während sie ihr Haar im Nacken aussteckte, die Strumpfbänder
befestigte nud die Schuhe zuschnürte. Mit besondrer Sorgfalt strich sie die
schweren, krausen Stirnlocken über die Schläfen und hinter das Ohr. Hier
versuchte sie auch eine Rosenknospe nuzubriugen, aber sie warf sie wieder weg.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/300>, abgerufen am 02.07.2024.