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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Hausindustrie

in"in glaublich, wird aber durch auderlveite Erscheinungen unterstützt, daß, wie
Thu" mitteilt, in der Aachener Tnchindustrie bis ans den heutigen Tag die
Anwendung falschen Maßes eine Art ist, dein Arbeiter deu verdienten Lohn
z" verkürzen. In der koburgischen Korbwaareuindustrie wird der zu verarbeitende
Stoff zu einen: Preisaufschlag von fünf bis fünfzig Prozent vom Verleger dem
Arbeiter übergeben. Ein entsetzliches Elend offenbaren die über die Lohnver¬
hältnisse handelnden Abschnitte unsers Buches. Unwillkürlich denkt anch der
Nichtsozialisl bei solchen Zuständen an Lnssalles ehernes Lvhngesetz. In der
Hausindustrie scheint der Arbeitslohn thatsächlich ein ans den notwendigen
Lebensunterhalt, der gerade zur Lebeusfristuug und Fortpflanzung genügt,
herabgedrückt zu sein. Ja man muß es mit Stiedn unbegreiflich finden, wie
einzelne Arbeiterzweige bei ihren niedrigen Löhnen noch bestehen' können. Auch
das Trucksystem spielt in der Hausindustrie noch eine bedeutende Rolle. Dies
hängt allerdings mit der Praxis der Gerichte zusammen, insofern diese für die
Hausindustrie die Anwendung der ^ 115, 119, 146, Ziffer 1 der Neichs-
gewerbevrdnung häufig ablehnten, da sie in manchen Arten von Hausindustriellcn
nicht Lohnarbeiter, sondern selbständige Gewerbetreibende erkennen zu, müssen
glaubten. Seitdem aber das Reichsgericht, das gerade für die strafrechtliche
Praxis eine einflußreiche Macht geworden ist, im entgegengesetzte" Sinne ent¬
schieden hat, wird auch in der Hausindustrie der Unfug der Naturallöhnnng
bald aufhören.

Einen besondern Vorteil der Hausarbeit glaubte man bisher in ihrer regel¬
mäßigen Verbindung mit der Landwirtschaft zu sehen, und dieser Vorteil vor
der Fabrikarbeit ist auch nicht zu verkenne". Eine regelmäßige Bewegung in
der freie" Natur gehört zu den besten Mittel", de" Körper gesund und den
Geist auf deu richtige" Bahnen zu erhalten. Leider weist Stieda fast überall
ein Zurückgehen dieser Verbindung von Landwirtschaft und Hausindustrie nach,
kaum noch der fünfte Teil sämtlicher Hausiudustriellen betreibt zugleich auch
Landwirtschaft. Bei dem gegenseitigen Unterbieten im Lohn infolge der hoch¬
entwickelten Konkurrenz kann dies auch kein Wunder nehme", de"" unbestreitbar
ist Rvschers Ausspruch (III, S. 543): Wer abwechselnd webt und den Acker
bebaut, der wird schwerlich dieselbe Virtuosität erreichen, als wenn er sich einem
dieser Geschäfte allein widmete. Notgedrungen stellen daher die Hausarbeiter
die Landwirtschaft ein.

Günstiges läßt sich über de" sittlichen Zustand der Hausindustriellen
sagen, der größere Familienzusammenhang verfehlt seinen guten Einfluß
nicht. Die Kinder stehen länger unter der Aufsicht der Eltern, die
Mädchen insbesondre länger unter dein Schutze der Familie, i" der sie auch
ihre Arbeitszeit zubringe". Gerade die Verschiedenheit, vo" Arbeitsort und
Wohnung birgt für die Sittlichkeit der in de" Fabriken beschäftigte" Mädchen
die größten Gefahre".


Die deutsche Hausindustrie

in»in glaublich, wird aber durch auderlveite Erscheinungen unterstützt, daß, wie
Thu» mitteilt, in der Aachener Tnchindustrie bis ans den heutigen Tag die
Anwendung falschen Maßes eine Art ist, dein Arbeiter deu verdienten Lohn
z» verkürzen. In der koburgischen Korbwaareuindustrie wird der zu verarbeitende
Stoff zu einen: Preisaufschlag von fünf bis fünfzig Prozent vom Verleger dem
Arbeiter übergeben. Ein entsetzliches Elend offenbaren die über die Lohnver¬
hältnisse handelnden Abschnitte unsers Buches. Unwillkürlich denkt anch der
Nichtsozialisl bei solchen Zuständen an Lnssalles ehernes Lvhngesetz. In der
Hausindustrie scheint der Arbeitslohn thatsächlich ein ans den notwendigen
Lebensunterhalt, der gerade zur Lebeusfristuug und Fortpflanzung genügt,
herabgedrückt zu sein. Ja man muß es mit Stiedn unbegreiflich finden, wie
einzelne Arbeiterzweige bei ihren niedrigen Löhnen noch bestehen' können. Auch
das Trucksystem spielt in der Hausindustrie noch eine bedeutende Rolle. Dies
hängt allerdings mit der Praxis der Gerichte zusammen, insofern diese für die
Hausindustrie die Anwendung der ^ 115, 119, 146, Ziffer 1 der Neichs-
gewerbevrdnung häufig ablehnten, da sie in manchen Arten von Hausindustriellcn
nicht Lohnarbeiter, sondern selbständige Gewerbetreibende erkennen zu, müssen
glaubten. Seitdem aber das Reichsgericht, das gerade für die strafrechtliche
Praxis eine einflußreiche Macht geworden ist, im entgegengesetzte» Sinne ent¬
schieden hat, wird auch in der Hausindustrie der Unfug der Naturallöhnnng
bald aufhören.

