Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Die geschichtliche Äedeutnug des Sedaittages ivieder die unentbehrlichste Bedingung dieser nationale" Entwicklung. Er Die geschichtliche Äedeutnug des Sedaittages ivieder die unentbehrlichste Bedingung dieser nationale» Entwicklung. Er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206270"/> <fw type="header" place="top"> Die geschichtliche Äedeutnug des Sedaittages</fw><lb/> <p xml:id="ID_915" prev="#ID_914" next="#ID_916"> ivieder die unentbehrlichste Bedingung dieser nationale» Entwicklung. Er<lb/> schirmt sie mit seinem Schwerte nach außen und richtet mit seinen Gesetzen die<lb/> festen Dämme auf, die den Strom des sozialen Lebens mit seinen tausendfachen<lb/> Verzweigungen in vorgeschriebenen und darum gefahrlosen Bette dahinleiteu<lb/> soll, und hat nun in unsern Tagen noch die erhabene Aufgabe in Angriff<lb/> genommen, dnrch heilsame Einrichtungen des Zwanges das praktische Christen¬<lb/> tum in großem Maße zu verwirklichen. Nur dank der schützenden und för¬<lb/> dernden Thätigkeit des Staates können die zahllosen Einzelwesen ungefährdet<lb/> der Befriedigung ihrer hundertfach sich durchkreuzenden niedern Bedürfnisse<lb/> nachgehen, und nur im Wirken für das Ganze wiederum können sie zugleich<lb/> die edlern Ansprüche ihrer geistigen Natur erfüllen. Nun wird das gesunde<lb/> Leben eines Staates hauptsächlich von zwei Gefahren bedroht: die eine kommt<lb/> ihm von außen und erwächst aus dem Neid und Interessengegensatz der<lb/> Nachbarstaaten, die andre liegt in der Kurzsichtigkeit und dein Eigennutz der<lb/> Staatsbürger selbst und ihrer kleinern Gemeinschaften, die sich dem Interesse<lb/> des Ganzen entgegensetzen. Jener ersten Gefahr sollte unser engeres Vaterland<lb/> im Anfange des Jahrhunderts völlig erliegen, aber nur um durch eine sitt¬<lb/> liche und politische Wiedergeburt ohne gleichen zu neuem und kräftigerem Leben<lb/> zu erstehen. Diese glückliche Lösung der damals gestellten Daseinsfrage dauernd<lb/> im Gedächtnis der Mit- und Nachwelt zu erhalten, dazu war die jährliche<lb/> Gedenkfeier der Leipziger Schlacht bestimmt. Noch schwerer hat die andre<lb/> Gefahr, die selbstmörderische Neigung zu innerer Zerklüftung, auf unserm Volke<lb/> gelastet, ja man kann fügen^ sie hat es auf seinem ganzen zweitausendjährigen<lb/> Wege unablässig begleitet, bis zu dem glorreichen Tage, den einigermaßen zu<lb/> würdigen die vorliegenden Blätter bestimmt sind. Denn das ist doch der eigentliche<lb/> Sinn desselben, daß die deutschen Stämme nach langer und bitter Entzweiung<lb/> wieder ein einig Volk von Brüdern wurden, um sich fürderhin in keiner Not und<lb/> Gefahr zu trennen. Mit glücklichem Takt hat der geschichtliche Sinn des Volkes<lb/> gerade diesen Tag herausgefunden zur Feier gerade dieses Ergebnisses. Nicht<lb/> die papiernen Staatsverträge im Herbste 1870, auch nicht die Kaiserprokla-<lb/> mation im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles haben das deutsche Reich<lb/> in Wahrheit aufgerichtet, eS war innerlich fertig, als die deutschen Heerscharen<lb/> aus alleu Gauen des weiten Vaterlandes, aus Nord und Süd in Schlacht<lb/> und Sieg zusammenstanden gegen den räuberischen Feind, der gerade ans ihre<lb/> Entzweiung gehofft und seine weltverderblichen Pläne gebaut hatte. Was ver¬<lb/> bindet denn Menschen und Völker? Ein gemeinsames Handeln für ein gemein¬<lb/> sames edles Ziel, so, daß je hingebender dieses Handeln ist, um so enger auch<lb/> der Zusammenschluß wird. Welches Handeln aber wäre hingebender als das,<lb/> das auch die Schrecken des Todes verachtet! Die deutschen Krieger, die opfer¬<lb/> freudig ihr Leben für das Ganze einsetzten, mußten eben dadurch — das können<lb/> Nur alle nachempfinden — durchdrungen werden von dem Gefühl einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0271]
