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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Döervt^MnZ, der dritte in Loclios und der letzte die Institutionen. Dieser
sollte sich zugleich als Armenadvokat, die drei andern als Beisitzer beim Hof-
gericht gebrauchen lassen. Die medizinische Fakultät in Wittenberg hatte an¬
fänglich nur einen, dann zwei, von 1536 an drei ordentliche Professoren; der
erste las über "die nützlichsten Bücher des Hippokrates und Galenus," der
zweite über Rhazes und Avicenna, der dritte über "anatomische Bücher."

Am meisten verändert wurde durch Melcmchthons Umbildung der mittel¬
alterlichen Universität die Fakultät der Artisten oder Philosophen, die er als
"Ursprung und Stamm der andern" bezeichnet. Sie hatte zehn "Lektoren,"
die ein Kollegium bildeten, und unter die von 1546 an die Vorlesungen in
folgender Weise verteilt waren. Von den beiden ersten las der eine über
Dialektik und Rhetorik, der andre über Physik und das zweite Buch des Plinius,
von den beiden. Mathematikern der eine über die Elemente, Arithmetik und die
Sphäre des Johannes de Sacro Bufeo, der andre über Euklid, I'usorioci,
?lMvwiuiu und über ?to1öwaei magnam. vonstruotioveM. Die beiden Lektoren
für die lateinische Sprache hatten die wichtigsten römischen Dichter und die Haupt¬
schriften Cieeros auszulegen und sich daneben zu befleißigen, gute lateinische
Prosa und Verse zu schreiben. Siebenter Lektor war der "Pädagog," dem es
oblag, die lateinische Grammatik zu repetiren und den Terenz, einige Stücke
des Plautus und andre der jugendlichen Fassungskraft angemessene Schriften
auszulegen, "aus denen man lateinisch sprechen lernen kann." Der achte Lektor
war der Physikus, der die Physik des Aristoteles und den Dioskorides zu
erklären hatte, auch die Botanik vertrat. Der neunte las hebräische Grammatik
und daneben die Genesis, den Psalter, die Sprüche Salomonis, Jesaias, Jonas
und Daniel. Der zehnte endlich war der Gräcist, der zunächst über griechische
Grammatik zu lesen, dann Homer, Hesiod, Sophokles, Euripides, Theokrit.
einige Demosthenische Reden und einen griechischen Geschichtschreiber zu erklären
hatte. Zuweilen sollte er auch einen Paulinischen Brief vornehmen; zugleich
aber sollte er die Ethik des Aristoteles Wort für Wort erläutern und dabei
"sorgfältig die Arten der Lehre auseinander halten," d. h. das Gesetz Gottes
und das Evangelium und die Vorschriften der Philosophen über bürgerliche
Sitten. Die wissenschaftliche Befähigung genügte nicht zur Aufnahme unter
die Lehrer dieser Fakultät, es bedürfte auch einer gewissen theologischen, d. h.
der Anerkennung des Daseins Gottes und des Glaubens an Jesus Christus,
den Sohn Gottes, wogegen der Lehre vom rechtfertigenden Glauben nicht
Erwähnung geschieht, sodaß auch ein gläubiger Katholik Mitglied der Fakultät
werden konnte, wenn auch nur der Theorie nach. Die Legenden sollten die
Philosophie so vortragen, daß sie die Lehre des Evangeliums nicht verderben,
noch durch Fürwitz oder Leichtfertigkeit Meinungen erzeugen, die gegen Gott
sind, "wie an den hohen Schulen andrer Völker," wobei namentlich vor
Epitüreismus gewarnt wird. "Sollte sich aber einer widerspenstig erweisen,


Grenzboten IV 188S 29
Der <^tira!ki>isL

Döervt^MnZ, der dritte in Loclios und der letzte die Institutionen. Dieser
sollte sich zugleich als Armenadvokat, die drei andern als Beisitzer beim Hof-
gericht gebrauchen lassen. Die medizinische Fakultät in Wittenberg hatte an¬
fänglich nur einen, dann zwei, von 1536 an drei ordentliche Professoren; der
erste las über „die nützlichsten Bücher des Hippokrates und Galenus," der
zweite über Rhazes und Avicenna, der dritte über „anatomische Bücher."

