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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die geschichtliche Bedeutung des Sedcmtages

liehen und wirtschaftlichen Lebens. Sonst überall nur Verstimmung und Ver¬
wirrung, dazu neue straflose Übergriffe des Auslandes. Die Schuld tragen in
höherem Grade die Regierenden als die Regierten. Fürst Metternich spielt hier
seine unsaubere Rolle. Aber anderseits regt es sich auch überall von neuen Kräften
und Trieben: es ist eine bange, ungeduldige Zeit des Suchens und der Vor¬
bereitung, aber eine Zeit, die sich auch rubin- und segensreich erfüllen sollte.

Zunächst ward auch in Preußen der bei ihrer ausreichenden Reife berechtigte
Wunsch der Bevölkerung nach Mitarbeit an der Gestaltung ihrer Geschicke in maß"
voller, aber um so ersprießlicherer Weise verwirklicht. Und dann endlich wurde nach
langem Umhertasten der Regierungen und des Volkes unter der zweckbewnßten
Führung des greisen Hohenzollernfürsten und seines großen Beraters auch die
eigentliche Schicksalsfrage in bejahendem Sinne gelöst, die seit sechs Jahrhunderten
unsre Geschichte bewegt hatte: auf deu Schlachtfeldern von Königgrätz und Sedan
erstand das neue Reich, ein Reich, das nach allen Seiten unsern gegenwärtigen
Bedürfnissen genug thut, ein Reich, das vor allem auf starken nationalen Grund¬
lagen beruhend weder belastet ist mit dem widerhaarigen Italien noch dein
vielsprachigen Österreich noch dem Übergewicht klerikaler Nebenbuhlerschaft.

Was alles muß nicht heute der Staat im Unterschied von den einfachern
Verhältnissen und Ansprüchen des Mittelalters seinen Bürgern leisten! Er
soll sie mit der höchsten Wahrscheinlichkeit des Erfolges schützen gegen innere
und äußere Feinde: es geschieht bei uns dnrch das schlagfertigste und zuver¬
lässigste Heer, das die Geschichte kennt und das im Gegensatz zu den Lehns¬
milizen des alten Reiches nichts andres ist als das Volk selbst in Waffen,
einheitlich ^geführt von einer kraftvollen Monarchie. Er soll einheitliche zweck¬
mäßige und zugleich volkstümliche Rechtsformen schaffen, die uns eingreifende
Reformen teils gewährt haben teils noch gewähren. Er soll dem unendlich
vervielfachten praktischen Schaffen der Nation ein einheitliches und fruchtbares
Gebiet eröffnen, was mit Erfolg durch eine bis auf den Zollverein zurück¬
reichende umfassende wirtschaftliche Gesetzgebung geschehen ist. Und wenn es
als rühmlichste Kraftprobe des jungen Reiches gelten darf, daß hier zum ersten¬
male den wirtschaftlich notleidenden Klaffen in entscheidender Weise von Staats¬
wegen durch die Mittel der besser gestellten nufgehvlfeu wird, so hat es sich
jenseits der Weltmeere in eignen Kolonien völlig neue Thätigkeitsfelder er¬
schlossen, sich und den Eingebornen zu künftigem Heile. Genug, wie viel auch
jetzt noch zu thun und zu wünschen bleiben mag -- wenn wir unsern Blick
nicht durch das alte deutsche Erbübel der Parteileideuschaft trüben lassen und
auf das Ganze gerichtet halten, so dürfen und müssen wir, das Einst und Jetzt
vergleichend, mit patriotischer Freude bekennen: es ist zum zweitenmale Frühling
geworden in deutschen Landen. Daß er dauere und sich noch voller entfalte,
dazu gehört vieles, vor allem mich die nie stillstehende sittliche Arbeit eines
jeden an sich selbst. Aber im Zusammenhang dieser Darstellung drängt sich


Die geschichtliche Bedeutung des Sedcmtages

liehen und wirtschaftlichen Lebens. Sonst überall nur Verstimmung und Ver¬
wirrung, dazu neue straflose Übergriffe des Auslandes. Die Schuld tragen in
höherem Grade die Regierenden als die Regierten. Fürst Metternich spielt hier
seine unsaubere Rolle. Aber anderseits regt es sich auch überall von neuen Kräften
und Trieben: es ist eine bange, ungeduldige Zeit des Suchens und der Vor¬
bereitung, aber eine Zeit, die sich auch rubin- und segensreich erfüllen sollte.

Zunächst ward auch in Preußen der bei ihrer ausreichenden Reife berechtigte
Wunsch der Bevölkerung nach Mitarbeit an der Gestaltung ihrer Geschicke in maß«
voller, aber um so ersprießlicherer Weise verwirklicht. Und dann endlich wurde nach
langem Umhertasten der Regierungen und des Volkes unter der zweckbewnßten
Führung des greisen Hohenzollernfürsten und seines großen Beraters auch die
eigentliche Schicksalsfrage in bejahendem Sinne gelöst, die seit sechs Jahrhunderten
unsre Geschichte bewegt hatte: auf deu Schlachtfeldern von Königgrätz und Sedan
erstand das neue Reich, ein Reich, das nach allen Seiten unsern gegenwärtigen
Bedürfnissen genug thut, ein Reich, das vor allem auf starken nationalen Grund¬
lagen beruhend weder belastet ist mit dem widerhaarigen Italien noch dein
vielsprachigen Österreich noch dem Übergewicht klerikaler Nebenbuhlerschaft.

