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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

ist ja wie toll hinter dir her gewesen schon als Junge, der wird besser als
mancher andre, wenn er nnr richtig gezogen wird. Niemand weiß, wie bald
wir auf dem Kirchhof liegen, und da wäre es doch gut, dich versorgt zu wissen,
lind so ein Kerl wie Jesper, Martha, der kommt dir nicht jeden Tag vor die
Thür gelaufen, das kannst du mir glauben. Wenn du also meinen Rat be¬
folgen willst -- und ich habe in meinem laugen Leben genug von der Welt
gesehen und verstehe mich auf dergleichen --, so bedenke dich recht, ehe du eine
andre Antwort giebst als "Ja" und "Gott sei Dank!" Das ist meine Ansicht
von der Sache!

Damit steckte er den Zeigefinger in den Pfeifenkopf und sog den Dampf
in zwei, drei kräftigen Zügen auf.

Mnrtha hatte ein Paarmal zu ihm aufgeblickt und die innige Teilnahme
gesehen, die ihm aus allen Zügen leuchtete. Sie lächelte wehmütig. War sie
nicht anch selber müde? Hatte der Alte nicht im Grunde Recht? Verheiraten
mußte sie sich ja doch einmal, und was kam es da auf den Namen an? Hans
Peter -- Jens Peter -- Kersten - - Jesper -- welcher Unterschied war denn
da schließlich? Und war es überhaupt der Mühe wert, um deswillen, der ihr
vielleicht um wenigsten gleichgiltig war, Umstände zu machen?

Sie Kumte einen kleinen Müllergesellen,, der ihr eines Tages bei der Kirche
seine Liebe erklärt hatte, und dem sie sich vielleicht lieber hingegeben Hütte.
Aber ihr graute bei dem Gedanken an all den Lärm und Unfrieden, den sie
dadurch veranlaßt hätte, bei dem Gedanken an Jespers Wut und an die be¬
trübten Mienen und die Enttäuschung ihrer alten Freunde. Sie kam sich
selber so überflüssig vor bei der gauzeu Sache, all das Gerede war ihr so
widerwärtig, daß sie schließlich gar nicht mehr daran denken mochte.

Eines Abends, als sie zufällig zusammen ans der Stadt nach Hanse
gingen, gab sie Jesper ihr Jawort.

Aber von diesem Tage an schlugen die dunkeln Wogen des Trübsinns
über ihrem Haupte zusammen. Eine tote, kalte, steinerne Ruhe kam über
sie. Es war, als wäre sie mit einem Schlage erwachsen, entschlossen und
verständig geworden, wie der, der fühlt, daß die Zeit der Kinderschuhe
vorbei ist und nun der lange, ununterbrochene Lebensweg abgesteckt vor seinen
Angen liegt.

Und wenn sie einsam an ihrem Fenster saß, erzählte auch ihr Blick, daß
sie alles aufgegeben, alles vergessen hatte, daß sie sich still und ohne Murren
in ihr Schicksal ergab.

Nur die Mutter mied sie. Sie spräche" kaum mehr mit einander. Wie
ein paar Schatten glitten sie in der grnbesähnlicheu Dämmerung der großen
Räume mit fremdem Blick an einander vorüber.

Aber bei der Gabe der Schwermut, die Gedanken zu beschäftigen, fühlte
sie nicht, wie die Stunden über ihrem Haupte dahinglitten. Während der


Junge Liebe

ist ja wie toll hinter dir her gewesen schon als Junge, der wird besser als
mancher andre, wenn er nnr richtig gezogen wird. Niemand weiß, wie bald
wir auf dem Kirchhof liegen, und da wäre es doch gut, dich versorgt zu wissen,
lind so ein Kerl wie Jesper, Martha, der kommt dir nicht jeden Tag vor die
Thür gelaufen, das kannst du mir glauben. Wenn du also meinen Rat be¬
folgen willst — und ich habe in meinem laugen Leben genug von der Welt
gesehen und verstehe mich auf dergleichen —, so bedenke dich recht, ehe du eine
andre Antwort giebst als „Ja" und „Gott sei Dank!" Das ist meine Ansicht
von der Sache!

Damit steckte er den Zeigefinger in den Pfeifenkopf und sog den Dampf
in zwei, drei kräftigen Zügen auf.

Mnrtha hatte ein Paarmal zu ihm aufgeblickt und die innige Teilnahme
gesehen, die ihm aus allen Zügen leuchtete. Sie lächelte wehmütig. War sie
nicht anch selber müde? Hatte der Alte nicht im Grunde Recht? Verheiraten
mußte sie sich ja doch einmal, und was kam es da auf den Namen an? Hans
Peter — Jens Peter — Kersten - - Jesper — welcher Unterschied war denn
da schließlich? Und war es überhaupt der Mühe wert, um deswillen, der ihr
vielleicht um wenigsten gleichgiltig war, Umstände zu machen?