Einen besondern Vorteil der Hausarbeit glaubte man bisher in ihrer regel¬
mäßigen Verbindung mit der Landwirtschaft zu sehen, und dieser Vorteil vor
der Fabrikarbeit ist auch nicht zu verkenne». Eine regelmäßige Bewegung in
der freie» Natur gehört zu den besten Mittel», de» Körper gesund und den
Geist auf deu richtige» Bahnen zu erhalten. Leider weist Stieda fast überall
ein Zurückgehen dieser Verbindung von Landwirtschaft und Hausindustrie nach,
kaum noch der fünfte Teil sämtlicher Hausiudustriellen betreibt zugleich auch
Landwirtschaft. Bei dem gegenseitigen Unterbieten im Lohn infolge der hoch¬
entwickelten Konkurrenz kann dies auch kein Wunder nehme», de»» unbestreitbar
ist Rvschers Ausspruch (III, S. 543): Wer abwechselnd webt und den Acker
bebaut, der wird schwerlich dieselbe Virtuosität erreichen, als wenn er sich einem
dieser Geschäfte allein widmete. Notgedrungen stellen daher die Hausarbeiter
die Landwirtschaft ein.

Günstiges läßt sich über de» sittlichen Zustand der Hausindustriellen
sagen, der größere Familienzusammenhang verfehlt seinen guten Einfluß
nicht. Die Kinder stehen länger unter der Aufsicht der Eltern, die
Mädchen insbesondre länger unter dein Schutze der Familie, i» der sie auch
ihre Arbeitszeit zubringe». Gerade die Verschiedenheit, vo» Arbeitsort und
Wohnung birgt für die Sittlichkeit der in de» Fabriken beschäftigte» Mädchen
die größten Gefahre».


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[0269] Die deutsche Hausindustrie in»in glaublich, wird aber durch auderlveite Erscheinungen unterstützt, daß, wie Thu» mitteilt, in der Aachener Tnchindustrie bis ans den heutigen Tag die Anwendung falschen Maßes eine Art ist, dein Arbeiter deu verdienten Lohn z» verkürzen. In der koburgischen Korbwaareuindustrie wird der zu verarbeitende Stoff zu einen: Preisaufschlag von fünf bis fünfzig Prozent vom Verleger dem Arbeiter übergeben. Ein entsetzliches Elend offenbaren die über die Lohnver¬ hältnisse handelnden Abschnitte unsers Buches. Unwillkürlich denkt anch der Nichtsozialisl bei solchen Zuständen an Lnssalles ehernes Lvhngesetz. In der Hausindustrie scheint der Arbeitslohn thatsächlich ein ans den notwendigen Lebensunterhalt, der gerade zur Lebeusfristuug und Fortpflanzung genügt, herabgedrückt zu sein. Ja man muß es mit Stiedn unbegreiflich finden, wie einzelne Arbeiterzweige bei ihren niedrigen Löhnen noch bestehen' können. Auch das Trucksystem spielt in der Hausindustrie noch eine bedeutende Rolle. Dies hängt allerdings mit der Praxis der Gerichte zusammen, insofern diese für die Hausindustrie die Anwendung der ^ 115, 119, 146, Ziffer 1 der Neichs- gewerbevrdnung häufig ablehnten, da sie in manchen Arten von Hausindustriellcn nicht Lohnarbeiter, sondern selbständige Gewerbetreibende erkennen zu, müssen glaubten. Seitdem aber das Reichsgericht, das gerade für die strafrechtliche Praxis eine einflußreiche Macht geworden ist, im entgegengesetzte» Sinne ent¬ schieden hat, wird auch in der Hausindustrie der Unfug der Naturallöhnnng bald aufhören. Einen besondern Vorteil der Hausarbeit glaubte man bisher in ihrer regel¬ mäßigen Verbindung mit der Landwirtschaft zu sehen, und dieser Vorteil vor der Fabrikarbeit ist auch nicht zu verkenne». Eine regelmäßige Bewegung in der freie» Natur gehört zu den besten Mittel», de» Körper gesund und den Geist auf deu richtige» Bahnen zu erhalten. Leider weist Stieda fast überall ein Zurückgehen dieser Verbindung von Landwirtschaft und Hausindustrie nach, kaum noch der fünfte Teil sämtlicher Hausiudustriellen betreibt zugleich auch Landwirtschaft. Bei dem gegenseitigen Unterbieten im Lohn infolge der hoch¬ entwickelten Konkurrenz kann dies auch kein Wunder nehme», de»» unbestreitbar ist Rvschers Ausspruch (III, S. 543): Wer abwechselnd webt und den Acker bebaut, der wird schwerlich dieselbe Virtuosität erreichen, als wenn er sich einem dieser Geschäfte allein widmete. Notgedrungen stellen daher die Hausarbeiter die Landwirtschaft ein. Günstiges läßt sich über de» sittlichen Zustand der Hausindustriellen sagen, der größere Familienzusammenhang verfehlt seinen guten Einfluß nicht. Die Kinder stehen länger unter der Aufsicht der Eltern, die Mädchen insbesondre länger unter dein Schutze der Familie, i» der sie auch ihre Arbeitszeit zubringe». Gerade die Verschiedenheit, vo» Arbeitsort und Wohnung birgt für die Sittlichkeit der in de» Fabriken beschäftigte» Mädchen die größten Gefahre».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/269>, abgerufen am 02.07.2024.