Was alles muß nicht heute der Staat im Unterschied von den einfachern
Verhältnissen und Ansprüchen des Mittelalters seinen Bürgern leisten! Er
soll sie mit der höchsten Wahrscheinlichkeit des Erfolges schützen gegen innere
und äußere Feinde: es geschieht bei uns dnrch das schlagfertigste und zuver¬
lässigste Heer, das die Geschichte kennt und das im Gegensatz zu den Lehns¬
milizen des alten Reiches nichts andres ist als das Volk selbst in Waffen,
einheitlich ^geführt von einer kraftvollen Monarchie. Er soll einheitliche zweck¬
mäßige und zugleich volkstümliche Rechtsformen schaffen, die uns eingreifende
Reformen teils gewährt haben teils noch gewähren. Er soll dem unendlich
vervielfachten praktischen Schaffen der Nation ein einheitliches und fruchtbares
Gebiet eröffnen, was mit Erfolg durch eine bis auf den Zollverein zurück¬
reichende umfassende wirtschaftliche Gesetzgebung geschehen ist. Und wenn es
als rühmlichste Kraftprobe des jungen Reiches gelten darf, daß hier zum ersten¬
male den wirtschaftlich notleidenden Klaffen in entscheidender Weise von Staats¬
wegen durch die Mittel der besser gestellten nufgehvlfeu wird, so hat es sich
jenseits der Weltmeere in eignen Kolonien völlig neue Thätigkeitsfelder er¬
schlossen, sich und den Eingebornen zu künftigem Heile. Genug, wie viel auch
jetzt noch zu thun und zu wünschen bleiben mag — wenn wir unsern Blick
nicht durch das alte deutsche Erbübel der Parteileideuschaft trüben lassen und
auf das Ganze gerichtet halten, so dürfen und müssen wir, das Einst und Jetzt
vergleichend, mit patriotischer Freude bekennen: es ist zum zweitenmale Frühling
geworden in deutschen Landen. Daß er dauere und sich noch voller entfalte,
dazu gehört vieles, vor allem mich die nie stillstehende sittliche Arbeit eines
jeden an sich selbst. Aber im Zusammenhang dieser Darstellung drängt sich


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[0277] Die geschichtliche Bedeutung des Sedcmtages liehen und wirtschaftlichen Lebens. Sonst überall nur Verstimmung und Ver¬ wirrung, dazu neue straflose Übergriffe des Auslandes. Die Schuld tragen in höherem Grade die Regierenden als die Regierten. Fürst Metternich spielt hier seine unsaubere Rolle. Aber anderseits regt es sich auch überall von neuen Kräften und Trieben: es ist eine bange, ungeduldige Zeit des Suchens und der Vor¬ bereitung, aber eine Zeit, die sich auch rubin- und segensreich erfüllen sollte. Zunächst ward auch in Preußen der bei ihrer ausreichenden Reife berechtigte Wunsch der Bevölkerung nach Mitarbeit an der Gestaltung ihrer Geschicke in maß« voller, aber um so ersprießlicherer Weise verwirklicht. Und dann endlich wurde nach langem Umhertasten der Regierungen und des Volkes unter der zweckbewnßten Führung des greisen Hohenzollernfürsten und seines großen Beraters auch die eigentliche Schicksalsfrage in bejahendem Sinne gelöst, die seit sechs Jahrhunderten unsre Geschichte bewegt hatte: auf deu Schlachtfeldern von Königgrätz und Sedan erstand das neue Reich, ein Reich, das nach allen Seiten unsern gegenwärtigen Bedürfnissen genug thut, ein Reich, das vor allem auf starken nationalen Grund¬ lagen beruhend weder belastet ist mit dem widerhaarigen Italien noch dein vielsprachigen Österreich noch dem Übergewicht klerikaler Nebenbuhlerschaft. Was alles muß nicht heute der Staat im Unterschied von den einfachern Verhältnissen und Ansprüchen des Mittelalters seinen Bürgern leisten! Er soll sie mit der höchsten Wahrscheinlichkeit des Erfolges schützen gegen innere und äußere Feinde: es geschieht bei uns dnrch das schlagfertigste und zuver¬ lässigste Heer, das die Geschichte kennt und das im Gegensatz zu den Lehns¬ milizen des alten Reiches nichts andres ist als das Volk selbst in Waffen, einheitlich ^geführt von einer kraftvollen Monarchie. Er soll einheitliche zweck¬ mäßige und zugleich volkstümliche Rechtsformen schaffen, die uns eingreifende Reformen teils gewährt haben teils noch gewähren. Er soll dem unendlich vervielfachten praktischen Schaffen der Nation ein einheitliches und fruchtbares Gebiet eröffnen, was mit Erfolg durch eine bis auf den Zollverein zurück¬ reichende umfassende wirtschaftliche Gesetzgebung geschehen ist. Und wenn es als rühmlichste Kraftprobe des jungen Reiches gelten darf, daß hier zum ersten¬ male den wirtschaftlich notleidenden Klaffen in entscheidender Weise von Staats¬ wegen durch die Mittel der besser gestellten nufgehvlfeu wird, so hat es sich jenseits der Weltmeere in eignen Kolonien völlig neue Thätigkeitsfelder er¬ schlossen, sich und den Eingebornen zu künftigem Heile. Genug, wie viel auch jetzt noch zu thun und zu wünschen bleiben mag — wenn wir unsern Blick nicht durch das alte deutsche Erbübel der Parteileideuschaft trüben lassen und auf das Ganze gerichtet halten, so dürfen und müssen wir, das Einst und Jetzt vergleichend, mit patriotischer Freude bekennen: es ist zum zweitenmale Frühling geworden in deutschen Landen. Daß er dauere und sich noch voller entfalte, dazu gehört vieles, vor allem mich die nie stillstehende sittliche Arbeit eines jeden an sich selbst. Aber im Zusammenhang dieser Darstellung drängt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/277>, abgerufen am 02.07.2024.