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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Kaiser in Swmlnil und Athen

den bestand. Er und seine Ratgeber köiinen i" der nächsten Zukunft keinen
Grund finden, der sie bewegen könnte, sich durch Beitritt zu einem gegen Ruß-
land abgeschlossenen Vertrage deu Zorn der einzigen Macht zuzuziehen, die ihr
in Wirklichkeit zu schadeii vermag und der sie eine Kriegsentschädigung schulden,
die sie niemals in Geld abtragen können, also, wenn um die Zahlung gedrängt
würde, mir mit Abtretung vou Gebiet -- etwa Erzerum "ut seiner Um¬
gebung -- ausgleichen können. Kein Zweifel, der jetzige Zar ist ein Mann
vou friedlicher Gesinnung, der Ruhe halten wird, so lange es ihm irgend
möglich ist, d, h, so lauge er die Macht behält, dem Drängen der pan-
slawislischen Parteien zu widerstehen. Er hat die Niederlage der Hoffnungen
dieser Parteien in Billgaren sicher mitempfunden, aber es vorsichtig unter¬
lassen, deshalb daS Schwert zu ziehen. Er sieht es nnter den Serben wie
in einem Hexenkessel brodeln und bleibt bei seiner Enthaltsamkeit. Die Re¬
publikaner in Paris bemühen sich muss angelegentlichste, ihm bei jeder Gelegen¬
heit zu huldigen, zu schmeicheln und ihn ihrer Liebe zu versichern, aber
nur jene Parteien erwidern diese wenig würdevollen, oft jüdisch zudringlichen
Anträge mit Wohlgefallen; er selbst bleibt kalt und starr. Er hat in der
letzten Zeit Frieden und Freundschaft mit dein alten Herrn im Vatikan ge¬
schlossen und er läßt sich durch den Dreibund, wiederholt überzeugt, daß dieser
durchaus nichts andres als Erhaltung des Friedens bezweckt lind betreibt, nicht
zur Ungeduld hinreißen. Immer jedoch steht hinter ihm, wie ein dunkles
Wettergewölk, ein überreiztes, begehrliches nationales Gefühl, das, wie es selbst
herausfordernd auftritt, für die geringste Herausforderung von andrer Seite
äußerst empfindlich ist, und dieses Gefühl würde sofort aufflammen und seine
Schranke" durchbrechen, wenn die Türkei sich zu einem offenen Schritt ent¬
schließen wollte, wie er in einem Eintritt in die Reihe der drei Zentralinächte
gegeben wäre. Das nichtamtliche, aber trotzdem einflußreiche Rußland würde
einen solchen Entschluß als einen Schlag ins Gesicht empfinden, und wir er¬
innern uns, wie es 1L77 den Zar Alexander II. zwang, gegen seinen Wunsch
und Willen dein Sultan den Krieg zu erklären. Wäre das jetzt vielleicht nicht
so leicht, so wäre es doch jedenfalls sehr möglich. Alle diese Betrachtungen
wird der Sultan angestellt haben, und nach allem, was wir vou ihm kennen,
ist er ein vorsichtiger Politiker, dem Wagnisse durchaus fernliegen. Unsre Frage
beantwortet sich infolge dessen kurz und bündig dahin: Der deutsche Kaiser hat
nicht daran denken können, die Türkei zum Anschluß an den Dreibund aufzu¬
fordern, und der Sultan würde, wenn dies geschehen wäre, die Aufforderung,
die übrigeus keinesfalls bei dem Besuche in Stambul stattgefunden haben könnte,
ablehnend beantwortet haben.

Die Sache steht, wenn wir sie uus noch etwas weiter klar machen,
folgendermaßen. Jede Ausdehnung des Dreibundes auf die Türkei würde
dessen Eharakter ganz wesentlich verändern, d. h. ihn ans einer Vereiuiguiig


Der Kaiser in Swmlnil und Athen

den bestand. Er und seine Ratgeber köiinen i» der nächsten Zukunft keinen
Grund finden, der sie bewegen könnte, sich durch Beitritt zu einem gegen Ruß-
land abgeschlossenen Vertrage deu Zorn der einzigen Macht zuzuziehen, die ihr
in Wirklichkeit zu schadeii vermag und der sie eine Kriegsentschädigung schulden,
die sie niemals in Geld abtragen können, also, wenn um die Zahlung gedrängt
würde, mir mit Abtretung vou Gebiet — etwa Erzerum »ut seiner Um¬
gebung — ausgleichen können. Kein Zweifel, der jetzige Zar ist ein Mann
vou friedlicher Gesinnung, der Ruhe halten wird, so lange es ihm irgend
möglich ist, d, h, so lauge er die Macht behält, dem Drängen der pan-
slawislischen Parteien zu widerstehen. Er hat die Niederlage der Hoffnungen
dieser Parteien in Billgaren sicher mitempfunden, aber es vorsichtig unter¬
lassen, deshalb daS Schwert zu ziehen. Er sieht es nnter den Serben wie
in einem Hexenkessel brodeln und bleibt bei seiner Enthaltsamkeit. Die Re¬
publikaner in Paris bemühen sich muss angelegentlichste, ihm bei jeder Gelegen¬
heit zu huldigen, zu schmeicheln und ihn ihrer Liebe zu versichern, aber
nur jene Parteien erwidern diese wenig würdevollen, oft jüdisch zudringlichen
Anträge mit Wohlgefallen; er selbst bleibt kalt und starr. Er hat in der
letzten Zeit Frieden und Freundschaft mit dein alten Herrn im Vatikan ge¬
schlossen und er läßt sich durch den Dreibund, wiederholt überzeugt, daß dieser
durchaus nichts andres als Erhaltung des Friedens bezweckt lind betreibt, nicht
zur Ungeduld hinreißen. Immer jedoch steht hinter ihm, wie ein dunkles
Wettergewölk, ein überreiztes, begehrliches nationales Gefühl, das, wie es selbst
herausfordernd auftritt, für die geringste Herausforderung von andrer Seite
äußerst empfindlich ist, und dieses Gefühl würde sofort aufflammen und seine
Schranke» durchbrechen, wenn die Türkei sich zu einem offenen Schritt ent¬
schließen wollte, wie er in einem Eintritt in die Reihe der drei Zentralinächte
gegeben wäre. Das nichtamtliche, aber trotzdem einflußreiche Rußland würde
einen solchen Entschluß als einen Schlag ins Gesicht empfinden, und wir er¬
innern uns, wie es 1L77 den Zar Alexander II. zwang, gegen seinen Wunsch
und Willen dein Sultan den Krieg zu erklären. Wäre das jetzt vielleicht nicht
so leicht, so wäre es doch jedenfalls sehr möglich. Alle diese Betrachtungen
wird der Sultan angestellt haben, und nach allem, was wir vou ihm kennen,
ist er ein vorsichtiger Politiker, dem Wagnisse durchaus fernliegen. Unsre Frage
beantwortet sich infolge dessen kurz und bündig dahin: Der deutsche Kaiser hat
nicht daran denken können, die Türkei zum Anschluß an den Dreibund aufzu¬
fordern, und der Sultan würde, wenn dies geschehen wäre, die Aufforderung,
die übrigeus keinesfalls bei dem Besuche in Stambul stattgefunden haben könnte,
ablehnend beantwortet haben.