Die geschichtliche Äedeutnug des Sedaittages
ivieder die unentbehrlichste Bedingung dieser nationale» Entwicklung. Er
schirmt sie mit seinem Schwerte nach außen und richtet mit seinen Gesetzen die
festen Dämme auf, die den Strom des sozialen Lebens mit seinen tausendfachen
Verzweigungen in vorgeschriebenen und darum gefahrlosen Bette dahinleiteu
soll, und hat nun in unsern Tagen noch die erhabene Aufgabe in Angriff
genommen, dnrch heilsame Einrichtungen des Zwanges das praktische Christen¬
tum in großem Maße zu verwirklichen. Nur dank der schützenden und för¬
dernden Thätigkeit des Staates können die zahllosen Einzelwesen ungefährdet
der Befriedigung ihrer hundertfach sich durchkreuzenden niedern Bedürfnisse
nachgehen, und nur im Wirken für das Ganze wiederum können sie zugleich
die edlern Ansprüche ihrer geistigen Natur erfüllen. Nun wird das gesunde
Leben eines Staates hauptsächlich von zwei Gefahren bedroht: die eine kommt
ihm von außen und erwächst aus dem Neid und Interessengegensatz der
Nachbarstaaten, die andre liegt in der Kurzsichtigkeit und dein Eigennutz der
Staatsbürger selbst und ihrer kleinern Gemeinschaften, die sich dem Interesse
des Ganzen entgegensetzen. Jener ersten Gefahr sollte unser engeres Vaterland
im Anfange des Jahrhunderts völlig erliegen, aber nur um durch eine sitt¬
liche und politische Wiedergeburt ohne gleichen zu neuem und kräftigerem Leben
zu erstehen. Diese glückliche Lösung der damals gestellten Daseinsfrage dauernd
im Gedächtnis der Mit- und Nachwelt zu erhalten, dazu war die jährliche
Gedenkfeier der Leipziger Schlacht bestimmt. Noch schwerer hat die andre
Gefahr, die selbstmörderische Neigung zu innerer Zerklüftung, auf unserm Volke
gelastet, ja man kann fügen^ sie hat es auf seinem ganzen zweitausendjährigen
Wege unablässig begleitet, bis zu dem glorreichen Tage, den einigermaßen zu
würdigen die vorliegenden Blätter bestimmt sind. Denn das ist doch der eigentliche
Sinn desselben, daß die deutschen Stämme nach langer und bitter Entzweiung
wieder ein einig Volk von Brüdern wurden, um sich fürderhin in keiner Not und
Gefahr zu trennen. Mit glücklichem Takt hat der geschichtliche Sinn des Volkes
gerade diesen Tag herausgefunden zur Feier gerade dieses Ergebnisses. Nicht
die papiernen Staatsverträge im Herbste 1870, auch nicht die Kaiserprokla-
mation im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles haben das deutsche Reich
in Wahrheit aufgerichtet, eS war innerlich fertig, als die deutschen Heerscharen
aus alleu Gauen des weiten Vaterlandes, aus Nord und Süd in Schlacht
und Sieg zusammenstanden gegen den räuberischen Feind, der gerade ans ihre
Entzweiung gehofft und seine weltverderblichen Pläne gebaut hatte. Was ver¬
bindet denn Menschen und Völker? Ein gemeinsames Handeln für ein gemein¬
sames edles Ziel, so, daß je hingebender dieses Handeln ist, um so enger auch
der Zusammenschluß wird. Welches Handeln aber wäre hingebender als das,
das auch die Schrecken des Todes verachtet! Die deutschen Krieger, die opfer¬
freudig ihr Leben für das Ganze einsetzten, mußten eben dadurch — das können
Nur alle nachempfinden — durchdrungen werden von dem Gefühl einer
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