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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

wichtigen Zwecke in das Buch einzutragen, das der Standesbeamte mit ge¬
schäftiger Miene ihr vorlegt, mau sieht die Gedanken der Alten darüber auf
ihren Gesichtern ausgeprägt, man sieht, daß die Mädchen sich über den Vor¬
gang etwas zuraunen, nud versteht, was sie meinen, man sieht den jungen
Burschen sie lächelnd betrachte" und wünschen, auch bald so weit zu sein, und
eine von diesen da wäre ihm gerade recht. Wem ist damit gedient, wenn man
einen Gegenstand so genau wie möglich abmalt? Sich mit dem Ruhm be¬
gnügen, ihn staunenswert getreu wiedergegeben zu haben, ist wahrlich klein
gedacht. Die geistige, nicht die mechanische Arbeit ist an einem Bilde das
wahrhaft Künstlerische. Die Form ist nur für den Inhalt da, und ihn in ein
möglichst geistreiches oder schönes Gewand zu kleiden, ist ihre Aufgabe. Der
Künstler soll gleichzeitig ein Dichter sein. Wohl kann man auch mit der Form
und nicht nur mit dem geistigen Gehalt dichten. Dichtung der Form ist die Kom¬
position in den bildenden Künsten. Aber das vergesse man nie, die Naturformen
müssen die Grundlage bilden, die muß mau schön oder geistreich zusammenstellen,
nicht neue, widernatürliche Formen aufsuchen; dabei kommt man zu solchen Ab¬
surditäten wie Böcklin, der auf diese Weise vielen die Freude an seinem großen
Talent beschneidet.

(Schluß folgt)




Junge Liebe
Henrik Pontoppidan Idyll von
Aus dem Dänische" übersetzt von Mathilde Mann
(Fortsetzung)

le Kanuner lag im entgegengesetzten Ende des Hauses und war ein
kleinerer, länglicher Raum mit einem Fenster nach der Schlucht
hinaus und einer alten Giebelthür, die in früheren Zeiten als
Eingang für die Fahrleute benutzt worden, aber jetzt durch
jeine Eiseustange verschlossen war. Neben dieser Thür stand das
Bett; den übrigen Hausrat bildeten ein Tisch und ein dreibeiniger Stuhl. Die
Wände waren von rohem Lehnt ebenso wie der Fußboden, in dessen Fläche
die Feuchtigkeit und langjähriger Gebrauch große Vertiefungen gebildet hatten;
aber dessenungeachtet sah es hier -- im Gegensatz zu dem übrigen Teile des
Hauses -- ganz sauber und ordentlich, ja beinahe gemütlich ans.


Junge Liebe

wichtigen Zwecke in das Buch einzutragen, das der Standesbeamte mit ge¬
schäftiger Miene ihr vorlegt, mau sieht die Gedanken der Alten darüber auf
ihren Gesichtern ausgeprägt, man sieht, daß die Mädchen sich über den Vor¬
gang etwas zuraunen, nud versteht, was sie meinen, man sieht den jungen
Burschen sie lächelnd betrachte» und wünschen, auch bald so weit zu sein, und
eine von diesen da wäre ihm gerade recht. Wem ist damit gedient, wenn man
einen Gegenstand so genau wie möglich abmalt? Sich mit dem Ruhm be¬
gnügen, ihn staunenswert getreu wiedergegeben zu haben, ist wahrlich klein
gedacht. Die geistige, nicht die mechanische Arbeit ist an einem Bilde das
wahrhaft Künstlerische. Die Form ist nur für den Inhalt da, und ihn in ein
möglichst geistreiches oder schönes Gewand zu kleiden, ist ihre Aufgabe. Der
Künstler soll gleichzeitig ein Dichter sein. Wohl kann man auch mit der Form
und nicht nur mit dem geistigen Gehalt dichten. Dichtung der Form ist die Kom¬
position in den bildenden Künsten. Aber das vergesse man nie, die Naturformen
müssen die Grundlage bilden, die muß mau schön oder geistreich zusammenstellen,
nicht neue, widernatürliche Formen aufsuchen; dabei kommt man zu solchen Ab¬
surditäten wie Böcklin, der auf diese Weise vielen die Freude an seinem großen
Talent beschneidet.