Die Sache steht, wenn wir sie uus noch etwas weiter klar machen,
folgendermaßen. Jede Ausdehnung des Dreibundes auf die Türkei würde
dessen Eharakter ganz wesentlich verändern, d. h. ihn ans einer Vereiuiguiig


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[0261] Der Kaiser in Swmlnil und Athen den bestand. Er und seine Ratgeber köiinen i» der nächsten Zukunft keinen Grund finden, der sie bewegen könnte, sich durch Beitritt zu einem gegen Ruß- land abgeschlossenen Vertrage deu Zorn der einzigen Macht zuzuziehen, die ihr in Wirklichkeit zu schadeii vermag und der sie eine Kriegsentschädigung schulden, die sie niemals in Geld abtragen können, also, wenn um die Zahlung gedrängt würde, mir mit Abtretung vou Gebiet — etwa Erzerum »ut seiner Um¬ gebung — ausgleichen können. Kein Zweifel, der jetzige Zar ist ein Mann vou friedlicher Gesinnung, der Ruhe halten wird, so lange es ihm irgend möglich ist, d, h, so lauge er die Macht behält, dem Drängen der pan- slawislischen Parteien zu widerstehen. Er hat die Niederlage der Hoffnungen dieser Parteien in Billgaren sicher mitempfunden, aber es vorsichtig unter¬ lassen, deshalb daS Schwert zu ziehen. Er sieht es nnter den Serben wie in einem Hexenkessel brodeln und bleibt bei seiner Enthaltsamkeit. Die Re¬ publikaner in Paris bemühen sich muss angelegentlichste, ihm bei jeder Gelegen¬ heit zu huldigen, zu schmeicheln und ihn ihrer Liebe zu versichern, aber nur jene Parteien erwidern diese wenig würdevollen, oft jüdisch zudringlichen Anträge mit Wohlgefallen; er selbst bleibt kalt und starr. Er hat in der letzten Zeit Frieden und Freundschaft mit dein alten Herrn im Vatikan ge¬ schlossen und er läßt sich durch den Dreibund, wiederholt überzeugt, daß dieser durchaus nichts andres als Erhaltung des Friedens bezweckt lind betreibt, nicht zur Ungeduld hinreißen. Immer jedoch steht hinter ihm, wie ein dunkles Wettergewölk, ein überreiztes, begehrliches nationales Gefühl, das, wie es selbst herausfordernd auftritt, für die geringste Herausforderung von andrer Seite äußerst empfindlich ist, und dieses Gefühl würde sofort aufflammen und seine Schranke» durchbrechen, wenn die Türkei sich zu einem offenen Schritt ent¬ schließen wollte, wie er in einem Eintritt in die Reihe der drei Zentralinächte gegeben wäre. Das nichtamtliche, aber trotzdem einflußreiche Rußland würde einen solchen Entschluß als einen Schlag ins Gesicht empfinden, und wir er¬ innern uns, wie es 1L77 den Zar Alexander II. zwang, gegen seinen Wunsch und Willen dein Sultan den Krieg zu erklären. Wäre das jetzt vielleicht nicht so leicht, so wäre es doch jedenfalls sehr möglich. Alle diese Betrachtungen wird der Sultan angestellt haben, und nach allem, was wir vou ihm kennen, ist er ein vorsichtiger Politiker, dem Wagnisse durchaus fernliegen. Unsre Frage beantwortet sich infolge dessen kurz und bündig dahin: Der deutsche Kaiser hat nicht daran denken können, die Türkei zum Anschluß an den Dreibund aufzu¬ fordern, und der Sultan würde, wenn dies geschehen wäre, die Aufforderung, die übrigeus keinesfalls bei dem Besuche in Stambul stattgefunden haben könnte, ablehnend beantwortet haben. Die Sache steht, wenn wir sie uus noch etwas weiter klar machen, folgendermaßen. Jede Ausdehnung des Dreibundes auf die Türkei würde dessen Eharakter ganz wesentlich verändern, d. h. ihn ans einer Vereiuiguiig

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/261>, abgerufen am 02.07.2024.