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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Der Kaiser in Swmlnil und Athen

ziemlich klar, ja selbstverständlich, das; sie gegenseitige Verteidigung der Grenzen
der verbündeten Staaten, wie sie dermalen die Karte Europas ausweist, ein¬
schließen, sodaß weder das deutsche Reich noch Österreich-Ungarn noch auch
Italien irgendwelche" Gebietsverlust erleiden kann, so lange sie zusammenhalten
und erfolgreich mit einander dem Gegner die Spitze bieten. Ist es aber nach
^'age der Dinge glaublich, daß sie dem ottomanische" Reiche als Vierten im
Bunde ähnliche Bürgschafte" oder gar gleiche darbieten können? Die asiatischen
Grenzen des Gebiets, über das der Padischa herrscht, stoßen an die des russi-
schen, liegen aber weit außerhalb des Bereiches der Kanonen und Panzerschiffe
des Dreibundes, des bekannten pommerschen Grenadiers, des steirischen Jägers,
des ungarischen Husaren und der Bersaglieri des Königs Umberto. Ohne
Zweifel könnte anderseits der Bundesgenosse mit dem Fez den gemeinsamen
Gegner bis zu einem gewissen Grade schädigen, festhalten und beschäftigen, also
von der Entwicklung aller seiner Kräfte gegen Deutschland und Osterreich ab¬
lenken, aber er würde das praktisch mehr oder minder vereinzelt, vo" de"
Verbündeten getrennt zu versuchen haben und mit der höchsten Gefahr für sich
selbst. Es wäre die Fabel von dem Bündnisse des Zwerges und des Niese".
Diese waren Sieger über ihre gemeinschaftlichen Feinde, aber nur der Riese
trug Ehre davon, während sein kleiner Waffenbruder in dem glorreichen Kampfe
znerst ein Bein, da"" einen Arm und schließlich auch ein Auge einbüßte. Die
Türkei ist, verglichen mit de" Mächte" deS Dreibundes, militärisch el" Klein¬
staat, und wenn jene wahrscheinlich siegen würden, so könnte sie leicht als
Krüppel ans dem Kriege hervorgehen. Sie könnte Armenien verlieren, das
vo" mißvergnügteil Christen bewohnt ist und Rußlands Soldaten als Be¬
freier von kurdischer Mißhandlung und , vsmanischer Mißwirtschaft be¬
grüßen würde. Was die europäischen Besitzungen des Sultans betrifft,
die 1878 so zusammengeschrumpft sind, oder die die Mächte damals,
"in eine" Ausdruck Veaeonsfields zu brauchen, so konsolidirt haben, so haben
sie, abgesehen von der Hauptstadt mit den" Bosporus und den Dardanellen,
für die Pforte nur noch geringes, jedenfalls weit weniger Interesse als früher.
Das Vordringe" der Griechen gegen Salvnik, vorläufig noch frommer Wunsch
und Thema vo" panhellenischen Zeituugspredigten, berührt die Staatsmänner
vo" Stambul nicht so sehr als die Annahme, ihre Kollegen i" Wien und Pest
betrachteten es als ihr zukünftiges Trieft nur ägeische" Meere. Deshalb hätte
jede Verpflichtung der Diplomatie des Dreibundes, die europäische Türkei vor
weitern Gebietsverlnsten zu schützen, mir müßigen Wert, während die Be¬
sitzungen des Sultans in Asien außerhalb der Sphäre seines militärische"
Wirkungskreises liegen würden. Die drei Verbündete" wäre" folglich nicht
wohl imstande, dein Großherr" die einzige Bürgschaft zu geben, die ihn ver¬
anlassen könnte, sich von der Politik zu entfernen, die er seit dein Frieden
von 1878 befolgt hat ""d die in strengster Neutralität und passiver Wachsam-


Der Kaiser in Swmlnil und Athen

ziemlich klar, ja selbstverständlich, das; sie gegenseitige Verteidigung der Grenzen
der verbündeten Staaten, wie sie dermalen die Karte Europas ausweist, ein¬
schließen, sodaß weder das deutsche Reich noch Österreich-Ungarn noch auch
Italien irgendwelche» Gebietsverlust erleiden kann, so lange sie zusammenhalten
und erfolgreich mit einander dem Gegner die Spitze bieten. Ist es aber nach
^'age der Dinge glaublich, daß sie dem ottomanische» Reiche als Vierten im
Bunde ähnliche Bürgschafte» oder gar gleiche darbieten können? Die asiatischen
Grenzen des Gebiets, über das der Padischa herrscht, stoßen an die des russi-
schen, liegen aber weit außerhalb des Bereiches der Kanonen und Panzerschiffe
des Dreibundes, des bekannten pommerschen Grenadiers, des steirischen Jägers,
des ungarischen Husaren und der Bersaglieri des Königs Umberto. Ohne
Zweifel könnte anderseits der Bundesgenosse mit dem Fez den gemeinsamen
Gegner bis zu einem gewissen Grade schädigen, festhalten und beschäftigen, also
von der Entwicklung aller seiner Kräfte gegen Deutschland und Osterreich ab¬
lenken, aber er würde das praktisch mehr oder minder vereinzelt, vo» de»
Verbündeten getrennt zu versuchen haben und mit der höchsten Gefahr für sich
selbst. Es wäre die Fabel von dem Bündnisse des Zwerges und des Niese».
Diese waren Sieger über ihre gemeinschaftlichen Feinde, aber nur der Riese
trug Ehre davon, während sein kleiner Waffenbruder in dem glorreichen Kampfe
znerst ein Bein, da»» einen Arm und schließlich auch ein Auge einbüßte. Die
Türkei ist, verglichen mit de» Mächte» deS Dreibundes, militärisch el» Klein¬
staat, und wenn jene wahrscheinlich siegen würden, so könnte sie leicht als
Krüppel ans dem Kriege hervorgehen. Sie könnte Armenien verlieren, das
vo» mißvergnügteil Christen bewohnt ist und Rußlands Soldaten als Be¬
freier von kurdischer Mißhandlung und , vsmanischer Mißwirtschaft be¬
grüßen würde. Was die europäischen Besitzungen des Sultans betrifft,
die 1878 so zusammengeschrumpft sind, oder die die Mächte damals,
»in eine» Ausdruck Veaeonsfields zu brauchen, so konsolidirt haben, so haben
sie, abgesehen von der Hauptstadt mit den» Bosporus und den Dardanellen,
für die Pforte nur noch geringes, jedenfalls weit weniger Interesse als früher.
Das Vordringe» der Griechen gegen Salvnik, vorläufig noch frommer Wunsch
und Thema vo» panhellenischen Zeituugspredigten, berührt die Staatsmänner
vo» Stambul nicht so sehr als die Annahme, ihre Kollegen i» Wien und Pest
betrachteten es als ihr zukünftiges Trieft nur ägeische» Meere. Deshalb hätte
jede Verpflichtung der Diplomatie des Dreibundes, die europäische Türkei vor
weitern Gebietsverlnsten zu schützen, mir müßigen Wert, während die Be¬
sitzungen des Sultans in Asien außerhalb der Sphäre seines militärische»
Wirkungskreises liegen würden. Die drei Verbündete» wäre» folglich nicht
wohl imstande, dein Großherr» die einzige Bürgschaft zu geben, die ihn ver¬
anlassen könnte, sich von der Politik zu entfernen, die er seit dein Frieden
von 1878 befolgt hat »»d die in strengster Neutralität und passiver Wachsam-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/260>, abgerufen am 02.07.2024.