Sie Kumte einen kleinen Müllergesellen,, der ihr eines Tages bei der Kirche
seine Liebe erklärt hatte, und dem sie sich vielleicht lieber hingegeben Hütte.
Aber ihr graute bei dem Gedanken an all den Lärm und Unfrieden, den sie
dadurch veranlaßt hätte, bei dem Gedanken an Jespers Wut und an die be¬
trübten Mienen und die Enttäuschung ihrer alten Freunde. Sie kam sich
selber so überflüssig vor bei der gauzeu Sache, all das Gerede war ihr so
widerwärtig, daß sie schließlich gar nicht mehr daran denken mochte.

Eines Abends, als sie zufällig zusammen ans der Stadt nach Hanse
gingen, gab sie Jesper ihr Jawort.

Aber von diesem Tage an schlugen die dunkeln Wogen des Trübsinns
über ihrem Haupte zusammen. Eine tote, kalte, steinerne Ruhe kam über
sie. Es war, als wäre sie mit einem Schlage erwachsen, entschlossen und
verständig geworden, wie der, der fühlt, daß die Zeit der Kinderschuhe
vorbei ist und nun der lange, ununterbrochene Lebensweg abgesteckt vor seinen
Angen liegt.

Und wenn sie einsam an ihrem Fenster saß, erzählte auch ihr Blick, daß
sie alles aufgegeben, alles vergessen hatte, daß sie sich still und ohne Murren
in ihr Schicksal ergab.

Nur die Mutter mied sie. Sie spräche» kaum mehr mit einander. Wie
ein paar Schatten glitten sie in der grnbesähnlicheu Dämmerung der großen
Räume mit fremdem Blick an einander vorüber.

Aber bei der Gabe der Schwermut, die Gedanken zu beschäftigen, fühlte
sie nicht, wie die Stunden über ihrem Haupte dahinglitten. Während der


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[0250] Junge Liebe ist ja wie toll hinter dir her gewesen schon als Junge, der wird besser als mancher andre, wenn er nnr richtig gezogen wird. Niemand weiß, wie bald wir auf dem Kirchhof liegen, und da wäre es doch gut, dich versorgt zu wissen, lind so ein Kerl wie Jesper, Martha, der kommt dir nicht jeden Tag vor die Thür gelaufen, das kannst du mir glauben. Wenn du also meinen Rat be¬ folgen willst — und ich habe in meinem laugen Leben genug von der Welt gesehen und verstehe mich auf dergleichen —, so bedenke dich recht, ehe du eine andre Antwort giebst als „Ja" und „Gott sei Dank!" Das ist meine Ansicht von der Sache! Damit steckte er den Zeigefinger in den Pfeifenkopf und sog den Dampf in zwei, drei kräftigen Zügen auf. Mnrtha hatte ein Paarmal zu ihm aufgeblickt und die innige Teilnahme gesehen, die ihm aus allen Zügen leuchtete. Sie lächelte wehmütig. War sie nicht anch selber müde? Hatte der Alte nicht im Grunde Recht? Verheiraten mußte sie sich ja doch einmal, und was kam es da auf den Namen an? Hans Peter — Jens Peter — Kersten - - Jesper — welcher Unterschied war denn da schließlich? Und war es überhaupt der Mühe wert, um deswillen, der ihr vielleicht um wenigsten gleichgiltig war, Umstände zu machen? Sie Kumte einen kleinen Müllergesellen,, der ihr eines Tages bei der Kirche seine Liebe erklärt hatte, und dem sie sich vielleicht lieber hingegeben Hütte. Aber ihr graute bei dem Gedanken an all den Lärm und Unfrieden, den sie dadurch veranlaßt hätte, bei dem Gedanken an Jespers Wut und an die be¬ trübten Mienen und die Enttäuschung ihrer alten Freunde. Sie kam sich selber so überflüssig vor bei der gauzeu Sache, all das Gerede war ihr so widerwärtig, daß sie schließlich gar nicht mehr daran denken mochte. Eines Abends, als sie zufällig zusammen ans der Stadt nach Hanse gingen, gab sie Jesper ihr Jawort. Aber von diesem Tage an schlugen die dunkeln Wogen des Trübsinns über ihrem Haupte zusammen. Eine tote, kalte, steinerne Ruhe kam über sie. Es war, als wäre sie mit einem Schlage erwachsen, entschlossen und verständig geworden, wie der, der fühlt, daß die Zeit der Kinderschuhe vorbei ist und nun der lange, ununterbrochene Lebensweg abgesteckt vor seinen Angen liegt. Und wenn sie einsam an ihrem Fenster saß, erzählte auch ihr Blick, daß sie alles aufgegeben, alles vergessen hatte, daß sie sich still und ohne Murren in ihr Schicksal ergab. Nur die Mutter mied sie. Sie spräche» kaum mehr mit einander. Wie ein paar Schatten glitten sie in der grnbesähnlicheu Dämmerung der großen Räume mit fremdem Blick an einander vorüber. Aber bei der Gabe der Schwermut, die Gedanken zu beschäftigen, fühlte sie nicht, wie die Stunden über ihrem Haupte dahinglitten. Während der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/250>, abgerufen am 30.06.2024.