(Schluß folgt)




Junge Liebe
Henrik Pontoppidan Idyll von
Aus dem Dänische» übersetzt von Mathilde Mann
(Fortsetzung)

le Kanuner lag im entgegengesetzten Ende des Hauses und war ein
kleinerer, länglicher Raum mit einem Fenster nach der Schlucht
hinaus und einer alten Giebelthür, die in früheren Zeiten als
Eingang für die Fahrleute benutzt worden, aber jetzt durch
jeine Eiseustange verschlossen war. Neben dieser Thür stand das
Bett; den übrigen Hausrat bildeten ein Tisch und ein dreibeiniger Stuhl. Die
Wände waren von rohem Lehnt ebenso wie der Fußboden, in dessen Fläche
die Feuchtigkeit und langjähriger Gebrauch große Vertiefungen gebildet hatten;
aber dessenungeachtet sah es hier — im Gegensatz zu dem übrigen Teile des
Hauses — ganz sauber und ordentlich, ja beinahe gemütlich ans.


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[0245] Junge Liebe wichtigen Zwecke in das Buch einzutragen, das der Standesbeamte mit ge¬ schäftiger Miene ihr vorlegt, mau sieht die Gedanken der Alten darüber auf ihren Gesichtern ausgeprägt, man sieht, daß die Mädchen sich über den Vor¬ gang etwas zuraunen, nud versteht, was sie meinen, man sieht den jungen Burschen sie lächelnd betrachte» und wünschen, auch bald so weit zu sein, und eine von diesen da wäre ihm gerade recht. Wem ist damit gedient, wenn man einen Gegenstand so genau wie möglich abmalt? Sich mit dem Ruhm be¬ gnügen, ihn staunenswert getreu wiedergegeben zu haben, ist wahrlich klein gedacht. Die geistige, nicht die mechanische Arbeit ist an einem Bilde das wahrhaft Künstlerische. Die Form ist nur für den Inhalt da, und ihn in ein möglichst geistreiches oder schönes Gewand zu kleiden, ist ihre Aufgabe. Der Künstler soll gleichzeitig ein Dichter sein. Wohl kann man auch mit der Form und nicht nur mit dem geistigen Gehalt dichten. Dichtung der Form ist die Kom¬ position in den bildenden Künsten. Aber das vergesse man nie, die Naturformen müssen die Grundlage bilden, die muß mau schön oder geistreich zusammenstellen, nicht neue, widernatürliche Formen aufsuchen; dabei kommt man zu solchen Ab¬ surditäten wie Böcklin, der auf diese Weise vielen die Freude an seinem großen Talent beschneidet. (Schluß folgt) Junge Liebe Henrik Pontoppidan Idyll von Aus dem Dänische» übersetzt von Mathilde Mann (Fortsetzung) le Kanuner lag im entgegengesetzten Ende des Hauses und war ein kleinerer, länglicher Raum mit einem Fenster nach der Schlucht hinaus und einer alten Giebelthür, die in früheren Zeiten als Eingang für die Fahrleute benutzt worden, aber jetzt durch jeine Eiseustange verschlossen war. Neben dieser Thür stand das Bett; den übrigen Hausrat bildeten ein Tisch und ein dreibeiniger Stuhl. Die Wände waren von rohem Lehnt ebenso wie der Fußboden, in dessen Fläche die Feuchtigkeit und langjähriger Gebrauch große Vertiefungen gebildet hatten; aber dessenungeachtet sah es hier — im Gegensatz zu dem übrigen Teile des Hauses — ganz sauber und ordentlich, ja beinahe gemütlich ans.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/245>, abgerufen am 28.06.2024.