Am meisten verändert wurde durch Melcmchthons Umbildung der mittel¬
alterlichen Universität die Fakultät der Artisten oder Philosophen, die er als
„Ursprung und Stamm der andern" bezeichnet. Sie hatte zehn „Lektoren,"
die ein Kollegium bildeten, und unter die von 1546 an die Vorlesungen in
folgender Weise verteilt waren. Von den beiden ersten las der eine über
Dialektik und Rhetorik, der andre über Physik und das zweite Buch des Plinius,
von den beiden. Mathematikern der eine über die Elemente, Arithmetik und die
Sphäre des Johannes de Sacro Bufeo, der andre über Euklid, I'usorioci,
?lMvwiuiu und über ?to1öwaei magnam. vonstruotioveM. Die beiden Lektoren
für die lateinische Sprache hatten die wichtigsten römischen Dichter und die Haupt¬
schriften Cieeros auszulegen und sich daneben zu befleißigen, gute lateinische
Prosa und Verse zu schreiben. Siebenter Lektor war der „Pädagog," dem es
oblag, die lateinische Grammatik zu repetiren und den Terenz, einige Stücke
des Plautus und andre der jugendlichen Fassungskraft angemessene Schriften
auszulegen, „aus denen man lateinisch sprechen lernen kann." Der achte Lektor
war der Physikus, der die Physik des Aristoteles und den Dioskorides zu
erklären hatte, auch die Botanik vertrat. Der neunte las hebräische Grammatik
und daneben die Genesis, den Psalter, die Sprüche Salomonis, Jesaias, Jonas
und Daniel. Der zehnte endlich war der Gräcist, der zunächst über griechische
Grammatik zu lesen, dann Homer, Hesiod, Sophokles, Euripides, Theokrit.
einige Demosthenische Reden und einen griechischen Geschichtschreiber zu erklären
hatte. Zuweilen sollte er auch einen Paulinischen Brief vornehmen; zugleich
aber sollte er die Ethik des Aristoteles Wort für Wort erläutern und dabei
„sorgfältig die Arten der Lehre auseinander halten," d. h. das Gesetz Gottes
und das Evangelium und die Vorschriften der Philosophen über bürgerliche
Sitten. Die wissenschaftliche Befähigung genügte nicht zur Aufnahme unter
die Lehrer dieser Fakultät, es bedürfte auch einer gewissen theologischen, d. h.
der Anerkennung des Daseins Gottes und des Glaubens an Jesus Christus,
den Sohn Gottes, wogegen der Lehre vom rechtfertigenden Glauben nicht
Erwähnung geschieht, sodaß auch ein gläubiger Katholik Mitglied der Fakultät
werden konnte, wenn auch nur der Theorie nach. Die Legenden sollten die
Philosophie so vortragen, daß sie die Lehre des Evangeliums nicht verderben,
noch durch Fürwitz oder Leichtfertigkeit Meinungen erzeugen, die gegen Gott
sind, „wie an den hohen Schulen andrer Völker," wobei namentlich vor
Epitüreismus gewarnt wird. „Sollte sich aber einer widerspenstig erweisen,


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[0233] Der <^tira!ki>isL Döervt^MnZ, der dritte in Loclios und der letzte die Institutionen. Dieser sollte sich zugleich als Armenadvokat, die drei andern als Beisitzer beim Hof- gericht gebrauchen lassen. Die medizinische Fakultät in Wittenberg hatte an¬ fänglich nur einen, dann zwei, von 1536 an drei ordentliche Professoren; der erste las über „die nützlichsten Bücher des Hippokrates und Galenus," der zweite über Rhazes und Avicenna, der dritte über „anatomische Bücher." Am meisten verändert wurde durch Melcmchthons Umbildung der mittel¬ alterlichen Universität die Fakultät der Artisten oder Philosophen, die er als „Ursprung und Stamm der andern" bezeichnet. Sie hatte zehn „Lektoren," die ein Kollegium bildeten, und unter die von 1546 an die Vorlesungen in folgender Weise verteilt waren. Von den beiden ersten las der eine über Dialektik und Rhetorik, der andre über Physik und das zweite Buch des Plinius, von den beiden. Mathematikern der eine über die Elemente, Arithmetik und die Sphäre des Johannes de Sacro Bufeo, der andre über Euklid, I'usorioci, ?lMvwiuiu und über ?to1öwaei magnam. vonstruotioveM. Die beiden Lektoren für die lateinische Sprache hatten die wichtigsten römischen Dichter und die Haupt¬ schriften Cieeros auszulegen und sich daneben zu befleißigen, gute lateinische Prosa und Verse zu schreiben. Siebenter Lektor war der „Pädagog," dem es oblag, die lateinische Grammatik zu repetiren und den Terenz, einige Stücke des Plautus und andre der jugendlichen Fassungskraft angemessene Schriften auszulegen, „aus denen man lateinisch sprechen lernen kann." Der achte Lektor war der Physikus, der die Physik des Aristoteles und den Dioskorides zu erklären hatte, auch die Botanik vertrat. Der neunte las hebräische Grammatik und daneben die Genesis, den Psalter, die Sprüche Salomonis, Jesaias, Jonas und Daniel. Der zehnte endlich war der Gräcist, der zunächst über griechische Grammatik zu lesen, dann Homer, Hesiod, Sophokles, Euripides, Theokrit. einige Demosthenische Reden und einen griechischen Geschichtschreiber zu erklären hatte. Zuweilen sollte er auch einen Paulinischen Brief vornehmen; zugleich aber sollte er die Ethik des Aristoteles Wort für Wort erläutern und dabei „sorgfältig die Arten der Lehre auseinander halten," d. h. das Gesetz Gottes und das Evangelium und die Vorschriften der Philosophen über bürgerliche Sitten. Die wissenschaftliche Befähigung genügte nicht zur Aufnahme unter die Lehrer dieser Fakultät, es bedürfte auch einer gewissen theologischen, d. h. der Anerkennung des Daseins Gottes und des Glaubens an Jesus Christus, den Sohn Gottes, wogegen der Lehre vom rechtfertigenden Glauben nicht Erwähnung geschieht, sodaß auch ein gläubiger Katholik Mitglied der Fakultät werden konnte, wenn auch nur der Theorie nach. Die Legenden sollten die Philosophie so vortragen, daß sie die Lehre des Evangeliums nicht verderben, noch durch Fürwitz oder Leichtfertigkeit Meinungen erzeugen, die gegen Gott sind, „wie an den hohen Schulen andrer Völker," wobei namentlich vor Epitüreismus gewarnt wird. „Sollte sich aber einer widerspenstig erweisen, Grenzboten IV 188S 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/233>, abgerufen am 28.06.2024.